Jetzt sei der perfekte Moment für HR als Treiber der Digitalisierung gekommen - das wiederholen Analysten und Experten seit Beginn der Corona-Krise. Wer für jeden gelesenen Blog-Beitrag über die Beschleunigung der digitalen Transformation in Zeiten von Covid-19 einen Euro bekäme, könnte davon wohl eine Insel im Mittelmeer kaufen.
Remote Work hat sich durchgesetzt
Trotz oder gerade wegen des Hypes ist klar: Covid-19 hat die digitale Transformation beschleunigt. Auch Organisationen, die sich jahrelang gegen das Remote-Arbeiten ausgesprochen hatten, wurden gezwungen, Homeoffice auszuprobieren. Die pessimistischen Prognosen, dass Mitarbeiter sich eher Netflix als ihrer Arbeit widmen, haben sich als falsch erwiesen. Viele Unternehmen haben sogar Mitarbeiter erfolgreich eingestellt, ohne dass diese jemals im Büro vorbeischauen mussten.
HR-Tech-Anbieter können jetzt beweisen, dass ihre Produkte wirklich funktionieren. Viele Startups schneiden dabei besser ab als erwartet. Das liegt teilweise an der neuen Dringlichkeit, die Covid-19 geschaffen hat: Die E-Learning-Nutzung steigt, ebenso wie der Einsatz von Umfrage- und Engagement-Tools. Auch die Nutzung vieler mobiler Anwendungen hat deutlich zugenommen.
Neue und geänderte Prozesse wie Kurzarbeit in Deutschland oder die Beurlaubungs-Regelungen in Großbritannien zeigen auch, dass flexible und gut konfigurierte Lohn- und Zeitmanagementsysteme besonders wertvoll sind. Unternehmen, die ihre Verwaltungsprozesse gut organisieren, erweisen sich als weitaus agiler und flexibler - gerade jetzt, wenn es wirklich darauf ankommt. Denn die Zusammenarbeit mit Anbietern, die die Regeln und Gesetze wirklich verstehen, wird gerade dann erfolgskritisch, wenn sich die Regelungen schnell und häufig ändern.
Die Datenqualität ist auch für scheinbar einfache Maßnahmen von enormer Bedeutung
Doch wenn der Wunsch nach Innovation die Qualität der Daten übersteigt, die in der Organisation über ihre Mitarbeiter vorliegen, ist Sorge angebracht. Beginnen wir mit einigen grundlegenden Beispielen. Können Ihre Daten folgendes bewältigen?
- Sie haben beschlossen, dass allen Leiharbeitnehmern in ihrem Unternehmen, die vor dem Shutdown über mehr als sechs Monate mindestens 20 Stunden im Monat gearbeitet haben, eine Härtezahlung gewährt wird. Können Sie diese Leiharbeitnehmer identifizieren und die Zahlung veranlassen?
- Sie möchten, dass Ihre Mitarbeiter und Dienstleister vor der Rückkehr zur Arbeit ein neues Gesundheits- und Sicherheitsvideo ansehen und offiziell bestätigen, dass sie es gesehen haben. Wie können Sie das sicherstellen?
- Sie wollen Ihren pensionierten Mitarbeitern ein Geschenk schicken. Haben sie die entsprechenden Privatanschriften vorliegen?
Ein Härtetest: Überprüfen Sie, ob Sie tatsächlich alle Daten zur Verfügung haben, um solche Maßnahmen zu verwirklichen. Wissen Sie überhaupt, wer Ihre Leiharbeitnehmer sind, wann genau diese wo gearbeitet haben und wie Sie sie schnell erreichen können? Die traurige Tatsache ist, dass viele Organisationen solche Voraussetzungen nicht erfüllen. Aber keine noch so ausgefallene Technologie hilft, wenn Ihre Stammdaten nicht aktuell oder unvollständig sind. Wenn eine Adresse im ERP falsch eingetragen ist, ist sie falsch - egal, ob sie in der Cloud oder auf dem hauseigenen Server gespeichert ist.
Bevor Sie also neue Maßnahmen oder gar neue Technologie einsetzen, bestehen Sie auf eine Genauigkeitsprüfung Ihrer HR-Kerndaten. Fangen Sie dabei erstmal vor ihrer eigenen Haustüre an: Wenn Ihre eigenen 30 bis 40 Schlüsseldatenelemente nicht genau zutreffen, ist es sehr unwahrscheinlich, dass dies bei anderen Daten der Fall ist. Wenn Sie selbst das Gesundheits- und Sicherheitsvideo nicht angesehen haben, ist es schwer zu erwarten, dass Ihre Belegschaft hier mehr leistet.
HR muss Datenkompetenz aufbauen
Seien Sie realistisch: Durch den Hype um künstliche Intelligenz kommen manche Unternehmen zum Glauben, dass sie die Abwanderung von Arbeitskräften durch eine "KI-Magie" vorhersagen können, oder schlimmer noch, die Coronavirus-Verbreitung in der Belegschaft nachverfolgen und vorhersagen können. Aber selbst KI und Machine Learning sind nur so gut wie die Daten, die sie füttern.
Deshalb ist es wichtig, die Datenqualität zu einem expliziten Ziel im Unternehmen zu ernennen, die Datenqualität ständig zu überwachen und zu verbessern. Fragen Sie sich, wie gut die Daten sind, und erstellen Sie einen Plan, welche Daten Sie benötigen. Je häufiger die Daten im Unternehmen verwendet werden, desto besser ist langfristig auch die Datenqualität. Wenn Prozesse bereitgestellt werden, die einfach zu bedienen und für die Belegschaft relevant sind, werden diese eher genutzt und die Daten eher auf dem neuesten Stand gehalten.
Eine erfolgreiche digitale Transformation erfordert, dass HR sich stärker als Datendisziplin versteht. Das beginnt mit den Grundlagen und bietet viele Möglichkeiten. Aus großartigen Daten ergeben sich großartige Erkenntnisse.
Thomas Otter ist Gründer von Otter Advisory und berät große und kleine Unternehmen, Investoren und HR-Tech-Anbieter. Zuvor leitete er das Produkt-Management bei SAP Success Factors und war Research Vice President bei Gartner für HR Tech. Das Zusammenspiel von HR und Technologie fasziniert, desillusioniert und inspiriert ihn immer wieder.