Arbeitssucht macht krank
Jeder zehnte Erwerbstätige in Deutschland ist nach einer aktuellen Studie arbeitssüchtig. Die Betroffenen arbeiteten nicht nur sehr lange und schnell, sie könnten auch nur mit schlechtem Gewissen freinehmen und fühlten sich oft unfähig, im Feierabend zu entspannen. Das geht auf die Gesundheit: Suchthaft Arbeitende stufen ihren Gesundheitszustand etwa doppelt so häufig als weniger gut oder schlecht ein wie nicht betroffene Erwerbstätige.
Diese Erkenntnisse gehen aus einer neuen Studie von Forschenden des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und der Technischen Universität Braunschweig hervor. Für die von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie werteten die Wissenschaftler repräsentative Daten von gut 8.000 Erwerbstätigen zu ihrem Arbeitsverhalten und ihrem Wohlbefinden aus, die in den Jahren 2017 und 2018 erhoben worden waren.
Der Unterschied zwischen Workaholic und Arbeitssucht
Der weit verbreitete Begriff "Workaholic" beschreibt das, was Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit suchthaftem Arbeiten meinen, nur zum Teil. Denn im alltäglichen Sprachgebrauch wird er meist zur Beschreibung von Menschen genutzt, die einfach viel arbeiten – und dabei glücklich sind. Ein zwanghafter Aspekt wird dabei nicht berücksichtigt. Die Studienautoren benutzen diesen Begriff daher nicht und haben sich in ihrer Untersuchung stattdessen auf tatsächlich zwanghaftes Arbeitsverhalten fokussiert. Ein zwanghaftes Verhältnis zum Job sehen die Studienautoren danach bei Erwerbstätigen, die Aussagen zustimmen wie: "Es ist wichtig für mich, hart zu arbeiten, auch wenn mir das, was ich tue, keinen Spaß macht", "Es fällt mir schwer zu entspannen, wenn ich nicht arbeite" oder "Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich mir frei nehme".
Darauf basierend arbeiten in Deutschland 9,8 Prozent der Erwerbstätigen suchthaft, weitere 33 Prozent exzessiv, aber nicht zwanghaft. Die Mehrheit - rund 55 Prozent - der Erwerbstätigen verrichte ihrer Arbeit dagegen "gelassen".
Arbeitssucht als Gesundheitsproblem
Von den suchthaft Arbeitenden gaben 28 Prozent an, ihr allgemeiner Gesundheitsstatus sei "weniger gut" oder "schlecht". Die Gruppe der "gelassen Arbeitenden" wie auch die Gruppe der Erwerbstätigen, die exzessiv, aber nicht zwanghaft arbeiten, schätzen hingegen ihren Gesundheitszustand weitaus besser ein. In beiden Gruppen bezeichneten jeweils nur 14 Prozent der Befragten ihre Gesundheit als weniger gut oder schlecht.
Ähnlich ist das Ergebnis bei den abgefragten Einzelbeschwerden: Nur acht Prozent der suchthaft Arbeitenden gaben an, in den vergangenen zwölf Monaten keine Beschwerden gehabt zu haben, bei den gelassen Arbeitenden waren es 20 Prozent. Alle Arten von Beschwerden treten bei den suchthaft Arbeitenden häufiger auf. Das gilt im Besonderen für die psychosomatischen Beschwerden, etwa Schlafstörungen und Niedergeschlagenheit, aber auch für Muskel- und Skelettbeschwerden wie Rückenschmerzen.
Suchthaft Arbeitende gehen wegen ihrer Beschwerden zudem seltener zu Ärztinnen oder Ärzten. Rund 30 Prozent von ihnen haben mehr als sechs unbehandelte Beschwerden. Bei den Gelassenen sind es 15 Prozent mit mehr als sechs unbehandelten Beschwerden.
Einen deutlichen Unterschied machen die Forschenden auch bei den Fehltagen aus. Mit 45 Prozent meldete sich fast die Hälfte der suchthaft Arbeitenden an keinem einzigen Tag im Jahr vor der Befragung krank. Bei den Gelassenen waren es lediglich 36 Prozent. Es deute sich an, dass "suchthaft Arbeitende der Behandlung und Genesung ihrer Beschwerden weniger Beachtung schenken als gelassen Arbeitende".
Arbeitssucht: Je höher die Führungsebene, desto ausgeprägter
Besonders häufig betroffen vom Phänomen Arbeitssucht sind nach den Studienergebnissen Führungskräfte. Dabei sei suchthaftes Arbeiten "umso stärker ausgeprägt, je höher die Führungsebene ist". Laut Studie sind Beschäftigte mit Führungsverantwortung zu 12,4 Prozent arbeitssüchtig, in höheren Führungspositionen sogar zu 18,8 Prozent. Andere Erwerbstätige sind es nur zu 8,7 Prozent.
Als möglichen Grund dafür sehen die Studienautoren neben erhöhtem Verantwortungsgefühl auch, dass an Führungskräfte besonders hohe Anforderungen gestellt werden, was Anreize für suchthaftes Arbeiten biete. So bestehe häufig die Erwartungshaltung, dass Führungskräfte als Erste den Arbeitstag beginnen oder als Letzte den Arbeitstag beenden.
Zwischen erwerbstätigen Männern und erwerbstätigen Frauen wurden dagegen keine Unterschiede in der Häufigkeit eines arbeitssüchtigen Verhaltens festgestellt.
Burnout durch Arbeitssucht: Wie Gesundheitsförderung und Unternehmenskultur entgegenwirken können
Nach Ansicht der Studienautoren sind suchthaft Arbeitende besonders von einem erhöhten Risiko für Burnout und depressiven Verstimmungen betroffen. Das sei nicht nur aus Perspektive der Betroffenen, sondern auch für Betriebe und die Gesellschaft problematisch. Insbesondere vor dem Hintergrund von demografischem Wandel und Fachkräftemangel seien Arbeitskräfte schon jetzt in vielen Branchen knapp.
Daher ist es nach Analyse der Forschenden dringend geboten, "Betriebskulturen zu etablieren, die exzessivem und zwanghaftem Arbeiten entgegenwirken". Dabei spielen betriebliche Gesundheitsförderung und Mitbestimmung der Beschäftigten wichtige Rollen, wie die erhobenen Daten zeigen. So arbeiten in Betrieben mit Betriebsrat 8,7 Prozent der Beschäftigten suchthaft, in Betrieben ohne betriebliche Mitbestimmung sind es 11,9 Prozent. Eine besondere Rolle dürften in diesem Kontext Betriebsvereinbarungen spielen – "ein wichtiges Instrument der betrieblichen Regulierung, welches exzessivem und zwanghaftem Arbeiten entgegenwirken kann".
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