"Reines Online-Coaching wird es nie geben"
Haufe Online Redaktion: Kontaktsperren, Kurzarbeit und eine prognostizierte Rezession: Keine guten Vorzeichen für den Coaching-Markt. Macht sich die Krise bereits bemerkbar?
Alexander Brungs: Ja, seit zwei Wochen sind die Aufträge massiv eingebrochen. Von einem Tag auf den anderen war das Monatseinkommen von vielen Verbandsmitgliedern weg. Bei dem hohen Anteil an Solo-Selbstständigen in unserer Branche ist das besonders problematisch, denn diese wirtschaften eher kurzfristig, haben oft nur geringe Rücklagen und haben nur eingeschränkt die Möglichkeit, sich jetzt kurzfristig neu aufzustellen. Deshalb sind gerade viele sehr beunruhigt.
Doch glücklicherweise gibt es in unserem Berufsstand auch noch andere Möglichkeiten als das Präsenzcoaching: Telefoncoaching, Videokonferenz oder Coaching-Plattformen beispielsweise. So wird dem Coaching nicht die komplette Arbeitsgrundlage entzogen, wir können auch in dieser Situation weiterarbeiten, zumindest bedingt.
Online-Coaching ist mehr als eine Behelfslösung
Haufe Online Redaktion: Kostenlose Online-Coaching- und Trainingsangebote sprießen derzeit wie Pilze aus dem Boden. Sind das die ersten, verzweifelten Versuche, den Coaching-Markt aufrecht zu erhalten, obwohl das Geschäft wegbricht?
Brungs: Verstärktes Marketing kann man in dieser Situation sicherlich niemandem zum Vorwurf machen. Aber es stellt sich die Frage, was im Einzelnen dahintersteckt. Es gibt viele Angebote, die darauf aus sind, in einer Goldgräberstimmung jetzt schnell Geld zu machen. Andererseits gibt es auch viele gute Anbieter, die schon länger am Markt sind und auf Erfahrung zurückgreifen können.
Speziell bei den Plattformen muss außerdem genau unterschieden werden, ob es sich um eine der sehr wenigen Plattformen handelt, die tatsächlich sinnvolle Werkzeuge und virtuelle Umgebungen für digitales Coaching bieten oder ob nur eine reine Coaching-Vermittlung angeboten wird. Bei diesen Vermittlungsplattformen geht es allein darum, eine Schnittstelle der Vermittlung aufzubauen und somit den Marktzugang zu kontrollieren. Als Verbandsvertreter stehe ich solchen Versuchen eher kritisch gegenüber.
"Es gibt viele Angebote, die darauf aus sind, in einer Goldgräberstimmung jetzt schnell Geld zu machen." - Alexander Brungs
Haufe Online Redaktion: Hat die Branche es bislang verpasst, rechtzeitig auf digitale Technologien umzustellen und umzuschulen?
Brungs: Insgesamt sind wir an dem Thema schon lange dran, manche Entwicklungen vollziehen sich jetzt eben schneller und vielleicht unkoordinierter als gedacht. Sicherlich gibt es auch einzelne Akteure, die bisher etwas zögerlich bei den Veränderungen waren. Dafür sehe ich drei Gründe. Erstens steht die Coaching-Branche noch stark unter dem Einfluss der Pionier-Generation. Diese Generation hat unter großem Engagement und unter ganz anderen Bedingungen Coaching in Deutschland aufgebaut und jahrelang die Branche geprägt, steht aber heute quasi kurz vor dem Ruhestand. Diese Generation unter den neuen Umständen mitzunehmen, ist jetzt schwierig. Wenn mehr junge Menschen in der Szene aktiv wären, würde es vielleicht schneller gehen. Zweitens gibt es – wie in allen Branchen – Menschen, die schneller vorangehen, vielleicht auch zu schnell, und andere, die etwas zögerlicher mit Veränderungen umgehen.
Drittens gibt es noch einen inhaltlichen Grund. Coaching findet zwischen Menschen statt. Es gibt dabei eine körperliche Dimension, die kein digitales Tool ersetzen kann, eine konkrete Ebene, die nicht virtuell oder theoretisch bearbeitet werden kann.
Haufe Online Redaktion: Online-Coaching ist also eine Behelfslösung, die nicht alles abdecken kann?
Brungs: Nein, Online-Coaching ist mehr als eine Behelfslösung. Es gibt Themen, für die sich Online-Coaching besonders gut eignet und trotz mancher Unzulänglichkeiten bietet Online-Coaching auch viele Vorzüge. Aber diese Vorzüge sind nur in Kombination mit Präsenzcoaching sinnvoll. Ein reines Online-Coaching wird es deshalb nie geben können. Die Zukunft liegt vielmehr in hybriden Formaten wie etwa Blended Coaching, bei denen Präsenz- und virtuelle Formate kombiniert werden.
Aus- und Weiterbildungen für Online-Coaching entstehen
Haufe Online Redaktion: Für Online-Coaching braucht es zusätzliche Kompetenzen. Aber bislang gibt es dafür keine vorgeschriebenen Bestandteile in Zertifizierungs- oder Ausbildungsprozessen. Wird sich auch das in Zukunft ändern?
Brungs: Garantiert. Wir sind zwar als Verband von den aktuellen Entwicklungen etwas übermannt worden, aber wir waren schon vorher dabei, solche Fortbildungen zu entwickeln. Das Ganze muss jetzt eben etwas schneller gehen als geplant. Sicherlich werden auch andere Verbände und Institutionen schnell entsprechende Angebote bieten.
Personalverantwortliche allerdings, die jetzt ihre Coaching-Pools überarbeiten, müssen genau darauf achten, welche Kompetenzen vorhanden sind. Denn manche Anbieter werden mit heißen Nadeln stricken, entsprechende Qualitätseinbußen wird man dann möglicherweise erst hinterher erkennen.
Die Verbände müssen deshalb Regularien entwickeln, um diesen Anforderungen gerecht zu werden und gleichzeitig die Qualitätsstandards zu sichern. Wir können es uns dabei nicht leisten, Angebote auf die Schnelle hinzuwerfen, die keinen inhaltlichen Bestand haben. Vielmehr braucht es jetzt einen Prozess der kontinuierlichen Verbesserung, bei dem eventuelle Fehler ausgebügelt werden können.
"Wir können es uns nicht leisten, Angebote auf die Schnelle hinzuwerfen, die keinen inhaltlichen Bestand haben." - Alexander Brungs
Haufe Online Redaktion: Die deutsche Coaching-Landschaft ist sehr stark von zahllosen kleinen Anbietern und Freiberuflern geprägt. Wie nehmen Sie diese bei den anstehenden Veränderungen mit?
Brungs: Zu unserer Zertifizierung gehört auch eine Weiterbildungspflicht, wie bei allen seriösen Coaching-Zertifizierungen. Wer sich als Coach nicht weiterbildet, riskiert also sein Zertifikat. An dieser Stellschraube können wir als Verband ansetzen und spezielle Weiterbildungsmaßnahmen anbieten. Wir können hier auf unsere bestehenden Angebote aufbauen und diese ausbauen. Wenn Einzelne diese Weiterbildungsmaßnahmen nicht wahrnehmen sollten, können wir das zwar zunächst nicht ändern, aber langfristig werden diese mit entsprechend härteren Marktbedingungen zu kämpfen haben.
Tipps für die Suche nach einem Online-Coach
Haufe Online Redaktion: Wie können Unternehmen aktuell erkennen, ob ein Coach hinreichend für Online-Formate qualifiziert ist?
Brungs: Prüfen Sie die formalen Voraussetzungen, beispielsweise der Datenschutz-Grundverordnung. Kann der Anbieter die entsprechenden Vorgaben einhalten? Unter den Bedingungen der DSGVO kommt es natürlich nicht in Frage, Messenger-Apps oder Videokonferenzsysteme zu nutzen, die wir aus dem privaten Alltag kennen. Ein Coach, der sich damit auseinandergesetzt hat, wird Ihnen Alternativen nennen, die den Datenschutzbestimmungen Rechnung tragen und beispielsweise Daten nur über Server innerhalb der EU verarbeiten.
Fragen Sie auch gezielt nach verschiedenen und alternativen digitalen Kommunikationsmöglichkeiten. Wenn jemand beispielsweise vorgibt, sich mit Social Media auszukennen und auf Nachfrage aber nur Erfahrungen mit einem speziellen Netzwerk mitbringt, ist das etwas anderes als wenn er ihnen differenziert die Funktionsweise und die Vor- und Nachteile verschiedener Plattformen erläutern kann.
Natürlich kann man auch nach einschlägigen Ausbildungen fragen, aber dabei muss beachtet werden, dass es bislang nur sehr wenige Aus- und Weiterbildungen in dem Bereich gibt. Gleichwohl gibt es Coaches, die beispielsweise aus der Online-Didaktik oder ähnlichen Fachbereichen kommen.
Und im Übrigen: Wenn Sie schon eine oder einen Coach haben, der bisher präsent beziehungsweise vor Ort gearbeitet hat, spricht erstmal nichts dagegen, die Zusammenarbeit zunächst am Telefon fortzuführen. Hier gibt es zwar bestimmte Beschränkungen, mit denen man sich arrangieren muss, aber auch das ist möglich.
"Wenn Sie schon eine oder einen Coach haben, spricht erstmal nichts dagegen, die Zusammenarbeit zunächst am Telefon fortzuführen." - Alexander Brungs
Haufe Online Redaktion: Im Moment arbeiten Unternehmen und Führungskräfte noch im Krisenmodus. Denkt da überhaupt noch jemand an Coaching?
Brungs: Obwohl sicherlich viele gerade mit existenziellen Sorgen zu tun haben: Vielleicht gibt es jetzt sogar die Gelegenheit, sich Dingen zu zuwenden, die bisher aufgeschoben wurden. Warnen möchte ich aber vor einem Coaching aus der Not heraus. Aus dieser aktuellen Panik würde ich nicht große Lebensthemen bearbeiten. Wer sich jetzt aber entscheidet, ein Coaching anzugehen, wird auf viele offene Ohren stoßen. Man sollte sich trotzdem nicht verleiten lassen, die günstigen Marktbedingungen auszunutzen, sondern den oder die Coach sorgfältig auswählen.
Zur Person: Alexander Brungs ist seit 2010 als Coach tätig und seit 2016 Vorstand des Deutschen Coaching Verbandes. Für den Verband verantwortet er die Öffentlichkeitsarbeit sowie die strategische Ausrichtung und vertritt in dieser Funktion auch den DCV in der Zusammenarbeit mit anderen Coaching-Verbänden. Er lebt aktuell in Potsdam und arbeitet als Projektmitarbeiter an der Professur für Neuere Geschichte (deutsch-jüdische Geschichte) der Universität Potsdam.
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