Job Crafting: Wenn Beschäftigte ihre Aufgaben selbst gestalten
Im Topmanagement erscheint es uns selbstverständlich, dass die jeweiligen Führungskräfte nicht ein vorgefasstes Stellenprofil ausfüllen, sondern der Organisation "ihren Stempel aufdrücken", das heißt, die Aufgabe interpretieren, Beziehungen gestalten sowie individuelle Schwerpunkte und Akzente setzen. Für ausführende Tätigkeiten gilt dies zumindest traditionell nicht gleichermaßen. Vielmehr geht die klassische Organisationslehre davon aus, dass zunächst Arbeitsplätze als Aufgabenbündel beschrieben werden und sich die Stelleninhaber in dem klar vordefinierten Rahmen zu bewegen haben. Allerdings stellt sich in der durch Digitalisierung, Beschleunigung und Agilität geprägten neuen Arbeitswelt die Frage, inwieweit diese traditionelle Sichtweise noch angemessen ist. Job Crafting, das heißt die aktive Gestaltung von Arbeitsplatz und Arbeitsumgebung durch die Beschäftigten selbst, liefert hier eine neue mögliche Antwort.
Job Crafting ist zwar ein vergleichsweise junges Konzept innerhalb der Personalwirtschaft. Dennoch liegen bereits viele Untersuchungen dazu vor, die in mehreren quantitativen Metastudien bzw. qualitativen Reviews zusammengefasst sind (Rudolph et al., 2017; Park/Park, 2021; Oprea et al., 2019; Lichtenthaler/Fischbach, 2018), auf die sich die folgende Darstellung wesentlich bezieht. Im Fokus stehen dabei folgende Fragen: Wirkt Job Crafting positiv auf personalwirtschaftliche Erfolgsgrößen? Über diesen aggregierten Effekt hinaus soll die Frage beantwortet werden, ob bestimmte Formen von Job Crafting Erfolg versprechender sind als andere. Insgesamt zeigt sich ein positiver Effekt, sodass sich die Folgefrage anschließt, welche Faktoren das Ausmaß an Job Crafting beeinflussen und was Unternehmen aktiv tun können. Beginnen wollen wir mit einer kurzen Beschreibung des Konzepts.
Job Crafting: Verständnis, Formen und Messung
In der klassischen Organisationslehre sind einzelne Arbeitsplätze die kleinsten zu gestaltende Einheiten innerhalb einer Organisation. Im Analyse-Synthese-Konzept nach Kosiol (1976) wird zunächst das vollständige Leistungsprogramm einer Organisation in Teilaufgaben zerlegt und anschließend nach festgelegten Kriterien zu sinnvollen Aufgabenbündeln zusammengefasst. Dabei entstehen zunächst Arbeitsplätze, anschließend Gruppen, Abteilungen und Bereiche, die in der Aufbau- und Ablauforganisation systematisiert werden. Verantwortlich für diese Arbeitsstrukturierung ist die Unternehmensleitung, größere Unternehmen bedienen sich einer eigenen Organisationsabteilung.
Job Crafting folgt hingegen einem Bottom-up-Ansatz und lässt den Beschäftigten Spielräume bei der Ausgestaltung der Arbeitsinhalte sowie der sozialen Gestaltung und kognitiven Interpretation der eigenen Arbeit. Das Konzept ist vergleichsweise neu und wird in der Regel auf eine circa 20 Jahre alte Veröffentlichung von Amy Wrzesniewski und Jane E. Dutton zurückgeführt: "We define job crafting as the physical and cognitive changes individuals make in the task or relational boundaries of their work" (Wrzesniewski/Dutton, 2001, S. 179). Somit geht es nicht nur um die formalen Arbeitsinhalte, sondern auch um die Gestaltung der (sozialen) Beziehungen und die individuelle kognitive Auseinandersetzung mit der Arbeit. Die daran anschließende empirische Forschung hat sich allerdings dominant am Job-Demands-Resources-Modell ausgerichtet, fokussiert auf Charakteristika der Arbeitsplätze und Beziehungen und lässt die kognitiven Prozesse weitgehend außen vor. Übergreifend werden zwei unterschiedliche Stoßrichtungen unterschieden:
- Promotion-focused Job Crafting ist wachstumsorientiert, indem zusätzliche Aufgaben oder Ressourcen generiert werden. Die Initiativen zielen auf die Befriedigung von Wachstums-, Entwicklungs- oder Beförderungsbedürfnissen.
- Prevention-focused Job Crafting ist hingegen vermeidungsorientiert, also defensiv auf die Vermeidung oder Beseitigung von Anforderungen bezogen, die als negativ empfunden werden.
Wissenschaftlich entwickelte Fragebögen liegen sowohl international (Tims et al., 2012) als auch für Deutschland (Lichtenthaler/Fischbach, 2016) vor. Das Gesamtkonstrukt setzt sich im Wesentlichen aus drei Faktoren zusammen (Rudolph et al., 2017, S. 122): Erweiterung der strukturellen Ressourcen, Erweiterung der sozialen Ressourcen, Erweiterung herausfordernder Arbeitsinhalte. Mit strukturellen Ressourcen ist bspw. die Ausweitung der eigenen Entscheidungsspielräume gemeint. Soziale Ressource bezieht sich auf die aktive Ausdehnung der Zusammenarbeit mit anderen Kollegen oder Netzwerken. Die freiwillige Übernahme von herausfordernden Projekttätigkeiten ist ein Beispiel für die Erweiterung um neue Arbeitsinhalte.
Auswirkungen von Job Crafting auf Arbeitsleistung und weitere Erfolgsgrößen
In einer Metaanalyse untersuchen Cort W. Rudolph und Kollegen (2017) die Einflussfaktoren auf und die Auswirkungen von Job Crafting auf Basis von insgesamt 122 Einzeluntersuchungen mit insgesamt 35.670 Beschäftigten. Es zeigt sich ein mittelstarker Zusammenhang mit der selbst bewerteten Arbeitsleistung (r=0,27). Der Effekt ist etwas schwächer, wenn die Bewertung durch Kollegen erfolgt (r=0,18). Zudem besteht ein positiver Zusammenhang mit Arbeitszufriedenheit (r=0,29) und Engagement (0,45), überraschenderweise bleibt der Zusammenhang mit Kündigungsneigung insignifikant (vgl. Abb. 1).
Auswirkungen von wachstums- oder vermeidungsorientiertem Job Crafting
In der Darstellung des Konstrukts wurde bereits auf die Unterscheidung in wachstumsorientierte (promotion-oriented) oder vermeidungsorientierte (prevention-oriented) Job-Crafting-Aktivitäten hingewiesen. Philipp W. Lichtenthaler und Andreas Fischbach (2018) untersuchen mithilfe dieser Differenzierung die Auswirkungen von Job Crafting. Promotion-focused Job Crafting ist positiv mit Arbeitsleistung (r=0,24) und Engagement (r=0,39) verbunden. Prevention-focused Job Crafting weist keinen signifikanten Zusammenhang zu Arbeitsleistung und einen schwach negativen Zusammenhang mit Engagement auf (r=-0,08). Diese differenzierten Ergebnisse zeigen, dass Job Crafting nicht generell vorteilhaft ist, sondern Unternehmen genau unterscheiden müssen, ob Beschäftigte ihre Gestaltungsmöglichkeiten wachstumsorientiert oder vermeidungsorientiert nutzen. Die Vermeidungsstrategie sollte nicht unterstützt werden, da sie tendenziell für ein geringeres Engagement stehen kann.
Bezüglich der Job-Crafting-Aktivitäten nutzen Cort W. Rudolph und Kollegen die weitergehende Differenzierung zwischen (1) der Erweiterung struktureller Ressourcen, (2) der Erweiterung sozialer Ressourcen und (3) der Erweiterung um herausfordernde Aufgaben (Tims/Bakker, 2010). Übergreifend zeigen sich durchgängig positive Effekte aller drei Dimensionen auf personalwirtschaftliche Erfolgsgrößen, wobei die strukturelle Dimension den stärksten Effekt aufweist (ausgewählte Ergebnisse vgl. Abb. 2).
Die Ergebnisse dieser Metaanalyse basieren auf Einzelstudien im Querschnittdesign mithilfe von Befragungen, das heißt, die Variablen werden zeitgleich erhoben und beruhen auf subjektiver Wahrnehmung. Dadurch kann es zu Ergebnisverzerrungen kommen und insbesondere ist auf der Basis von Querschnittsdaten grundsätzlich keine kausale Interpretation der Ergebnisse möglich. Bezüglich des Themas Job Crafting ist über diese generelle Aussage die umgekehrte Kausalität, dass also gerade engagierte und leistungsstarke Mitarbeiter wachstumsorientiertes Job Crafting vornehmen und leistungsschwache Mitarbeiter ihre Aufgaben eher vermeidungsorientiert anpassen möchten, besonders plausibel. Philipp W. Lichtenthaler und Andrea Fischbach (2018) untersuchen in ihrer Metaanalyse allerdings explizit auch Einzelstudien im Längsschnittdesign und können so – wenn auch mit geringerem Studien- und Datenumfang – Job-Crafting-Aktivitäten mit personalwirtschaftlichen Erfolgsgrößen zu einem späteren Zeitpunkt vergleichen. Die oben dargestellten Ergebnisse aus Querschnittsanalysen werden dabei bestätigt (Lichtenthaler/Fischbach, 2018, S. 12). Dies ist kein Beweis, aber immerhin ein weiterer Hinweis auf den kausalen Einfluss von Job Crafting auf personalwirtschaftliche Erfolgsgrößen.
Welche Faktoren beeinflussen Job-Crafting-Aktivitäten?
Bei der Suche nach den Einflussfaktoren, die Job Crafting fördern könnten, fällt der erste Blick auf die Persönlichkeit der Beschäftigten. Dies ist deshalb naheliegend, da es sich bei Job Crafting um individuell initiierte Aktivitäten handelt. Theoretisch lässt sich Job Crafting deshalb auch als eine Facette proaktiven Verhaltens interpretieren (Bakker/Tims, 2010). Bezüglich der Big-Five-Persönlichkeitseigenschaften wirken Verträglichkeit (r=0,27), Gewissenhaftigkeit (r=0,20), Extraversion (r=0,22) und Offenheit (r=0,22) moderat positiv, für emotionale Stabilität ist kein signifikanter Effekt nachweisbar; stärker positiv korreliert sind – nicht überraschend – Proaktivität (r=0,54) und die generelle Selbstwirksamkeitserwartung (r=0,40) (Rudolph et al., 2017). Geschlecht (r=0,03), Alter (r=-0,10) und Betriebszugehörigkeit (r=-0,11) haben hingegen nur einen geringen Einfluss (Rudolph et al., 2017, S. 124, 127).
Neben der individuellen Persönlichkeit haben soziale Kontextfaktoren übergreifend einen mittleren positiven Einfluss auf Job Crafting (Wang et al., 2020). Hierunter fällt der Führungsstil, wobei dienende Führung (r=0,69) einen deutlich stärkeren Einfluss auf wachstumsorientierte Job-Crafting-Aktivitäten ausübt als transformationale Führung (r=0,27) oder ein auf Empowerment ausgerichteter Führungsstil (r=0,34). Ebenso zeigt sich ein positiver Einfluss der sozialen Unterstützung durch Kollegen (Wang et al., 2020, S. 11/12).
Auch die Gestaltung der Arbeitsplätze im Sinne des Job Characteristics Model beeinflusst Job Crafting. So zeigt sich bspw. ein positiver Zusammenhang zwischen Autonomie und Job Crafting (r=0,28), wobei insbesondere die strukturelle Dimension positiv beeinflusst wird (r=0,46) (Rudolph et al., 2017).
Können Unternehmen Job Crafting fördern?
Die dargestellten Befunde zeigen zunächst die grundsätzliche Vorteilhaftigkeit von wachstumsorientierten Job-Crafting-Aktivitäten. Allerdings handelt es sich bei Job Crafting um Aktivitäten, die initial von den Beschäftigten ausgehen und definitionsgemäß ausgehen müssen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und wie Unternehmen diese individuellen Aktivitäten der Beschäftigten fördern können. In einer aktuellen Metastudie untersuchen Bogdan Teodor Oprea und Kollegen (2019) die Effektivität von unternehmensseitigen Interventionen z. B. in Form von Trainings, die von Unternehmen zur Förderung von individuellem Job Crafting initiiert werden. Ein solches Training umfasst bspw. eine Persönlichkeitsanalyse, eine Tätigkeitsanalyse und die Anleitung zur Gestaltung des Arbeitsplatzes im Sinne des Job Crafting (eine detailliertere Beschreibung einer Intervention findet sich z. B. in Van Wingerden et al., 2017, S. 167-168). Anschließend wird das Ausmaß von Job Crafting im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ohne Training ermittelt. Das experimentelle Design erlaubt hier kausale Rückschlüsse auf die Effektivität der Intervention, wobei allerdings durch die befragungsbasierte Erhebung der Job-Crafting-Aktivität bei den Teilnehmenden Ergebnisverzerrungen durch Strahleffekte nicht ausgeschlossen werden können. Auf der Basis von 14 Einzelstudien ergibt sich ein signifikant positiver, wenn auch schwacher Effekt (Oprea et al., 2019).
Zusammenfassung und praktische Implikationen
- Job Crafting wirkt positiv auf personalwirtschaftliche Erfolgsgrößen und sollte von Unternehmen gefördert werden.
- Allerdings führen nur wachstumsorientierte Aktivitäten zu positiven Effekten, Anpassungsstrategien die primär auf die Vermeidung unangenehmer Situationen zielen, sind nicht vorteilhaft.
- Das Ausmaß, in dem Job Crafting stattfindet, ist wesentlich durch die jeweilige Persönlichkeit der Beschäftigten bestimmt.
- Unternehmen können Job Crafting durch spezifische Trainingsmaßnahmen fördern.
Dieser Beitrag ist erschienen im Wissenschaftsjournal PERSONALquarterly 3/2022. Die Ausgabe hat das Schwerpunktthema "HR-Kommunikation".
Literaturverzeichnis:
Kosiol, E. (1976): Organisation der Unternehmung. Wiesbaden: Gabler.
Lichtenthaler, P. W./Fischbach, A. (2016): The Conceptualization and Measurement of Job Crafting. In: Zeitschrift für Arbeits-und Organisationspsychologie A&O 60 (4), 173–186.
Lichtenthaler, P. W./Fischbach, A. (2018): A Meta-Analysis on Promotion-and Prevention-Focused Job Crafting. In: European Journal of Work and Organizational Psychology, online first.
Oprea, B. T./Barzin, L./Vîrga, D./Iliescu, D./Rusu, A. (2019): Effectiveness of Job Crafting Interventions: A Meta-Analysis and Utility Analysis. In: European Journal of Work and Organizational Psychology, 28(6), 723-741.
Park, S./Park, S. (2021): Contextual Antecedents of Job Crafting: Review and Future Research Agenda. In: European Journal of Training and Development, online first.
Rudolph, C. W./Katz, I. M./Lavigne, K. N./Zacher, H. (2017): Job Crafting: A Meta-Analysis of Relationships with Individual Differences, Job Characteristics, and Work Outcomes. In: Journal of Vocational Behavior, 102, 112-138.
Tims, M./Bakker, A. B. (2010): Job Crafting: Towards a New Model of Individual Job Redesign. In: South African Journal of Industrial Psychology, 36(2), 1-9.
Tims, M./Bakker, A. B./Derks, D. (2012): Development and Validation of the Job Crafting Scale. In: Journal of Vocational Behavior, 80(1), 173-186.
Van Wingerden, J./Bakker, A. B./Derks, D. (2017): Fostering Employee Well-Being via a Job Crafting Intervention. In: Journal of Vocational Behavior, 100, 164-174.
Wang, H./Li, P.; Chen, S. (2020): The Impact of Social Factors on Job Crafting: A Meta-Analysis and Review. In: International Journal of Environmental Research and Public Health, 17(21), online.
Wrzesniewski, A./Dutton, J. E. (2001): Crafting a Job: Revisioning Employees as Active Crafters of their Work. In: Academy of Management Review, 26(2), 179-201.
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