Zusammenfassung
- Im Hinblick auf die Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten bis zur Rente sind psychische Belastungen und Erkrankungen von zunehmender Bedeutung.
- Psychische Belastungen sind als neutral zu betrachten, d. h., sie führen nicht per se zu negativen Beanspruchungen. Unter bestimmten Umständen können aber aufgrund von psychischen Belastungen Fehlbeanspruchungen, Befindlichkeitsstörungen und im weiteren Verlauf Erkrankungen entstehen.
- Psychische Erkrankungen führen zu langen Ausfallzeiten und belasten damit die Unternehmen, unabhängig davon, ob private oder betriebliche Ursachen dafür verantwortlich sind.
- Der Arbeitgeber ist zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung verpflichtet. Psychische Belastungen gelten dabei ebenso als Gefährdungsfaktoren wie mechanische, elektrische oder sonstige Gefährdungen.
- Die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung für psychische Belastungen sollte Schritt für Schritt erfolgen, angefangen von der Grob- bis hin zur Feinanalyse. Betriebsräte sind, sofern vorhanden, in die Regelungen zur Gefährdungsbeurteilung einzubeziehen. Je konkreter die Analyse, desto mehr müssen die Beschäftigten eingebunden werden.
1 Details
1.1 Definitionen und Hintergrund
Definitionen
Unter psychischen Belastungen wird die "Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken" verstanden.
Die psychische Beanspruchung wird dagegen als die "unmittelbare (nicht die langfristige) Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien" definiert.
Diese Trennung von Belastung und Beanspruchung wurde erstmals von den Arbeitswissenschaftlern Rohmert und Rutenfranz 1975 vorgenommen und gilt als grundlegendes Verständnis hinsichtlich der Betrachtung von Arbeitsbelastungen und den daraus resultierenden Folgen.
Psychische Belastungen sind neutral
Psychische Belastungen sind demnach als neutral zu betrachten und führen nicht per se zu negativen Beanspruchungen. Die Folge können sowohl anregende als auch beeinträchtigende Effekte sein.
Arbeitgeber sind gemäß § 4 ArbSchG dazu angehalten, die Arbeit so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird. Demnach sind auch gemäß § 5 ArbSchG die psychischen Belastungen zu beurteilen, jedoch nur im betrieblichen Kontext. Die rechtlichen Vorgaben zur Gefährdungsbeurteilung gelten allerdings nur im Hinblick auf die Beurteilung der Belastungen, nicht auf die der Beanspruchungen.
Der Betriebsrat ist gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei der Gefährdungsbeurteilung zu beteiligen. Er hat ein Mitbestimmungsrecht bei der Regelung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, somit auch bei der Gefährdungsbeurteilung. Im Rahmen der psychischen Gefährdungsbeurteilung ist dies v. a. bei der Auswahl des Verfahrens und der Definition des Gefährdungsmaßes von Bedeutung. Es liegen allerdings weder Grenzwerte noch Verfahren wie die der Leitmerkmalmethoden vor, anhand derer eine Gefährdung sicher bestimmt werden kann.
Der seit Jahren zu verzeichnende Anstieg der psychischen Erkrankungen wirft zwangsläufig die Frage auf, inwieweit arbeitsbezogene psychische Belastungen dafür verantwortlich sein können oder welchen Anteil sie daran haben. Damit Arbeitgeber ihrer Verpflichtung gemäß § 3 und 4 ArbSchG nachkommen können, ist eine solche Kenntnis unabdingbar. Gefährdungen aufgrund psychischer Belastungen können sich ergeben durch
- ungenügend gestaltete Arbeitsaufgaben,
- eine ungenügend gestaltete Arbeitsorganisation,
- ungenügend gestaltete soziale Bedingungen,
- ungenügend gestaltete Arbeitsplatz- und Arbeitsumgebungsbedingungen.
Demnach müssen die angewandten Verfahren genau diese Bereiche inklusive der dazugehörigen Merkmale erfassen.
Die Arbeits- und Organisationspsychologie hat schon vor Jahren Verfahren dafür entwickelt, die aber erst nach und nach in der betrieblichen Praxis ankommen. Strittig ist dabei nach wie vor, welchen Einfluss Persönlichkeitsmerkmale und subjektives Empfinden der Beschäftigten auf die Wahrnehmung von (krankmachenden) Belastungen haben und ab welcher Merkmalsausprägung, z. B. der Intensität des Termin- und Leistungsdrucks, in Kombination mit den möglichen Ressourcen wie Handlungs- und Tätigkeitsspielräumen von einer Gesundheitsbeeinträchtigung ausgegangen werden kann.
Übereinkunft zum Vorgehen
Daran wird deutlich, dass bei der psychischen Gefährdungsbeurteilung im Vorfeld eine Diskussion und Übereinkunft zur Vorgehensweise und zur Gefährdungsbewertung erforderlich ist – unabhängig von den gesetzlichen Auflagen.
1.2 Verantwortung des Arbeitgebers und der Führungskräfte
Die Verantwortung des Arbeitgebers im Arbeits- und Gesundheitsschutz ist in § 3 Abs. 1 ArbSchG geregelt. Sie kann gemäß § 13 Abs. 2 ArbSc...