"Ein Gesamterlebnis für die Menschen schaffen"
Personalmagazin: Sie haben sich in der HR-Community mit dem Thema Employee Experience einen Namen gemacht, das Thema ist gewissermaßen Ihr Markenzeichen. Was verstehen Sie darunter?
Jörg Staff: Das Thema steht im engen Zusammenhang mit der Transformation unseres Unternehmens. Wir haben uns entschieden, uns neu aufzustellen, in dreifacher Hinsicht. Erstens haben wir unternehmensweit ein neues, agiles Zusammenarbeitsmodell eingeführt und richten uns viel stärker am Kunden aus. Wir gehen weg von den funktionalen Silos hin zu einem End-to-End-Ansatz und erstellen unsere Lösungen in kleinen Teams – und zwar von der Beratung über die Entwicklung bis zur Implementierung. Zweitens haben wir eine anderes Führungsmodell inklusive einer gleichwertigen Fachkarriere eingeführt, weg von der hierarchischen Führung, hin zur mehr Eigenverantwortung der Teams und Stärkung der fachlichen Kompetenzträger und -trägerinnen in unserem Unternehmen. Wir haben neben den fachlichen Leads auch People Leads als Tandem eingeführt, die sich ausschließlich um alle personellen Themen kümmern. Und drittens haben wir die Business-Services, HR, IT, Nachhaltigkeit und Facility Management zu einem neuen integrierten Servicefeld zusammengefasst, das ein Gesamterlebnis für die Menschen schafft. Das ist die Employee Experience.
Personalmagazin: Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Staff: Nehmen wir den Prozess Onboarding. Jeder kennt das doch: Neuer Mitarbeiter gefunden, Vertrag gemacht, erster Arbeitstag. Vielleicht kommt die Person schon mal gar nicht in das Gebäude oder an den Arbeitsplatz, dann funktioniert der Rechner nicht. Um einem neuen Mitarbeitenden einen perfekten ersten Arbeitstag zu bereiten, brauchen Sie Leistungen von Facility Management, IT und HR. Das ist unser Ansatz von einem integrierten Business Service, von der Schaffung einer Employee Experience.
Der "People Lead" ist für die Menschen da
Personalmagazin: Lassen Sie uns über die Trennung von fachlicher und Menschenführung sprechen. Sind People Leads auch die disziplinarischen Vorgesetzten der bis zu 50 Menschen, die zu ihrem Team gehören? Und geht das - disziplinarische Verantwortung ohne fachliche Involvierung?
Staff: Das geht sogar sehr gut. Wir haben im Unternehmen die Erfahrung gemacht, dass die Teamführung immer wieder an Grenzen stößt und die Fachlichkeit die Betreuung der Menschen auffrisst. Bei Atruvia haben wir deshalb entschieden, die beiden Aufgaben zu trennen. Die Rolle Tribe Lead deckt die ganze Fachlichkeit ab, das heißt, er sorgt dafür, dass die Produkte entwickelt werden, die Qualität und die Kundenzufriedenheit passt. Die Rolle People Lead macht alles rund um den Menschen, ist disziplinarisch verantwortlich, kümmert sich ums Recruiting, um die Auslastung im Team, um die Entwicklung der Menschen, um Feedback und weitere Teamprozesse. Bei bis zu 50 Menschen in einem Team ist das ein Fulltime-Job.
Personalmagazin: Der People Lead ist quasi der neue HR Business Partner - mit dem Unterschied, dass er disziplinarische Verantwortung und damit mehr Einflussmöglichkeiten hat …
Staff: … und Bestandteil des Teams ist! Der People Lead führt das Team gemeinsam mit dem Tribe Lead und steuert die gesamte Entwicklung des Teams mit.
Personalmagazin: Und was sagt der CEO, was sagen Sie und Ihre Vorstandskollegen dazu?
Staff: Das Besondere an unserem agilen Zusammenarbeitsmodell ist, dass wir keinen CEO mehr haben. Wir sind in unserer Vorstandsarbeit alle gleichberechtigt und haben zwei Vorstandssprecher für die Kommunikation zu unseren Gremien und für die externe, unternehmensweite Kommunikation. Wir im Vorstand fördern und unterstützen diese Transformation seit zwei Jahren. Wir lernen selbst, agil zu arbeiten, haben gelernt loszulassen, Eigenverantwortung in die Teams zu geben. Wir finden diese Entwicklung sehr gut.
"Das Besondere an unserem #agilen Zusammenarbeitsmodell ist, dass wir keinen #CEO mehr haben. Wir sind in unserer #Vorstandsarbeit alle gleichberechtigt." – Jörg Staff, Vorstand People und Business Services @atruvia_ag
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Personalmagazin: Kennen Sie andere Unternehmen, die ähnlich konsequent ein solches mitarbeiterzentriertes Organisationskonzept umsetzen?
Staff: Nein, in dieser Größenordnung nicht. Ich habe vor drei Jahren mit Marc Levy in Amerika telefoniert, wie er das als Head of Employee Experience bei Airbnb umgesetzt hat. Von ihm habe ich einiges gelernt. Aber hier in Deutschland habe ich das bisher nicht in dieser Konsequenz gefunden. Fairerweise möchte ich darauf hinweisen, dass es durchaus schwierig ist, so ein Konzept in großen Unternehmen mit ihren oft funktionalen Machtstrukturen umzusetzen.
Personalmagazin: Ihre Botschaft für die HR-Community heißt heute aber: Es ist umsetzbar, wenn man es will.
Staff: Ja, es ist definitiv umsetzbar. In unserem Fall ist der Impuls sogar von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ausgegangen. Im Rahmen der Transformation haben sie in einer Initiative selbst diese Idee und dieses Modell entwickelt.
Personalmagazin: Herr Staff, Sie haben an der Hochschule Pforzheim Wirtschaft studiert und anschließend bei Top-Adressen der deutschen Wirtschaft gearbeitet: Debis Systemhaus, Daimler, Deutsche Post, SAP - und jetzt seit acht Jahren bei Atruvia. Ihr Lebenslauf liest sich zielstrebig. Waren Sie schon in der Schule ein Streber?
Staff: Nein, ich war und bin überhaupt kein Streber. Ich arbeite, um gut zu leben. Das war immer mein Motto und das gilt bis heute.
Augenhöhe und flache Hierarchien sind nötig
Personalmagazin: Sie haben eine Aufstiegskarriere gemacht und es bis zum Vorstand gebracht. Und jetzt führen Sie flache Hierarchien ein. Ist das nicht ein Widerspruch? Flache Hierarchien ermöglichen weniger Menschen eine klassische Aufstiegskarriere.
"Wir als #Vorstände oder #Manager müssen heutzutage auf Augenhöhe mit den Mitarbeitenden arbeiten, deshalb brauchen wir #flache Hierarchien." – Jörg Staff, Vorstand People und Business Services @atruvia_ag
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Staff: Ja, das mag als Widerspruch erscheinen, aber ich empfinde heute die Distanz, die sich häufig zwischen Top-Management und Mitarbeitenden aufbaut, befremdlich. Ich erinnere mich an ein Leadership-Meeting vor vielen Jahren, bei dem die Führungskräfte die Aufgabe bekamen, zu den Mitarbeitenden in die Büros zu gehen und eine Stunde lang mit ihnen über die Tagesthemen zu sprechen. Alle kamen nach dieser Stunde wie berauscht zurück, weil sie dieses Erlebnis gar nicht mehr kannten. Wir als Vorstände oder Manager müssen heutzutage auf Augenhöhe mit den Mitarbeitenden arbeiten, deshalb brauchen wir flache Hierarchien.
Personalmagazin: Sie setzen sich auch für Diversity ein, daher möchten wir Ihnen zum Schluss ein paar Fragen stellen, die normalerweise Frauen nur Frauen beantworten müssen. Wie vereinbaren Sie Ihre Arbeit mit Familie und Privatleben?
Staff: Ich nehme gezielt Auszeiten und reserviere dafür Zeit. Ich habe beispielsweise meinen Jahresurlaub für 2022 schon geplant.
Personalmagazin: Werden wir noch ein bisschen konkreter: Mussten Sie sich zwischen Kind und Karriere entscheiden?
Staff: Karriere war früher ein großes Thema für mich, deshalb habe ich mich damals mehr für die Karriere entschieden. Leider habe ich damals zu wenig Zeit mit der Familie verbracht, muss ich heute ehrlicherweise sagen. Im Nachhinein versuche ich jetzt Dinge anders zu machen, die ich damals zum Beispiel mit meiner Tochter oder Familie versäumt habe.
Personalmagazin: Sie tragen viel Verantwortung. Warum trauen Sie sich das eigentlich zu?
Staff: Das ist eine gute Frage, über die ich noch nie nachgedacht habe. Aber meine spontane Reaktion: Man wächst mit der Aufgabe, man wächst über Erfahrungen und Erlebnisse in neue Aufgaben hinein und damit nimmt automatisch auch die Verantwortung zu.
Zielvorgaben ja, Quote eher nein
Personalmagazin: Wie stehen Sie zur Frauenquote? Sind Zielvorgaben oder Quoten ein gutes Instrument, um der Präsenz von Frauen in der Führung zu stärken?
Staff: Zielvorgaben ja, Quote eher nein. Zielvorgaben sorgen für Transparenz, und sie sind ein Messkriterium, um das Thema voranzubringen. Diversity ist für mich aber mehr als Frauenförderung.
Personalmagazin: Wie ist es Ihnen gelungen, in Ihrer Position ernst genommen zu werden?
Staff: Indem ich immer zuhöre, indem ich versuche den Standpunkt der oder des anderen zu verstehen, und indem ich mich auch für andere Themen interessiere.
Personalmagazin: Frauen werden auch oft gefragt, ob sie sich als Role Model für andere Frauen sehen. Würden Sie sagen, dass Sie ein Role Model für jüngere Männer sein können?
Staff: Das wäre vermessen. Aber eine gewisse Vorbildfunktion sehe ich schon. Ich würde lieber von einer Mentoring-Funktion sprechen.
Personalmagazin: Entspricht ihr heutiges Outfit dem, was Sie sonst im Büro tragen? Und wie kleiden Sie sich in Ihrer Freizeit?
Staff: Ich kleide mich tatsächlich sehr oft so wie heute, immer seltener mit Anzug und Krawatte. Einen Anzug trage ich bei offiziellen Gelegenheiten, wie zum Beispiel Aufsichtsratssitzungen, aber selbst da mittlerweile häufig ohne Krawatte. Und privat kleide ich mich noch etwas legerer.
Zur Person: Jörg Staff ist Vorstand People und Business Services bei der Atruvia AG. Das Mittelstandsunternehmen ist der IT- und Digitalisierungs-Dienstleister der Volks- und Raiffeisenbanken. Von den Leserinnen und Lesern des Personalmagazins wurde Jörg Staff zum "CHRO of the Year 2021" gewählt.
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