Warum Flüchtlinge in Jobs für Geringqualifizierte stranden
Viele Geflüchtete finden Arbeit in Deutschland – aber nur wenige schaffen den Aufstieg. Dort, wo sie herkommen, funktioniert der Arbeitsmarkt häufig anders, formale Qualifikationen sind oft weniger wichtig. Und: Schnell Geld zu verdienen, hat für viele Neuankömmlinge Priorität.
Jeder dritte Flüchtling findet somit eine Beschäftigung – meist jedoch in der Leiharbeitsbranche oder im gering qualifizierten Dienstleistungsbereich.
Sprung in reguläre Beschäftigung gelingt häufig nicht
Zwischen Februar 2018 und Januar 2019 fanden knapp 96.000 Menschen aus den acht wichtigsten Herkunftsländern von Asylbewerbern eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Das ist fast jeder Dritte. Diese Analyse stellte die Denkfabrik mit dem Namen "Berlin-Institut" am Dienstag vor. Allerdings wurde demnach mehr als jedes dritte Beschäftigungsverhältnis in der Leiharbeitsbranche eingegangen.
Viele Geflüchtete fanden Arbeit im einfachen Dienstleistungsbereich, etwa als Gebäudereiniger oder im Gastgewerbe. Häufig gelinge der Sprung in eine reguläre Beschäftigung nicht, schreiben die Experten, die ihn ihrem Bericht persönliche und strukturelle Hürden beleuchten.
"Schnelles Geld" hat für Flüchtlinge Priorität
Dabei sind viele der Neuankömmlinge jung – ein großer Teil ist zwischen 18 und 24 Jahre alt. Sie könnten also noch eine Ausbildung machen oder Schulabschlüsse nachholen. Dazu wäre allerdings Geduld nötig: Viele bräuchten zwei Jahre oder länger, um ausreichend Deutsch zu lernen und die nötige schulische Qualifikation zu erwerben, erklären die Autoren. Mit der Ausbildung kämen damit fünf oder mehr Jahre mit geringen Einkünften zusammen. Da viele Flüchtlinge ihre Angehörigen zuhause unterstützen wollen oder Schleppern Geld schulden, suchten sie jedoch lieber schnell einen Job. "Das kann dann leicht eine Sackgasse sein", sagte Reiner Klingholz vom Berlin-Institut.
Fokus auf Berufserfahrung statt auf formale Qualifikationen legen
Frederick Sixtus vom Berlin-Institut plädierte dafür, die Anerkennung von Berufserfahrungen im Herkunftsland zu erleichtern. Diese seien oft nur schwer übertragbar, weil formale Qualifikationen in vielen Herkunftsländern nicht so wichtig seien wie in Deutschland. Der Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Engelhard Mazanke, erklärte, das Problem sei nur schwer zu lösen, weil für die Betroffenen so viel auf dem Spiel stehe. Beim Versuch, enge Angehörige nach Deutschland nachzuholen, werde beispielsweise ein Arbeitsplatz in Deutschland positiv angerechnet.
Dass viele dauerhaft in gering-qualifizierten Jobs arbeiten, hat dem Bericht zufolge viele weitere Gründe: "Es liegt auch daran, dass diese Menschen unvorbereitet nach Deutschland kommen", sagte Klingholz. Welche Branchen in Deutschland besonders gefragt seien, wüssten die Betroffenen meist nicht. Zudem hat jeder Vierte aus den untersuchten Ländern entweder gar keine Schule besucht oder allenfalls die Grundschule absolviert. Hinzu kommen mangelnde Vernetzung in Deutschland und traumatische Erfahrungen auf der Flucht oder im Herkunftsland.
Lost im "Behördendschungel" – 140 Wege zur Aufenthaltserlaubnis
Der Behördendschungel im föderalen Deutschland, weit verzweigte Zuständigkeiten und komplizierte Gesetze tun ein Übriges, so die Experten. So gebe es in Berlin allein 800 Seiten an Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsrecht, die Behördenmitarbeitern bei der Anwendung der Vorschriften helfen sollen.
"Fünfzehn Regeln, kein Nutella, früh ins Bett gehen, das ist im Prinzip unsere Ausbildungsduldungsregelung." (Engelhard Mazanke, Leiter der Berliner Ausländerbehörde)
Click to tweet
Der Gesetzgeber verhalte sich wie ein übermäßig beschützender Elternteil, kritisierte Behördenchef Mazanke. "Der will nur das Beste für sein Kind, aber er tut so viel Gutes, dass das Kind überhaupt nicht mehr selbstständig agieren kann. Fünfzehn Regeln, kein Nutella, früh ins Bett gehen, das ist im Prinzip unsere Ausbildungsduldungsregelung." Es gebe in Deutschland allein 140 Arten, an eine Aufenthaltserlaubnis zu kommen.
Plädoyer für praktikablere Regelungen
Unter dem Strich empfehlen die Autoren der Politik, praktikablere Regeln zu entwickeln. Für Arbeitgeber sei die Beschäftigung von Geflüchteten mit zu vielen Unsicherheiten verbunden. Sie stellten auch den Grundsatz in Frage, wonach Integrationsangebote und Sprachkurse vorwiegend auf Menschen beschränkt sind, bei denen die Behörden gute Chancen für einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland sehen. Viele blieben deshalb unbeschäftigt. Sixtus forderte eine Öffnung: "Wer nicht dauerhaft bleiben kann, erwirbt sich aber Qualifikationen, die auch im Herkunftsland von Nutzen sein können."
Das könnte Sie auch interessieren:
IAB-Studie: Wie gut ausgebildet Flüchtlinge tatsächlich sind
Wie Flüchtlinge an Hochschulen und in akademische Berufe gelangen
Zehn Kernpunkte zur Integration von Flüchtlingen in die berufliche Bildung
"Volle Integration in den Arbeitsmarkt dauert sieben bis zehn Jahre"
-
Workation und Homeoffice im Ausland: Was Arbeitgeber beachten müssen
2.216
-
Essenszuschuss als steuerfreier Benefit
1.547
-
Probezeitgespräche als Feedbackquelle für den Onboarding-Prozess
1.425
-
Ablauf und Struktur des betrieblichen Eingliederungsmanagements
1.387
-
Krankschreibung per Telefon nun dauerhaft möglich
1.357
-
Vorlage: Leitfaden für das Mitarbeitergespräch
1.357
-
BEM ist Pflicht des Arbeitgebers
978
-
Checkliste: Das sollten Sie bei der Vorbereitung eines Mitarbeitergesprächs beachten
680
-
Modelle der Viertagewoche: Was Unternehmen beachten sollten
463
-
Pflicht zur psychischen Gefährdungsbeurteilung
441
-
Wie KI dem sozialen Miteinander am Arbeitsplatz schaden kann
15.11.2024
-
"Wir sollten uns größere Sprünge zutrauen"
14.11.2024
-
Wie der Führungswechsel im Mittelstand gelingen kann
13.11.2024
-
"Im MBA-Markt ist noch viel Musik drin"
13.11.2024
-
KMU mit Fortschritten bei der HR-Digitalisierung
12.11.2024
-
Flipped Classroom in Corporate Trainings: Evaluation eines Pilotprojekts
07.11.2024
-
Über Fröhlichkeit und Zuversicht in der Führung
06.11.2024
-
MINT-Fachkräftelücke bedroht Innovationsfähigkeit
06.11.2024
-
Immer mehr Masterstudiengänge
06.11.2024
-
Ausländische Fachkräfte in Engpassberufen
05.11.2024