Führungswechsel im Mittelstand: Mitarbeiterbindung sichern

Der Generationswechsel in einem Unternehmen ist nicht einfach – erst recht nicht, wenn der Nachfolger von außen kommt wie zum Beispiel Felix Brüggemann. Er schildert seine Erfahrungen und berichtet, wie es gelang, die Mitarbeiterbindung aufrecht zu halten. Das Wichtigste dabei: Vertrauen schaffen.

Das IT-Systemhaus KL Netprint wurde 2010 in Hamburg gegründet und setze von Beginn an auf zwei zentrale Säulen: IT-Dienstleistungen und Drucklösungen. Heute betreut das Unternehmen mit seinen 21 Mitarbeitenden rund 900 Kunden im Großraum Hamburg.

Von Start-Up Gründung zur Unternehmensnachfolge

2022 entschied der Gründer, sich altersbedingt zurückzuziehen. Da es weder firmen- noch familienintern eine Nachfolge gab, suchte er nach einer externen Lösung, die seinen Mitarbeitenden eine langfristige Perspektive bot. Hier kamen die Tradineo-Gruppe und ich ins Spiel. Tradineo ist eine Beteiligungsgesellschaft und auf den Erwerb von Mittelständlern im Zuge von Unternehmensnachfolgen spezialisiert. Ziel ist, die übernommenen Betriebe langfristig fortzuführen, Arbeitsplätze zu erhalten und auszubauen und die Unternehmen zukunftsorientiert weiterzuentwickeln.

Für die operative Geschäftsführung der gekauften Unternehmen findet Tradineo Nachfolge-Unternehmer wie mich, die sich auch finanziell an den übernommenen Firmen beteiligen und sich so dauerhaft binden. Ich habe mehrere Jahre in einem Konzern gearbeitet und gründete 2017 ein Technologie-Startup.

Vertrauen und Mitarbeiterbindung sinken bei Führungswechseln

Als ich im Juli 2023 das erste Mal vor den Mitarbeitenden der KL Netprint stand und gemeinsam mit dem Altunternehmer und Tobias Zimmer von Tradineo die Übernahme kommunizierte, war in vielen Gesichtern Zurückhaltung und Skepsis zu sehen. Kein Wunder, denn eine aktuelle Studie von Culture Amp zeigt: Bei Führungswechseln sinkt das Vertrauen in die neue Führung um durchschnittlich acht bis neun Prozent. Die Bereitschaft, langfristig im Unternehmen zu bleiben, geht außerdem um durchschnittlich sieben Prozent zurück. Besonders herausfordernd wird es, wenn die neue Führung – wie in meinem Fall – von außerhalb kommt.

Den Führungswechsel richtig angehen

Wie sind wir das Thema Führungswechsel angegangen? Schon im Vorfeld der Bekanntmachung machten wir uns intensive Gedanken dazu, welche Themen die Mitarbeitenden bei der Übernahme besonders beschäftigen werden. Der Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes, die wirtschaftliche Absicherung des Unternehmens in der Zukunft und der Erhalt von Firmenkultur und -werten waren die zentralen Themen. Das Gute: Diese stimmten sowieso mit unseren Zielen überein. Das Schwierige: Da uns die Mitarbeitenden bisher nicht kannten, konnten wir nicht davon ausgehen, dass sie uns auch Glauben schenken würden.

In inhabergeführten Betrieben wie der KL Netprint herrscht häufig ein sehr familiäres Klima. Die Belegschaft und die Geschäftsleitung kennen sich oft schon seit Jahren, teilweise sogar seit Jahrzehnten. Die Person des Inhabers ist deshalb nicht nur Vorgesetzter, sondern auch Vertrauter – nicht zuletzt, da es im Mittelstand oft keine Personalabteilung gibt, die in herausfordernden Situationen unterstützen kann. Es war von vornherein mein Anspruch, dass ich als Nachfolger nicht nur ein anonymer neuer Vorgesetzter bin, sondern auch auf menschlicher Ebene überzeuge und so das Vertrauen gewinne.

Vertrauen aufbauen: Ein mehrstufiger Ansatz

Unser Konzept zur Vertrauensbildung erstreckte sich über mehrere Phasen:

1. Unmittelbar: Der Moment der Bekanntmachung

Bei einer Betriebsversammlung erklärte der Altunternehmer die Hintergründe des Verkaufs und stellte Tradineo und mich als seine Wunsch-Nachfolgelösung vor. Natürlich sagten auch wir einige Worte, doch insbesondere die Rede des Gründers schaffte einen Vertrauensvorschuss.

2. Kurzfristig: Die Tage danach

Im Moment der Bekanntmachung eines Unternehmensverkaufs sind Mitarbeitende von der Gewichtigkeit dieser Information oft überwältigt. Die Inhalte der Bekanntmachung geraten schnell in Vergessenheit oder werden sogar überhört. Fragen kommen oft erst nach der Bekanntmachung auf. Daher erhielten alle Mitarbeitenden am Ende der Bekanntmachung eine individuell zusammengestellte Informationstasche. Darin befanden sich eine Zusammenfassung der Ereignisse, ein Vorstellungsvideo zu meiner Person, ein schriftliches Dokument, das bestätigte, dass die bestehenden Arbeitsverhältnisse unverändert bleiben würde, sowie eine handgeschriebene Willkommenskarte und eine Einladung zu einem persönlichen Kennenlerngespräch. Somit konnten sich alle zu gegebener Zeit individuell über das Geschehen informieren. In der Folgewoche veranstalteten wir zudem ein erstes Team-Get-Together in informeller Atmosphäre.

3. Mittelfristig: Die ersten Monate

In den Folgemonaten war es mir wichtig, zu allen Mitarbeitenden eine Beziehung aufzubauen. Nach Einzelgesprächen mit jeder Person habe ich zudem regelmäßige Feedbackgespräche geführt. Das Team-Get-Together entwickelte sich zu einem festen, wöchentlichen Termin und sorgt bis heute dafür, dass wir auch abseits des Schreibtischs auf menschlicher Ebene in Kontakt bleiben.

4. Langfristig: So geht es weiter

Langfristig setze ich auf Transparenz: Neben den regelmäßigen Einzelgesprächen ist es mir wichtig, das Team auch in größere, strategische Projekte mit einzubeziehen. Im Zuge eines Employer-Branding-Projekts führten wir beispielsweise eine große Zufriedenheitsumfrage im Team durch – mit positiven Ergebnissen. Im Anschluss wurde mit einer externen Agentur und ausgewählten Kolleginnen und Kollegen die Grundlage für die Umsetzung der Arbeitgebermarke erarbeitet. Alle im Team wussten stets, was gerade passiert und warum es passiert. So haben wir Verständnis für notwendige Veränderungen erreicht. Heute kann ich sagen: Der Vertrauensaufbau hat funktioniert. Seit meinem Start als geschäftsführender Gesellschafter bei der KL Netprint hat niemand gekündigt. Wir konnten sogar ehemalige Kollegen wieder für uns gewinnen.

Wie Substanz und Vertrauen den Wandel prägen

Als Startup-Gründer und nun Nachfolgeunternehmer merke ich immer wieder, wie unterschiedlich beide Welten sind. Ein Beispiel ist die Langfristigkeit: Obwohl KL Netprint erst 14 Jahre alt ist, liegt die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit bei sieben Jahren. Auch im Geschäftsmodell, im Vertragsbestand und im Kundenstamm sehe ich eine Nachhaltigkeit, die ich aus der Startup-Welt so nicht kenne. Gleichzeitig versuchen wir, etwas Startup-Welt in das etablierte Unternehmen zu bringen: kreative Lösungen und flexible Prozesse, die es uns ermöglichen, auf Marktveränderungen schnell zu reagieren und gleichzeitig die Stabilität unseres Unternehmens zu wahren.

Gut ein Jahr nach dem Führungswechsel ist festzustellen: Auch ein etabliertes Unternehmen ist offen für Veränderungen. Aber Veränderungen sind nur dann sinnvoll, wenn man zunächst die Substanz sichert. Hierzu ist Vertrauen ein wesentlicher Schlüssel und dieses erreicht man durch transparente Kommunikation auf Augenhöhe. Vertrauen setzt man schließlich in Menschen, nicht in Positionen.


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