Unternehmen sollten Generativität fördern und Generationenstereotypen entgegenwirken
In der Personalpraxis wird die Bedeutung von Generationenunterschieden häufig herausgestellt, eine wissenschaftliche Basis zu größeren Unterschieden der Werte und Einstellungen zwischen den Generationen gibt es allerdings nicht. Anstelle der Untersuchung vermeintlicher Unterschiede zwischen Generationen möchten wir in diesem Beitrag deshalb den Fokus auf einen verwandten, bislang in der Praxis aber weitaus weniger prominenten Aspekt legen: der Generativität, das heißt dem Motiv älterer Beschäftigter, jüngeren Kolleginnen und Kollegen etwas Positives zu hinterlassen. In den letzten Jahren ist das Forschungsinteresse an diesem Thema gestiegen, und es liegen bereits Metaanalysen vor, welche den Stand der Forschung zur Generativität gut zusammenfassen.
Im Folgenden wollen wir uns deshalb insbesondere mit der Frage beschäftigen, welchen Einfluss Generativität auf personalwirtschaftliche Erfolgsgrößen hat und welche Faktoren Generativität beeinflussen. Wir starten mit einem kurzen Update zu Generationsunterschieden, um dann den Fokus auf Generativität zu legen. Wir führen dazu kurz die theoretischen und empirischen Grundlagen des Konzepts ein, bevor wir empirische Ergebnisse vornehmlich aus den beiden Metaanalysen Doerwald et al. (2021) und Wiktorowicz et al. (2022) vorstellen.
Generationenunterschiede – ein Update
Wir haben uns bereits in einem der ersten State-of-the-Art-Beiträge kritisch mit behaupteten Generationenunterschieden auseinandergesetzt, damals mit Bezug zur Generation Y im Vergleich zur Vorgängergeneration X und den Babyboomern (Biemann/Weckmüller, 2013). Theoretisch haben wir auf den Unterschied zwischen Generationeneffekten und Alterseffekten hingewiesen. Methodisch folgt daraus die Notwendigkeit von Längsschnittuntersuchungen, in denen die Wertvorstellungen der heute 20-Jährigen mit den Wertvorstellungen der heute 40-Jährigen verglichen werden, die letztere vor 20 Jahren geäußert haben. Empirisch basierten unsere Betrachtungen wesentlich auf den ersten Metastudien aus den USA, die auf Basis von Längsschnittstudien keine substanziellen Unterschiede aufzeigten. Inzwischen sind umfangreiche weitere Studien durchgeführt worden, auch speziell für Deutschland und mit großen Fallzahlen. Die international angelegte Metaanalyse von Keith L. Zabel und Kollegen (2017) weist nach, dass es keine Generationenunterschiede in der "Arbeitsmoral" (work ethics) gibt. Christoph Metzler und Kollegen (2014) nutzen für Deutschland das Sozioökonomische Panel, eine wiederkehrende Befragung, bei der in regelmäßigen Zeitabständen die gleichen Personen befragt werden. Sie finden keine substanziellen Unterschiede in den arbeitsbezogenen Werthaltungen. Martin Schröder (2018) untersucht in einer soziologischen Betrachtung unter anderem Lebensziele auf Basis von mehr als 70.000 Personen und spricht anschließend vom "Generationenmythos".
All diese Befunde haben allerdings nach unserer Wahrnehmung nicht dazu geführt, dass Generationenkonzepte in der praktischen Personalarbeit und der medialen Berichterstattung an Bedeutung verloren haben. Auch 2018 stimmten noch mehr als drei Viertel der im "HR-Wissenstest" befragten Personalmanagerinnen und Personalmanager der falschen Aussage zu, dass "Arbeitnehmer der Generation Y (nach circa 1980 geboren) grundlegend andere arbeitsbezogene Einstellungen und Wertvorstellungen haben als Arbeitnehmer der Vorgängergeneration (Generation X, zwischen circa 1965 und 1979 geboren)" (Biemann/Weckmüller/Kainer, 2018).
Inzwischen ist die nächste Alterskohorte, die Generation Z, auf dem Arbeitsmarkt angekommen und das mediale Spiel beginnt von Neuem. "Im Job motivieren die "Gen Z" vor allem ein gutes Gehalt und Spaß. Sie wollen die Viertagewoche, aber auch Karriere machen. Wie die Ansprüche einer Generation den Arbeitsmarkt verändern", so titelt beispielsweise das Handelsblatt (Telser, 2023). Die entsprechenden Managementratgeber liegen ebenfalls bereits vor (zum Beispiel Beilharz, 2023). Die Generation Alpha (2010-2025) ist zwar zum Teil noch nicht geboren, über die arbeitsbezogenen Werthaltungen wird dennoch bereits diskutiert.
Insgesamt besteht also weiterhin eine Diskrepanz zwischen empirischer Evidenz und dem Umgang mit dem Thema in der Praxis. Unsere Kritik an Generationenstereotypen umfasst aber nicht die Notwendigkeit der Betrachtung zunehmend altersheterogener Belegschaften. Nicht zuletzt wegen längerer Lebensarbeitszeiten aufgrund der Anhebung des Rentenalters arbeiten zunehmend Beschäftigte unterschiedlicher Altersgruppen in Unternehmen und es ist zu vermuten, dass die gegenseitigen Einstellungen zueinander die Qualität der Zusammenarbeit und damit mittelbar den Erfolg von Organisationen beeinflussen. Die Betrachtung von Generativität ist ein relevanter Baustein, die Bedeutung dieser Altersunterschiede besser zu verstehen.
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Generativität: Konzept und Messung
Das Konzept der Generativität geht auf die Entwicklungspsychologie von Erik H. Erikson (1950) zurück, die er gemeinsam mit seiner Frau Joan Erikson entwickelte. Innerhalb eines Stufenmodells der Ich-Entwicklung werden insgesamt acht aufeinander aufbauende Lebensphasen unterschieden, wobei Stufe 7 "Generativität" bezeichnet. Diese beinhaltet die Motivation, sich um zukünftige Generationen zu kümmern und für diese Verantwortung zu übernehmen. Dies erfolgt durch die Weitergabe von Erfahrungen, Wissen und Werten. Das Gegenteil der Generativität ist die Stagnation, in der sich die Person ausschließlich um sich selbst kümmert. Das Konzept wurde – ähnlich wie viele andere Ansätze der Psychologie – nicht primär für das Arbeitsleben entwickelt.
Der auf dem Konzept aufbauende deutsche Fragebogen zur Erfassung der gegenwärtigen Generativität (im Gegensatz zur Generativität im Lebensrückblick) umfasst vier Dimensionen: technische, soziale, kulturelle und ökologische Generativität (Schoklitsch/Baumann, 2011). Beispiel-Items des Fragebogens sind: "Es ist mir ein Anliegen, meine Erfahrungen an Jüngere weiterzugeben" oder "Es ist mir ein Anliegen, jüngere Menschen zu fördern". Speziell für den Arbeitskontext integriert Michálle E. Mor-Barak (1995) Generativität als eine von vier Dimensionen subjektiv sinnvoller Arbeit, die speziell für ältere Beschäftigte erfasst, inwieweit Arbeit als Möglichkeit gesehen wird, jüngere Beschäftigte anzuleiten und Fähigkeiten mit ihnen zu teilen.
Generativität hängt positiv mit personalwirtschaftlichen Erfolgsgrößen zusammen
Justyna Wiktorowicz untersucht mit Kollegen in einer Metaanalyse den Einfluss von Generativität auf personalwirtschaftliche Erfolgsgrößen (Wiktorowicz et al., 2022). Der Metastudie liegen insgesamt mehr als 30.000 Personen aus 65 Einzeluntersuchungen zugrunde. Die zentralen Ergebnisse sind in Abbildung 1 zusammengefasst. Dargestellt sind die korrigierten Korrelationskoeffizienten für den Zusammenhang zwischen Generativität und den jeweiligen Erfolgsgrößen. Insgesamt zeigen sich positive und mittelstarke Zusammenhänge zwischen Generativität und personalwirtschaftlichen Erfolgsgrößen wie Motivation (r=0,43) und Zufriedenheit (r=0,34). Die Einstellung zum eigenen Ausscheiden aus dem Arbeitsleben wird durch das Ausmaß an Generativität nicht wesentlich beeinflusst. Die Einschätzung der Qualität der Beziehungen am Arbeitsplatz hängt ebenfalls positiv mit der Generativität zusammen.
Zu bedenken ist, dass Wiktorowicz et al. (2022) wie auch Doerwald et al. (2021) eine kausale Richtung von Generativität auf motivationale Ergebnisgrößen wie Motivation und Zufriedenheit in ihren theoretischen Modellen annehmen, aber einschränken, dass die meisten Studien ein querschnittliches Design haben und entsprechend Kausalität nicht überprüft werden kann.
Welche Faktoren beeinflussen Generativität?
Generativität hängt mit relevanten personalwirtschaftlichen Erfolgsgrößen zusammen. Deshalb stellt sich die Frage, wodurch Generativität hervorgerufen wird und ob und in welchem Umfang die Organisation und die Personalarbeit Generativität beeinflussen können. Dieser Frage gehen Friederike Doerwald und Kollegen (2021) nach. Zunächst untersucht das Team auch die Wirkung von Generativität und findet Effekte auf personalwirtschaftliche Erfolgsgrößen in ähnlicher Größenordnung wie in der oben dargestellten aktuelleren Metastudie. Die Autoren unterscheiden bezüglich der abhängigen Variablen zwischen Motivation zur Generativität und tatsächlich gezeigtem generativem Verhalten. Die im Folgenden dargestellten Ergebnisse beziehen sich auf die Motivlage, weil hierzu die Studienlage besser, das heißt umfangreicher ist (für die unterschiedlichen Messkonzepte vgl. McAdams/St. Aubin, 1992). Bei den Einflussfaktoren zeigt sich ein schwach positiver Zusammenhang zwischen dem Alter der Beschäftigten und der Generativität (r=0,10). Beschäftigte, die sich näher am Ende ihres Arbeitslebens befinden, haben somit ein größeres Bedürfnis nach Generativität, wobei der Effekt signifikant aber schwach ist.
Ein starker Zusammenhang (r=0,48) besteht mit der Zentralität der Arbeit. Zentralität der Arbeit bezeichnet die relative Bedeutung der Arbeit im Vergleich zu anderen Lebensbereichen wie Familie oder Freizeit. Generativität kann grundsätzlich in vielen Lebensbereichen umgesetzt werden. Die hohe Korrelation zeigt, dass Generativität gerade dann im Arbeitsleben von Bedeutung ist, wenn die Arbeit für die Person selbst eine hohe Bedeutung hat. Zwischen Männern und Frauen bestehen keine signifikanten Unterschiede bezüglich der Generativität. Relevant hingegen sind wiederum die subjektiven Einschätzungen bezüglich der Ausgestaltung der eigenen Arbeit, wobei hier mittelstarke Zusammenhänge mit der empfundenen Autonomie (r=0,27) und den Herausforderungen am Arbeitsplatz (r=0,21) vorliegen.
Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse stellt sich die Frage, was Unternehmen konkret tun können, um Generativität zu fördern, das heißt, welche personalstrategischen Maßnahmen implementiert werden können. Hierzu liegen leider nur wenige explizite Untersuchungen vor, sodass eine metaanalytische Aggregation und Verallgemeinerung nicht möglich sind. Die oben dargestellten Ergebnisse legen aber nahe, dass Instrumente wie Coaching oder Mentoring geeignet sind, Motive der Generativität in konkrete Handlungen zu überführen. Dabei ist zu beachten, dass das Konzept der Generativität ausschließlich den Wissenstransfer von älteren zu jüngeren Beschäftigten untersucht. Die umgekehrte Richtung, von jung zu alt, zum Beispiel im Sinne eines Reverse Mentoring wird nicht betrachtet, was nicht bedeutet, dass diese weniger bedeutsam wäre.
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
- Generativität hängt positiv mit personalwirtschaftlichen Erfolgsgrößen zusammen und sollte deshalb in die Personalarbeit integriert werden.
- Statt vermeintliche Generationenunterschiede zu betonen, sollten Unternehmen die generationenübergreifende Zusammenarbeit und hier insbesondere die Weitergabe von Wissen und Fertigkeiten fördern.
- Generativität ist messbar und kann in Beschäftigtenbefragungen integriert werden.
- Beschäftigte, denen die Arbeit wichtig ist (Zentralität der Arbeit), weisen ein höheres Maß an Generativität auf.
Dieser Beitrag ist erschienen im Wissenschaftsjournal PERSONALquarterly, Ausgabe 1/2024 mit dem Schwerpunktthema "Diversity Management".
Literaturverzeichnis:
Beilharz, F. (2023): Manual Generation Z. Gabal, Offenbach.
Biemann, T./Weckmüller, H. (2013): Generation Y: Viel Lärm um fast nichts. Personalquarterly, 65(1), 46-49.
Biemann, T./Weckmüller, H./Kainer, F (2018): Der große HR-Wissenstest. https://zeitschriften.haufe.de/Downloads/Personal/Wissenstest_Der_Fragenkatalog.PDF
Doerwald, F./Zacher, H./Van Yperen, N. W./Scheibe, S. (2021): Generativity at work: A meta-analysis. Journal of Vocational Behavior, 125, 1-18.
Erikson, E. H. (1950): Childhood and Society, New York: Norton & Company.
McAdams, D. P./St Aubin, E. D. de (1992): A theory of generativity and its assessment through self-report, behavioral acts, and narrative themes in autobiography. Journal of personality and social psychology, 62(6), 1003-1015.
Metzler, C./Werner, D./Zibrowius, M. (2014): Arbeitsmarktergebnisse und berufliche Ziele der Generation Y im Vergleich zur Generation X. IW-Trends-Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung, 41(3), 3-19.
Mor-Barak, M. E. (1995): The meaning of work for older adults seeking employment: The generativity factor. The International Journal of Aging and Human Development, 41(4), 325-344.
Schoklitsch, A./Baumann, U. (2011): FraGen - Fragebogen zur Generativität [Verfahrensdokumentation aus PSYNDEX Tests-Nr. 9006390, Fragebogen zur Generativität im Lebensrückblick (FraGen-L), Fragebogen zur elterlichen Generativität (FraGen-E), Fragebogen zur gegenwärtigen Generativität (FraGen-G) und Auswertungsanleitung für alle drei Versionen]. In Leibniz-Zentrum für Psychologische Information und Dokumentation (ZPID) (Hrsg.), Elektronisches Testarchiv. Trier: ZPID.
Schröder, M. (2018): Der Generationenmythos. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 70 (3), 469-494.
Telser, F. (2023): Hat Gen Z zu hohe Ansprüche? https://www.handelsblatt.com/karriere/generation-z-hat-gen-z-zu-hohe-ansprueche/29330818.html
Wiktorowicz, J./Warwas, I./Turek, D./Kuchciak, I. (2022): Does generativity matter? A meta-analysis on individual work outcomes. European Journal of Ageing, 19(4), 977-995.
Zabel, K. L./Biermeier-Hanson, B. B./Baltes, B. B./Early, B. J./Shepard, A. (2017): Generational differences in work ethic: Fact or fiction? Journal of business and psychology, 32(3), 301-315.
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