Kriminalfälle scheinen seit jeher Menschen zu faszinieren. Anders ist kaum zu erklären, warum unzählige Kriminalromane geschrieben und so viele Kriminalfilme jede Woche über den Bildschirm laufen. Die einen lieben vielleicht die gruselige Vorstellung, dass sie das nächste Opfer sein könnten, während andere ihre Kombinationsgabe trainieren wollen, wenn sie sich, einem Sherlock Holmes gleich, auf die Suche nach dem Täter begeben. Manche hoffen auf eine Bestätigung für ihren Glauben an eine gerechte Welt, denn schließlich obsiegt in den meisten Krimis am Ende das Gute über das Böse. Wieder andere holen sich Anregungen für den perfekten Mord – Lesen bildet bekanntlich.
Mehr und mehr stehen dabei nicht nur klassische Kriminalermittler im Fokus des Interesses, sondern ihre Unterstützer aus der Wissenschaft: Menschen, die aus dem Wachstum von Käferlarven auf einen Tatzeitpunkt schließen, aus einer einzelnen Hautschuppe die komplette DNA des Täters ableiten oder aus dem Mageninhalt einer Leiche den Jahrgang des zuletzt genossenen Rebensafts ermitteln.
Profiler stehen dank Krimis im Rampenlicht
Nicht minder interessant sind sogenannte (Kriminal-)Profiler. Sie schauen sich den Tatort, das Opfer und den Tathergang genau an, um daraus auf mögliche Eigenschaften des Täters zu schließen. Zum Teil können sie dabei auf wissenschaftlich abgesicherte Ergebnisse zurückgreifen – Giftmörder sind meist Frauen, Sexualstraftäter Männer zwischen 16 und 60 Jahren, sadistische Täter sind auch schon in ihrer Kindheit auffällig gewesen. Zu einem sehr viel größeren Teil stellen sie jedoch einfach Mutmaßungen über die Persönlichkeit des Täters an, die wissenschaftlich keineswegs abgesichert sind: Täter, die ihre Leiche zudecken, sind vielleicht eher schüchterne Typen, die noch Schuld empfinden können. Möglicherweise neigen sie aber auch zu einer besonderen Reinlichkeit. Wer zehn Mal zusticht, ist entweder Perfektionist oder leicht aus der Reserve zu locken.
Validität von Profiling: eine große Unbekannte
Über die Validität des Profilings ist bislang so gut wie nichts bekannt. In den Medien werden eher spektakuläre Erfolgsfälle verbreitet, während die Fälle, bei denen es nicht funktioniert hat, im Verborgenen bleiben. Dennoch ist es keineswegs sinnlos, bis auf Weiteres diese eher hemdsärmelige Art des Profilings zu betreiben und zwar aus einem einzigen Grunde: Es gibt derzeit keine besseren Alternativen.
Profiling in der Personalauswahl: Der Trend schwappt rüber
Eigentlich wäre all dies gar kein Thema für eine Kolumne der Wirtschaftspsychologie, wenn es nicht Leute gäbe, die als vermeintliche (Kriminal-)Profiler ihre Dienste auch Unternehmen anbieten. Das Prinzip ist altbekannt: Im Personalwesen lässt sich so ziemlich jede Methode vermarkten, sofern sie mit mindestens einem Bein tief in der Küchenpsychologie steckt. Kann man nicht von Pferden Führung lernen? Pferde sind doch so viel sensibler als Mitarbeiter. Spiegelt sich in der Physis eines Menschen nicht dessen Persönlichkeit? Erfolgreiche Manager sind doch oft groß und kräftig. Ist nicht nur ein erfahrener Interviewer auch ein guter Interviewer? Schließlich hat er so viele Menschen kennengelernt, dass er geradezu zwangsläufig zu einem Menschenkenner gereift sein muss.
(Kriminal-)Profilings in der Personalauswahl: Warum das absurd wäre, erklärt Prof. Dr. Uwe P. Kanning in seiner #Haufe-Kolumne.
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Wer im Personalwesen solche Dinge glaubt, für den ist es oft nur noch ein sehr kleiner Schritt, auch anzunehmen, dass man aus wenigen Daten über einen Bewerber nicht nur treffsicher auf dessen kriminelles Potenzial, sondern auch auf seine Eignung für ganz alltägliche Arbeitsaufgaben schließen kann. Was im Kriminalwesen zu funktionieren scheint, sollte doch auch im Personalwesen nutzbar sein. Oder etwa nicht?
Profiling: Marketing-Gag für Personaler
Verführt wird der Gläubige durch ein gutes Marketing: Als Anbieter verweist man auf zahlreiche (halb-)akademischen Qualifikationen. Man ist nicht einfach nur Pädagoge, sondern gleich auch noch Psychologe, Psychotherapeut, Psychoanalytiker und natürlich Profiler. Je mehr desto besser. An vielen Hochschulen hat man gelehrt, geht ein und aus bei renommierten Firmen, die bekanntlich ausnahmslos erstklassige Berater engagieren. Ob all dies stimmt, wird (fast) nie jemand überprüfen.
Gedeutet wird, was einem in die Finger gerät: Name, Alter, Frisur, Brille, Körperhaltung und was sich sonst noch so an Datenmüll auftreiben lässt. So sichert man das eigene Urteil breit ab und läuft nicht Gefahr, von findigen Bewerbern belogen zu werden. Zum Einsatz kommen irgendwelche geheimen Computeralgorithmen, vielleicht aber auch nur Intuition und Erfahrung. So genau erfährt man das nicht, denn schließlich muss der Profiler sein Produkt vor der Konkurrenz schützen. Coca-Cola stellt ja auch nicht seine Formel ins Netz. Wenn der Profiler dann auch noch lebendige Vorträge halten kann, steckt er so manchen einfältigen Zeitgenossen ganz locker in die Tasche.
50 Jahre empirische Forschung zur Personalauswahl machen spekulative Deutungen unnötig
Wer als Personaler ernsthaft glaubt, er könne von geheimnisvollen Profilern etwas über gute Personalauswahl lernen, der hat offenbar seine Hausaufgaben nicht gemacht. Anders als in der Kriminalistik ist in der Personalauswahl heute niemand darauf angewiesen, hoch spekulativen Deutungen zu folgen. Im Gegensatz zur Analyse von Täterprofilen können wir in der Personalauswahl auf 50 Jahre empirische Forschung zurückgreifen. Jährlich erscheinen mehr als 700 wissenschaftliche Publikationen rund um dieses Thema. In keinem Bereich des Personalwesens können wir heute so gut aus der Forschung ableiten, wie professionelle Arbeit eigentlich aussehen sollte.
Wenn Personaler wie Mediziner denken würden
Wie absurd die Akzeptanz des (Kriminal-)Profilings in der Personalauswahl wäre, fällt vor allem dann auf, wenn man einen Blick in andere Branchen wirft. In der Medizin haben selbsternannte Wunderheiler keinen Platz in den Reihen der Profis, ja sie gelten nicht einmal als satisfaktionsfähig. Sie treten nicht bei medizinischen Fachkongressen auf, sondern dürfen allenfalls beim Jahrestreffen des Esoterik-Ortsverbands in Wipperfürth große Reden schwingen.
Vielleicht erreicht das Personalwesen irgendwann auch diesen Zustand der Professionalität. Jedenfalls wünsche ich meinen Studentinnen und Studenten, dass zumindest sie dereinst in Ehren ergraut diesen schönen Tag noch erleben dürfen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Der Kolumnist Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.
Schauen Sie auch einmal in den Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" rein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend, warum Manager scheitern, warum die Aussagekraft von graphologischen Gutachten ein Mythos ist oder was Sprachanalysen über die Persönlichkeit aussagen können.
An einem ECHTEN Austausch zu diesem Thema hätte ich dagegen wirklich Interesse.