Leitlinien für eine nachhaltige Vorstandsvergütung

Der "Arbeitskreis Leitlinien für eine nachhaltige Vorstandsvergütung" hat drei Dokumente vorgelegt, mit denen ESG-Ziele in der Vorstandsvergütung verankert und mehr Transparenz in den Vergütungsberichten hergestellt werden sollen. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, doch insgesamt ist das Vorgehen zu wenig ambitioniert. Eine Analyse von Personalmagazin-Herausgeber Reiner Straub.

Mit Vergütungsberatung und Corporate Governance beschäftigt sich Michael Kramarsch, Managing Partner der HKP Group, seit über zwei Jahrzehnten. Der Berater hat eine Spürnase für Trends. Vor zwanzig Jahren hat er sich für die aktienbasierte Vorstandsvergütung stark gemacht, was zum Zeitgeist des Shareholder Values passte. Jetzt macht er sich für eine nachhaltige Vorstandsvergütung und für mehr Transparenz in den Vorstandsberichten stark.

Zusammen mit Hans-Christoph Hirth initiierte er den "Arbeitskreis Leitlinien für eine nachhaltige Vorstandsvergütung", der jetzt seine "Best-Practice-Leitlinien für eine einfache und an einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung ausgerichteten Vorstandsvergütung" sowie zwei Whitepaper vorlegte. Diese entahlten Empfehlungen und Anforderungen für mehr Transparenz und die Verankerung der "Environmental and Social Governance"-Ziele (ESG). Vorgestellt wurden die Papiere auf einer Konferenz im September 2021, die unter dem ambitionierten Leitmotto "Vom Shareholder- zum Stakeholder-Kapitalismus?" stand.

Botschaft: Umweltschutz als Investitionsschutz

Für ökologische Nachhaltigkeit machen sich nicht nur die Aktivisten von "Fridays for Future" stark, auch die Investoren haben das Thema auf ihrer Agenda. Letztere sehen im Umweltschutz kein Thema für das Überleben des Planeten, sondern schlicht "Investitionsschutz" – wie in einem der Papiere erläutert wird. Der Arbeitskreis greift das auf und zeigt auf, wie die Erwartungen der Investoren in die Vergütungspraxis umgesetzt werden können. Wenn diese Lösung dann auch noch von einem "hochkarätigen Gremium", zu dem wichtige Aufsichtsratsvorsitzende gehören, geteilt wird, bekommt die Botschaft zusätzlich Gewicht.

Richtige Kriterien

Der Arbeitskreis schlägt vor, die ESG-Ziele in der variablen Vergütung zu verankern. Die Empfehlung lautet: mit "mindestens 20 Prozent". Das ist eine naheliegende und einfache Lösung. Den Investoren kann damit signalisiert werden, dass ihre Anforderungen umgesetzt werden. Doch für die eigentliche Aufgabe, ESG-Ziele in der Unternehmenspraxis umzusetzen, ist das eher ein Tropfen auf den heißen Stein. Eine Änderung der Vergütungskultur oder des Zielsystems in den Unternehmen dürfte damit vermutlich nicht eingeleitet werden. Den Mitgliedern im Arbeitskreis ist das offenbar bewusst, haben sie doch in dem Papier einen bemerkenswerten Satz formuliert: "Zu berücksichtigen ist, dass die Leistung der Vorstandsmitglieder wesentlich auf deren Eigenmotivation beruht". Der vorgeschlagene Anreiz hat deshalb vor allem eine symbolische und kommunikative Funktion.

Das Thema der sozialen Nachhaltigkeit hat für Investoren nur eine geringe Bedeutung, für Stakeholder, Beschäftigte und Zivilgesellschaft allerdings ist es von erheblicher Bedeutung. Die Höhe der Vorstandsgehälter wird seit vielen Jahren in der Öffentlichkeit kritisch kommentiert, was in den Papieren erwähnt wird. Der Arbeitskreis wiederholt den Grundsatz, dass die Vorstandsvergütung angemessen und marktüblich sein soll. Das Problem des Grundsatzes: Er hat die Entkoppelung der Vorstandsgehälter von der allgemeinen Lohnentwicklung in den letzten drei Jahrzehnten möglich gemacht. Das lag vor allem am Kriterium der "Marktüblichkeit". Die Aufsichtsräte haben immer wieder Vergleichsgruppen herausgezogen, mit denen die Erhöhung der Gehälter begründet werden konnte. Die Gewerkschaftsvertreter waren dabei stets beteiligt, wenn auch häufig mit geballter Faust in der Hostentasche. In dem Papier wird das eingeräumt, allerdings mit der größtmöglichen Unverbindlichkeit. An einer Stelle heißt es dort, "dass Marktvergleiche zu einer permanenten Aufwärtsentwicklung führen könnten". Für die Entwicklungen in der Vergangenheit wird mit dieser Formulierung keine Verantwortung übernommen und für die Zukunft lässt man alles offen.

Ein Schritt nach vorne ist beim Kriterium der Angemessenheit gelungen, indem der Blick auf die vertikale Angemessenheit in den Leitlinien verankert wird. Die Vorstandsgehälter müssten auch im Vergleich zum "obersten Führungskreis und der Belegschaft" festgelegt werden. Das ist ein Schritt nach vorne, denn es wird damit formuliert, dass nicht allein der freie Markt Maßstab für die Vorstandsvergütung sein kann, sondern auch die interne Verteilungsgerechtigkeit. Was allerdings ein angemessenes Verhältnis sein kann, darüber wird in der Gesellschaft heftig gestritten. Der Arbeitskreis nimmt dazu (leider) keine Stellung.

Gefangen im eigenen Horizont

Die Zusammensetzung des Arbeitskreises, in dem Multi-Aufsichtsräte wie Ulrich Lehner, Kurt Bock und Werner Brandt mitarbeiten, erschwert den Blick auf das Thema Nachhaltigkeit. Die jüngst in die Aufsichtsräte berufenen Frauen, Arbeitnehmervertreter oder auch Vertreter der Zivilgesellschaft waren nicht vertreten, sodass auch nicht über die Frage diskutiert werden konnte, was Nachhaltigkeit heute ausmacht. Michael Kramarsch begründet die Zusammensetzung des Arbeitskreises damit, dass die faktische Gestaltungsmacht der Vorstandsgehälter bei den derzeitigen Aufsichtsratsvorsitzenden liege. Diese Blickverengung spiegelt sich in den Ergebnissen wider. Selbstkritik ist in den Dokumenten kaum zu finden, dafür aber Rechtfertigungen. "Ein zu starker Anstieg der Vergütung für Vorstandsvorsitzende im Dax ist in den Jahren 2006 bis 2016 nicht festzustellen", heißt es in einem Satz, der gar nicht zu dem selbst formulierten Kriterium der vertikalen Angemessenheit passt. Dieser Satz blendet die Realität aus, die die Studie "Manager To Worker Pay Ratio 2017" der Hans-Böckler-Stiftung aufzeigt: Das Gehalt der Dax-Vorstände stieg im oben genannten Zeitraum vom 42fachen (2005) eines Durchschnittsgehalts der Beschäftigten auf das 71fache (2016). Für den Arbeitskreis war das offenbar kein Thema, mit dem man sich auseinandersetzen wollte.

Altersversorgung top

Die Vorschläge zu mehr Transparenz bei der Altersversorgung in den Vorstandsberichten können dagegen überzeugen. "Zusagen zur betrieblichen Altersversorgung sollen – wenn überhaupt – beitragsorientiert und ausschließlich an die Festvergütung geknüpft werden", fordert der Arbeitskreis. Es bleibt die Hoffnung, dass die Mitglieder des Arbeitskreises das nicht als Lippenbekenntnis formuliert haben, sondern in ihrem Gestaltungsbereich auch durchsetzen.

Leitlinien zur Vorstandsvergütung: gemischtes Resümee

Kramarsch betrachtet die Initiative als "vollkommen unverbindlich, aber gleichzeitig hoch relevant". Die Vorschläge haben keine normative Funktion, sie sollen Vorbildcharakter haben. Beim Thema "mehr Transparenz in den Vergütungsberichten" und der praktischen Verankerung von ESG-Zielen in der variablen Vergütung ist das gelungen. Beim Thema "soziale Nachhaltigkeit der Vorstandsvergütung" hat dem Arbeitskreis der Mut gefehlt, sich klarer zu positionieren und etwas verändern zu wollen. Bei der ökologischen Nachhaltigkeit kann die Vorstandsvergütung nur unterstützend wirken, entscheidend bleiben das Zielsystem der Unternehmen, die regulatorischen Vorgaben und die Zivilgesellschaft.


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