Erkrankung während des gesamten Urlaubsjahres
In einer Entscheidung aus dem Jahr 2021 vertrat das BAG die Ansicht, dass bei durchgehender Krankheit im Urlaubsjahr der Verfall des Urlaubs nach 15 Monaten auch dann eintreten kann, wenn der Arbeitgeber seine Hinweispflichten im Hinblick auf den Urlaub des Mitarbeiters sowie den drohenden Verfall unterlassen hat. Die Aufforderungs- und Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bestünden zwar grundsätzlich, so das Gericht in seiner Entscheidung, auch, wenn und solange der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist. Allerdings sei die Befristung des Urlaubsanspruchs bei einem richtlinienkonformen Verständnis des § 7 Abs. 3 BUrlG nicht von der Erfüllung der Aufforderungs- und Mitwirkungsobliegenheiten abhängig, wenn es – was erst im Nachhinein feststellbar ist – objektiv unmöglich gewesen wäre, den Arbeitnehmer durch Mitwirkung des Arbeitgebers in die Lage zu versetzen, den Urlaubsanspruch zu realisieren. Der Urlaub verfällt in diesem Fall also unabhängig von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres.
Urlaub hätte bis zur Erkrankung zumindest noch teilweise genommen werden können
Fraglich ist aber, ob der Urlaubsanspruch auch erlischt, wenn der betreffende Arbeitnehmer den Urlaub vor Arbeitsunfähigkeit hätte nehmen können.
In 2 Fällen fragte das BAG beim EuGH an, ob Arbeitgeber ihre Mitarbeiter auch dann auf den drohenden Verfall von Urlaub hinweisen müssen, wenn die Beschäftigten ihren Urlaub nicht mehr nehmen können:
- In einem Fall war der Arbeitnehmer voll erwerbsgemindert,
- im anderen war der Mitarbeiter von einer lang andauernden Erkrankung betroffen.
Der EuGH hat in beiden Fällen arbeitnehmerfreundliche Entscheidungen getroffen – der Arbeitgeber muss seine Mitwirkungsobliegenheit erfüllen, ansonsten verfällt der Urlaub auch nicht 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres.
Der EuGH stellte in beiden Entscheidungen klar, dass der Jahresurlaub des Arbeitnehmers Priorität genießt. Ein Arbeitgeber muss die entsprechenden Hinweispflichten deshalb unbedingt im Auge behalten, auch wenn er der Ansicht ist, dass diese faktisch nicht notwendig sind. Mitarbeiter müssen selbst dann über noch ausstehenden Urlaub informiert werden, wenn der Urlaubsanspruch in einem Bezugszeitraum erworben wurde, in dem später eine volle Erwerbsminderung oder eine Arbeitsunfähigkeit in Folge einer fortbestehenden Erkrankung eingetreten ist. Solange der Arbeitgeber seiner Hinweispflicht nicht nachkommt, kann der Urlaubsanspruch nicht erlöschen, wenn der Arbeitgeber den Mitarbeiter nicht rechtzeitig in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub vor Beginn der vollen Erwerbsminderung oder der Arbeitsunfähigkeit wahrzunehmen.
Das BAG urteilte im Anschluss an die Entscheidungen des EuGH entsprechend. Wenn ein Beschäftigter im Urlaubsjahr tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig wurde, ist Voraussetzung für den Urlaubsverfall die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten im Hinblick auf den Urlaub. Das heißt, die Befristung bzw. der Verfall des Urlaubsanspruchs setzt hier regelmäßig voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in die Lage zu versetzt hat, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen. Diese Grundsätze gelten auch für den tariflichen Mehrurlaub. Nur ausnahmsweise kann die 15-monatige Verfallfrist ohne Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit beginnen, und zwar dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit so früh im Urlaubsjahr eintritt, dass es dem Arbeitgeber nicht möglich war, zuvor seiner Obliegenheiten nachzukommen. Diese Klarstellung traf das BAG in einem Fall, in dem ein Arbeitnehmer zu einem so frühen Zeitpunkt im Urlaubsjahr erkrankte, dass er selbst bei ordnungsgemäßer Aufklärung durch den Arbeitgeber seinen Urlaub nicht vollständig hätte nehmen können. In solch einem Fall bleibt nach Ablauf der 15-Monatsfrist nur die Anzahl an Urlaubstagen erhalten, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Möglichkeit des Arbeitgebers, seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachzukommen, bis zum Eintritt seiner Erkrankung erfüllt werden konnte.