"In den Umsetzungsmodus wechseln"
Personalmagazin: Vor einem Jahr wurde der neue Bundestag gewählt und vor einem halben Jahr ist die neue Regierung gestartet. Was haben Sie zum Thema neue Arbeit bislang auf den Weg gebracht?
Björn Böhning: Als BMAS haben wir einiges erreicht: Wir haben das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) weiterentwickelt und um einen Rechtsanspruch auf zeitlich begrenzte Teilzeit ergänzt. Die geplante Brückenteilzeit soll am 1. Januar 2019 in Kraft treten und gibt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mehr Sicherheit, wenn sie sich vorübergehend für mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit entscheiden. Darüber hinaus haben wir das Qualifizierungschancengesetz auf den Weg gebracht. Digitalisierung braucht Qualifizierung! Beschäftigte, die vom Strukturwandel durch die Digitalisierung betroffen sind, sollen künftig bei der Weiterbildung besser gefördert und beraten werden. Gleichzeitig wird Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die häufig nur Beschäftigungen mit kurzer Dauer ausüben, der Zugang zum Anspruch auf Arbeitslosengeld erleichtert. Denn auch kurzzeitige Beschäftigung und neue Geschäfts- und Beschäftigungsmodelle wie die Plattformökonomie oder Crowdworking sind Erscheinungsformen der neuen Arbeitswelt, auf die wir reagieren müssen. Und Anfang Oktober haben wir als BMAS auch noch das Eckpunktepapier zur Fachkräfteeinwanderung in das Bundeskabinett zur Beratung mit eingespeist.
Vorhaben im Koalitionsvertrag konkretisiert
Personalmagazin: In der vergangenen Legislatur hatten Sie mit der Rente mit 63, dem Mindestlohn und Arbeiten 4.0 große Reformvorhaben. Das BMAS wird in dieser wie auch in der letzten Legislaturperiode von einem SPD-Minister geführt. Warum wird der Weißbuch-Prozess zu Arbeiten 4.0 nicht fortgeführt, indem die darin erarbeiteten Themen endlich umgesetzt werden?
Böhning: Der Prozess wird fortgeführt und wie Sie richtig anmerken, gilt es nun, vom Modus „Planung“ in den Modus „Umsetzung“ zu wechseln. Im Koalitionsvertrag finden sich dazu eine Reihe von Vorhaben: Von der Brückenteilzeit über die Arbeitsweltberichterstattung bis hin zum Thema Arbeitszeit. Eines der wichtigsten Themen ist, die Qualifizierung zu stärken und die Unternehmen und Beschäftigten beim lebensbegleitenden Lernen zu unterstützen. Das wird die Bundesregierung im Rahmen einer Nationalen Weiterbildungsstrategie gemeinsam mit den Ländern und Sozialpartnern aufgreifen! Das schon genannte Qualifizierungschancengesetz ist ein erster, konkreter Schritt des BMAS.
Als eine Konsequenz aus dem Dialogprozess Arbeiten 4.0 ist die Einrichtung der Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft im BMAS zu verstehen, die als neuartige Organisationseinheit Funktionen und Arbeitsweisen eines klassischen Think Tanks und eines zeitgenössischen Future Labs verbindet. Die Denkfabrik wird Handlungsansätze für Themen entwickeln, deren Bedeutung im Weißbuch zwar erkannt, für die aber noch keine Lösungsvorschläge entwickelt wurden: Beispielsweise die Frage der Arbeitsbedingungen und des Sozialschutzes in der Plattformökonomie oder der künstlichen Intelligenz in der Arbeitswelt.
„Wir haben eine Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft eingerichtet, die sich mit den Arbeitsbedingungen in der Plattformökonomie und Fragen der künstlichen Intelligenz in der Arbeitswelt beschäftigt.“
Zukunftsdialog zum Thema Arbeitssicherheit soll konkrete Lösungen erarbeiten
Personalmagazin: Sie haben den Prozess „Neue Arbeit – Neue Sicherheit“ gestartet, der wieder auf Dialog setzt. Eine Weiterentwicklung der Arbeitsrechts- oder der Sozialgesetzgebung ist nicht erkennbar. Hat das BMAS hier keine Ambitionen?
Böhning: Schauen Sie bitte genauer hin: Weiterentwicklungen beim Arbeits- und Sozialrecht beziehungsweise die Anpassung von sozialen Leistungen an aktuelle Gegebenheiten finden kontinuierlich statt. Und ein beständiger Blick nach vorne ist eine der Aufgaben der Politik. Dafür haben wir den Zukunftsdialog „Neue Arbeit – Neue Sicherheit“ begonnen. Wir sind davon überzeugt, dass Arbeiten im digitalen und globalisierten Zeitalter genauso neu gestaltet und austariert werden muss wie die soziale Sicherung. Nur so erlangen wir das Vertrauen der Menschen für die Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen zurück. Der Zukunftsdialog geht damit über den Dialog aus der letzten Legislaturperiode deutlich hinaus und bezieht die Bürgerinnen und Bürger stärker ein. Deshalb sucht Minister Heil bei regionalen Zukunftsforen und Einrichtungsbesuchen einen intensiven Austausch, um die Anliegen der Menschen aufzunehmen. Unser Ziel ist, dass wir dort, wo wir gute Lösungen finden, auch noch in dieser Legislaturperiode an die Umsetzung gehen.
Wenig Bedarf an Maßnahmen zur Digitalisierung der Betriebsratsarbeit
Personalmagazin: Die Sozialpartner reden über Mitbestimmung 4.0 und finden Regularien vor, die nicht mehr zeitgemäß sind. Wird es bald die Möglichkeit geben, beispielsweise die Wahl von Betriebsräten digital durchzuführen?
Böhning: Zunächst bin ich davon überzeugt, dass die bestehenden Regularien für Arbeitnehmervertreter durchaus zeitgemäß sind, das hat uns der Dialogprozess Arbeiten 4.0, aber auch der regelmäßige Austausch mit den Sozialpartnern bestätigt. Dies gilt auch für die Regelungen zur Betriebsratswahl. Diese ermöglichen es den Beteiligten, ein Wahlverfahren durchzuführen, das den Wahlgrundsätzen des Grundgesetzes entspricht. Gleichzeitig ist die Wahlbeteiligung an Betriebsratswahlen mit durchschnittlich 77 Prozent sehr hoch. Das aktuelle Wahlverfahren erreicht also momentan noch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Personalmagazin: Beim Thema Digitalisierung der Betriebsratswahl sehen Sie also keinen Handlungsbedarf. Im Management und unter Mitarbeitern sind Videokonferenzen längst Alltag. Wollen Sie hier einen rechtlichen Rahmen schaffen, um so etwas auch für die Betriebsratsarbeit zuzulassen?
Böhning: Im Weißbuch Arbeiten 4.0 findet sich durchaus ein Regelungsvorschlag, um die Durchführung einer Betriebsratssitzung als Videokonferenz zu ermöglichen. Demnach soll es allein der Entscheidung des Betriebsrats überlassen bleiben, ob in bestimmten Situationen eine Betriebsratssitzung als Videokonferenz durchgeführt wird oder nicht. Denn es kann auch gute Gründe aus Sicht eines Betriebsrats geben, sich gegen die Durchführung einer Betriebsratssitzung als Videokonferenz zu entscheiden. Unabhängig von diesem Vorschlag kann die Videokonferenz schon heute im Rahmen der Betriebsratsarbeit genutzt werden, zum Beispiel, wenn der Betriebsrat Besprechungen durchführt oder Betriebsratssitzungen vorbereitet.
„Arbeiten im digitalen und globalisierten Zeitalter muss genauso neu gestaltet und austariert werden wie die soziale Sicherung. Nur so erlangen wir das Vertrauen der Menschen zurück.“
Rechtlicher Rahmen lässt genug Raum für weitere Mitbestimmung
Personalmagazin: Wie stehen Sie zu neuen Ideen für die Mitbestimmung? Manche Betriebe praktizieren Formen der direkten Mitbestimmung, sie wählen beispielsweise Teamleiter oder Geschäftsführer. Ist es für Sie vorstellbar, die Mitbestimmung Richtung Optionsräume für die Betriebe weiterzuentwickeln in dem Sinne, dass es Wahlmöglichkeiten für unterschiedliche Modelle der Mitbestimmung gibt?
Böhning: Der Dialogprozess Arbeiten 4.0 hat uns bestätigt: Auch im Zeitalter der Digitalisierung ist die Mitbestimmung durch Betriebsräte ein Schlüsselfaktor für die erfolgreiche Gestaltung der Arbeitswelt von morgen. Davon unabhängig steht es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern natürlich frei, mit dem Arbeitgeber Beteiligungsmöglichkeiten außerhalb des gesetzlichen Rahmens zu vereinbaren. Ob solche Beteiligungsmöglichkeiten allerdings immer geeignet sind, Kompromisse mit dem Arbeitgeber auf Augenhöhe zu vereinbaren, ist offen. Betriebliche Mitbestimmung muss jedenfalls auch auf durchsetzbaren Rechten beruhen. Eine solche Verlässlichkeit bietet den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nur die verfasste Mitbestimmung.
Das Interview führte Reiner Straub und ist in voller Länge im Personalmagazin, Ausgabe 12/2018, erschienen.
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