Rz. 68
Der verantwortungsvolle Umgang mit Gefährdungen in der Schwangerschaft und der Stillzeit erfordert die Unterscheidung zwischen hinnehmbaren und nicht hinnehmbaren Gefährdungen der Frau oder ihres (ungeborenen) Kindes. Diese Unterscheidung muss vom Arbeitgeber im Rahmen der Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 9 vorgenommen werden. Dies gilt nach dem Wortlaut auch für verantwortbare Gefährdungen, bei denen die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Gesundheitsbeeinträchtigung bspw. wegen der Geringfügigkeit des möglichen Gesundheitsschadens als hinnehmbar eingestuft wird. Dies erfordert den Ausgleich zwischen zwei Erwägungen: Zum einen müssen schwangere und stillende Frauen vor unverantwortbaren Gefährdungen geschützt werden. Zum anderen soll ihnen eine verantwortbare, ihren individuellen Bedürfnissen angepasste Teilhabe am Erwerbsleben ermöglicht werden. Die Forderung, im Rahmen des Mutterschutzes jegliche Gefährdung auszuschließen, würde die Beschäftigung schwangerer und stillender Frauen weitgehend unmöglich machen. Dies würde der Zielsetzung des Mutterschutzes zuwiderlaufen, schwangeren und stillenden Frauen eine verantwortbare Teilhabe am Erwerbsleben zu ermöglichen, die ihren individuellen Bedürfnissen angepasst ist.
Zudem würde auf diese Weise versucht werden, im Arbeitsumfeld ein Schutzniveau zu erreichen, dass sich außerhalb des Arbeitsumfelds nicht aufrechterhalten lässt. Dabei müssen hinnehmbare Gefährdungen in ihrer Auswirkung (unmittelbare Gesundheitswirkung) und Langzeitwirkung (Folgewirkung) bewertet werden. Dies kann erst nach Durchführung der Gefährdungsbeurteilung nach § 9 und auf Basis des Expertenwissens erfolgen. Unabhängig von einer Bewertung durch Experten muss der Arbeitgeber die Verantwortung für die Entscheidung übernehmen. Die Antwort auf die Frage, welche Gefährdung "hinnehmbar" ist, kann unter Umständen nur schwer und mit Rechtsunsicherheit getroffen werden. Im Zweifel ist daher ein Ausschluss der Gefährdung anzustreben.
Rz. 69
Hinnehmbare Gefährdungen der schwangeren oder stillenden Frau oder ihres (ungeborenen) Kindes sollen nach Abs. 2 Satz 1 möglichst gering gehalten werden, können jedoch nicht zu einem Beschäftigungsverbot führen, da dies eine unangemessene Einschränkung der Teilhabe der schwangeren und stillenden Frau am Erwerbsleben wäre.
Rz. 70
Falls ein konkreter Arbeitsplatz für die (werdende) Mutter Gefährdungen verursachen würde, die nicht abgestellt oder vermindert werden können, ist eine Versetzung auf einen anderen, weniger gefährdenden Arbeitsplatz denkbar. Hier hat der Betriebsrat ein Mitwirkungsrecht nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, da er der personellen Einzelmaßnahme zustimmen muss. Der Betriebsrat prüft die Notwendigkeit einer Versetzung und dieses Verfahren gewährleistet die Gleichrangigkeit von Bewerbern. Die Zuweisung einer anderen Tätigkeit muss billiges Ermessen wahren (vgl. § 315 BGB) und darf die Schwangere nicht über Gebühr belasten. Um hier einen etwaigen Vorrang der Schwangeren vor anderen Kandidaten für die Stelle zu begründen, muss die Notwendigkeit der Schutzmaßnahme vor dem Hintergrund der Arbeitsschutzvorschriften des Mutterschutzgesetzes offengelegt werden.