Die Luft für Frauen in Führungsetagen ist nach wie vor dünn – aller Fördermaßnahmen und besserer Bildungsabschlüsse zum Trotz, wie eine aktuelle Studie der Boston Consulting Group (BCG) mit dem Titel Frau Dich! – Das schlummernde Potenzial der Frauen für die deutsche Wirtschaft zeigt. Zwar stieg der Anteil weiblicher Hochschulabsolventen von 1994 bis 2014 signifikant an; sie machen mittlerweile rund 51 Prozent der Hochschulabsolventen aus. Der Anteil der Frauen in Führungspositionen aber nahm kaum zu. "Die Wertschöpfung könnte bis zu acht Prozent steigen, wenn die Potenziale der Frauen auf dem Arbeitsmarkt aktiviert würden. Auch die Arbeitskräftelücke könnte um 35 Prozent verringert werden", sagt Rocío Lorenzo, Partnerin bei BCG und Autorin der Studie, "doch die Chancen wurden bisher nicht ausreichend genutzt".
Faktisch kaum Fortschritte bei der Frauenquote in Führungspositionen
Zwar ist das Thema Frauenförderung derzeit in aller Munde; faktisch hat Deutschland jedoch kaum Fortschritte in den vergangenen Jahren gemacht. Noch immer liegt die Frauenquote in Führung hierzulande deutlich unter der Frauenquote bei den Akademikern mit Berufserfahrung, also den potentiellen Führungskräften. Bis 2001 war noch das Gegenteil zu beobachten, wie die BCG-Analyse ergibt.
Kind oder kein Kind? Das ist die entscheidende Frage
Ein wesentlicher Faktor für die Karriereverläufe sind Kinder: Frauen ohne Kinder schaffen es dreimal häufiger in die Topmanagementpositionen. Frauen übernehmen in Deutschland nach wie vor mehrheitlich die Familienarbeit und sind deutlich häufiger in Teilzeit beschäftigt – ohne jemals wieder in die Vollzeitbeschäftigung einzusteigen. Daran ändern auch flexible Arbeitszeitmodelle nichts.
Lebenslange Babypause: Die meisten Frauen enden in der Teilzeitfalle
Vor allem in der karriererelevanten Altersphase zwischen 30 und 40 Jahren steigt der Anteil von Frauen in Teilzeit massiv an und endet in einer "lebenslangen Babypause" für Frauen. Die wenigsten Frauen kehren in die Vollzeit zurück. "Das gilt es zu ändern, denn die Förderung von Frauen zahlt sich aus: Mehr Vielfalt in Unternehmen ist Triebkraft für Innovation und trägt zu Steigerung der Bruttowertschöpfung bei", sagt Rocío Lorenzo.
Vier Hebel, um das Potenzial von Frauen besser zu nutzen
Eine Steigerung des Frauenanteils an Führungspositionen und erhöhte Partizipation von Frauen am Arbeitsmarkt würden sich nicht nur für die Unternehmen positiv auswirken. Auch gesamtwirtschaftlich könnte Deutschland profitieren. Die weiblichen Arbeitskräfte könnten zusätzlich rund 200 Milliarden Euro zur Wertschöpfung beitragen. Die vier Hebel für Wachstum dabei sind: eine höhere Quote der weiblichen Erwerbstätigen, höhere Wochenarbeitszeit von Frauen sowie mehr Frauen in produktiveren Branchen mit Fachkräftemangel. Zusätzlich sollten Frauen häufiger ihrer Qualifizierung entsprechend eingesetzt werden.
Ungleiche Aufstiegschancen: Frauen kommen nicht über das mittlere Management hinaus
In allen Branchen sind Frauen in Führungspositionen deutlich unterrepräsentiert – selbst bei Berücksichtigung des Frauenanteils der jeweiligen Branche. Wenn Frauen führen, kommen sie meist nicht über das mittlere Management hinaus, zeigt die BCG-Analyse. "Hätten Frauen die gleichen Aufstiegschancen wie Männer, müssten sie um 40 Prozent mehr im Spitzenmanagement vertreten sein", sagt Lorenzo. Das gilt sowohl für die Privatwirtschaft als auch für den öffentlichen Sektor.
Frauen in allen Branchen an der Spitze unterrepräsentiert
Selbst in weiblich dominierten Branchen wie Gesundheit, Erziehung und Unterricht (76 Prozent Frauenanteil) ist weniger als die Hälfte der Positionen im Spitzenmanagement von Frauen besetzt (46 Prozent). Besonders gering ist der Anteil von weiblichen Topführungskräften in der Finanzbranche. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten sind Frauen (55 Prozent), aber nur ein Viertel der mittleren Führungsetage ist weiblich besetzt (27 Prozent). An der absoluten Spitze der Finanzbranche finden sich nur 11 Prozent.
Gesetzliche Frauenquote: Familienunternehmen suchen noch 33 Aufsichtsrätinnen
Besonders Familienunternehmen, die börsennotiert und voll mitbestimmt sind, stehen angesichts der ab dem 1. Januar 2016 geltenden fixen Frauenquote vor großen personellen Herausforderungen: Um den gesetzlich geforderten Frauenanteil von 30 Prozent in Aufsichtsräten zu erreichen, müssen die 20 von der Quote betroffenen Familienunternehmen bei den kommenden Besetzungsverfahren insgesamt 33 weibliche Aufsichtsräte berufen. Das ergab eine aktuelle Analyse der Beratungsgesellschaft Kienbaum. „Es ist wichtig, dass sich die Unternehmen nun intensiv auf die anstehenden Aufsichtsratsbesetzungen vorbereiten. Teilweise müssen drei bis vier Frauen gleichzeitig berufen werden“, sagt Monika Berane, Partnerin bei Kienbaum und als Personalberaterin spezialisiert auf die Besetzung von Führungspositionen mit Frauen.
Henkel top, Fresenius und Porsche noch ganz ohne Frau im Aufsichtsrat
Nur sechs der 20 von der Quote betroffenen Familienunternehmen erfüllen diese bereits. Der Konsumgüterhersteller Henkel ist mit einem Frauenanteil von knapp 44 Prozent absoluter Spitzenreiter. Im Durchschnitt liegt der Anteil weiblicher Aufsichtsräte bei rund 21 Prozent. Es gibt jedoch auch familiengeführte Unternehmen die größeren Bedarf an zukünftigen Aufsichtsrätinnen aufweisen. Das Medizintechnik- und Gesundheitsunternehmen Fresenius und die Beteiligungsgesellschaft Porsche Automobil Holding beispielsweise haben derzeit noch keine Frau im Aufsichtsrat.
Frauenförderung konsequent in allen HR-Prozessen verankern
Eins ist sicher: Egal ob Ihr Unternehmen von der fixen Frauenquote im Aufsichtsrat oder von der selbstgewählten Frauenquote für die oberen Führungsebenen betroffen ist - Frauen sollten 2016 auf der HR-Agenda stehen. Die Hebel, um den Frauenanteil zu erhöhen, sind vielfältig und müssen konsequent in allen HR-Prozessen und HR-Instrumenten verankert werden. Beispiele dafür finden Sie unter anderem im Personalmagazin Ausgabe 11/2015 oder im Top-Thema "Frauenförderung".