Veränderung von unten – kleinteilig und ungerichtet
Wirtschaft + Weiterbildung: Warum wollen Kunden, die zu Ihnen kommen, ein duales Betriebssystem?
Michael Fuhrmann: Einerseits kommen HR-Manager zu uns, die sagen, ihr Unternehmen braucht agiles Leadership. Außerdem treten auch CEOs und Top-Manager an uns heran, meist wegen bevorstehender Veränderungsprozesse. Sie wollen, dass die Mitarbeiter bei Change-Prozessen besser mitziehen und diese auch sexy finden. Denn an Veränderungen führt heute meist kein Weg vorbei – wegen Veränderungstreibern wie der Digitalisierung. Die Erkenntnis, sich verändern zu müssen, ist in den Unternehmen, die zu uns kommen, entweder rechtzeitig da – oder aber der Druck aus dem Markt ist schon so groß, dass sie keine andere Wahl haben.
Wirtschaft + Weiterbildung: Aber reicht dafür nicht das herkömmliche Change-Management aus?
Fuhrmann: Das klassische Change-Management ist dank John Kotter und seinem Acht-Phasen-Modell schon weit verbreitet. Aber in der sich verändernden Arbeitswelt stößt es an seine Grenzen, weil es an Hierarchien orientiert ist und heute alles viel schneller gehen muss. Wenn es darum geht, schnell und innovativ zu sein, passt Kotters Ansatz vom dualen Betriebssystem viel besser.
Wirtschaft + Weiterbildung: Wie unterscheidet sich die Change-Arbeit im dualen Betriebssystem vom klassischen Change- und Projektmanagement?
Fuhrmann: Im klassischen Change- und Projektmanagement gibt es ein Steuerungsteam, das das Change-Projekt überwacht, und eine Projektorganisation, die einer hierarchischen Organisation sehr ähnlich ist. Meist gilt es, große Veränderungen zu meistern, die zunächst organisiert und strukturiert werden müssen. Das kostet wahnsinnig viel Zeit. Im zweiten Betriebssystem sind die Initiativen kleinteiliger, denn Veränderungen müssen viel schneller umgesetzt werden. Bei den Projekten, die im zweiten Betriebssystem laufen, kann man es sich gar nicht leisten, zuerst eine Projektorganisation aufzubauen, weil das zu lange dauert.
Wirtschaft + Weiterbildung: Lassen sich damit überhaupt groß angelegte Change-Prozesse managen?
Fuhrmann: Nein, große Projekte wie komplette Reorganisationen lassen sich damit nicht bewegen. Wenn bei einer Initiative im zweiten Betriebssystem klar wird, dass daraus ein größeres Change-Projekt wird, muss man es wieder in die klassische Projektorganisation überführen.
Wirtschaft + Weiterbildung: Wie sieht denn konkret die Umsetzung eines zweiten Betriebssystems aus?
Fuhrmann: Zunächst ist es extrem wichtig, die Führungskräfte als Promotoren zu gewinnen und dann ein Kernteam zu finden. Die Mitglieder dieses Teams müssen nicht Vollzeit daran arbeiten, aber das System mit einem Arbeitseinsatz von ein oder zwei Tagen die Woche am Laufen halten. Wichtig ist, dass sie nicht zu sehr mit Projektmanagement-Methoden "verdorben" sind. Denn dann haben sie oft den Drang, alles kontrollieren, absichern und überregulieren zu wollen.
Wirtschaft + Weiterbildung: Soll man also die Mitarbeiter einfach mal laufen lassen?
Fuhrmann: So einfach ist es nicht: Es ist schon wichtig, klare Rahmenrollen und -prozesse festzulegen. Das dient dazu, Freiräume zu schaffen und die richtigen Mitarbeiter zusammenzubringen – und nicht dazu, alles zu reglementieren. Dafür braucht es Multiplikatoren, die bereit sind, sich auf die Facilitatorenrolle zu beschränken, und auch Experten, die auf dem Lösungsweg helfen können. Innerhalb dieses klaren Rahmens können die Teams dann tatsächlich einfach selbstorganisiert loslaufen und ihr eigenes Ziel definieren. Diesem Ziel sind sie dann verpflichtet und niemandem Rechenschaft schuldig.
Wirtschaft + Weiterbildung: Das klingt ganz schön anstrengend für Mitarbeiter, die das Arbeiten in einer Hierarchie gewohnt sind ...
Fuhrmann: Genau deshalb ist das Expertennetzwerk so wichtig. Es ist das Rückgrat des zweiten Betriebssystems. Denn bei den meisten Initiativen zeigt sich sehr schnell, dass die Experten wertvolle Tipps und Lösungshinweise geben können, um ihr Ziel zu erreichen. Bei ihnen spielt Fachkompetenz eine große Rolle – aber auch, dass sie nicht als Besserwisser oder als Bremser auftreten. Wenn alles richtig funktioniert, laufen die Teams los wie im Turbogang, bringen eigene Ideen und befeuern die Netzwerke.
Wirtschaft + Weiterbildung: Und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis das zweite Betriebssystem in der ganzen Organisation bekannt ist?
Fuhrmann: Nicht ganz. Die Existenz dieser agilen Netzwerke muss auch gut und glaubhaft in die Organisation kommuniziert werden. Es muss einfach sein, mit dem Kernteam Kontakt aufzunehmen, die Multiplikatoren müssen in die Organisation gehen und ihre Ideen vorstellen, um Leute zu finden, die mitziehen möchten. Ein Prinzip bei der Umsetzung des zweiten Betriebssystems ist auch, dass die Prozesse möglichst einfach laufen und transparent sind. Das ist unter anderem wichtig, weil viele Initiativen in ein Stadium kommen, in dem sie für die gesamte Organisation interessant sind und ausgerollt werden sollen. An diesem Punkt wird das zweite Betriebssystem mit dem ersten verknüpft. Und beim Roll-out in die Gesamtorganisation braucht es wiederum klassisches Change- und Projektmanagement.
Wirtschaft + Weiterbildung: Wie lässt sich vermeiden, dass die Ergebnisse der Projekte unbrauchbar sind?
Fuhrmann: Agile Netzwerke haben das Ziel, ungerichtete Innovationen zu fördern. Die Mitarbeiter sollen sich als kompetent erleben, Dinge selbstständig zu verändern. Dabei laufen sie gegen die gleichen Hindernisse wie beim klassischen Change Management, und manchmal scheitern sie auch daran. Wenn sie das aufarbeiten, wird das Scheitern zum Lernerfolg. Soll die Organisation von unten kleinteilig, ungerichtet und unabhängig von Hierarchien verändert werden, dann ist das System das richtige. Soll es aber gerichtete Innovationen geben, muss die Führung einen Auftrag an ein Team geben, bei dem es ein klares Ziel gibt – das Team aber den Weg dorthin bestimmen kann.
Wirtschaft + Weiterbildung: Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen den Systemen? Gibt es Konflikte?
Fuhrmann: Die Gefahr besteht. Daher arbeiten wir intensiv mit den Führungskräften und vereinbaren vorab mit ihnen Regeln: Denn sie repräsentieren die Hierarchie und sind gewohnt, Mitarbeiter zu kontrollieren. In ungerichteten Initiativen wissen sie aber nicht, was am Ende herauskommt. Dafür verlieren sie eine Zeitlang Ressourcen, die sie dringend brauchen. Führungskräfte müssen also lernen, loszulassen, agil zu führen und in diesem Umfeld Ressourcen zu organisieren.
Wirtschaft + Weiterbildung: Was machen Sie mit Mitarbeitern, die keine Lust auf agiles Arbeiten haben?
Fuhrmann: Bisher haben wir meist den Luxus, dass es beide Betriebssysteme gibt – also auch Arbeitsplätze, an denen Mitarbeiter nicht agil arbeiten. Meist ist es so, dass Mitarbeiter mit einer Entdeckermentalität sich freiwillig für agile Aufgaben melden, und die, die lieber Routinen mögen, im ersten Betriebssystem bleiben. Wenn Unternehmen aber immer agiler werden und klassische Arbeitsplätze rar werden, muss man die Mitarbeiter an neue Arbeitsweisen heranführen.
Wirtschaft + Weiterbildung: Wie soll das gehen? Ein agiles Umerziehungsprogramm ist wohl kaum sinnvoll.
Fuhrmann: Als Psychologe kann ich bestätigen: Eine Umerziehung ist tatsächlich nicht sinnvoll. Wenn ein Mitarbeiter routineorientiert ist, hat er zwar Nachteile dabei, Veränderungen mitzugestalten. Trotzdem kann er es schaffen, wenn er bestimmte Kompetenzen erwirbt. Die Bereitschaft dafür zu erzeugen, ist die Aufgabe bei jedem Change-Prozess. Und das gelingt, wenn die Change-Story gut ist und die Mitarbeiter sich auch persönlich damit identifizieren können.
Dr. Michael Fuhrmann ist Geschäftsführer der Leadership-Beratung Fuhrmann Leadership GmbH und unterstützt Personaler und Führungskräfte bei der Umsetzung dualer Betriebssysteme.
Das Interview führte Andrea Sattler, Redaktion Personal.
Zum Weiterlesen:
Dieses Interview ist ein Auszug aus Ausgabe 04/2017 der " Wirtschaft + Weiterbildung". Dort lesen Sie im Beitrag "Duales Betriebssystem: Freiwillige vor!" mehr zum Thema.
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