"Tourismus ist Made by People"
Personalmagazin: Frau Reiß, die Tourismusbranche hat drei herausfordernde Jahre durchlebt, das galt auch für die Tui. Welche Auswirkungen hatte das auf die Personalarbeit?
Sybille Reiß: Die Pandemie und die Reiserestriktionen führten dazu, dass unser gesamtes Geschäft zum Stillstand kam. Flugzeuge standen am Boden, Hotels wurden geschlossen, Kreuzfahrtschiffe waren im Hafen und Zielgebiete waren nicht erreichbar. Wir waren für kurze Zeit ein Unternehmen ohne Umsatz. Das, was wir gut und gerne tun – unseren Gästen die schönste Zeit im Jahr zu bescheren – konnten wir nicht tun. Zum Beginn der Pandemie ging es darum, sehr schnell zu reagieren. Wir haben uns innerhalb von Tagen dem Thema Kurzarbeit gewidmet – nicht nur in Deutschland, wo es eine bekannte Maßnahme ist, sondern auch in anderen Ländern. Zum Höhepunkt der Krise waren fast 60 Prozent unserer Mitarbeitenden weltweit in staatlichen Unterstützungsprogrammen. Auch als es Lockerungen der Reisebeschränkungen gab, galt es stets, sehr flexibel zu agieren.
Die Krise als Chance für die Digitalisierung
Personalmagazin: Was waren die größten Herausforderungen für das HR-Team?
Reiß: Uns war schnell klar, dass wir uns schlanker aufstellen müssen und dass wir durch das Schließen der Zielgebiete nicht alle Mitarbeitenden an Bord behalten können. Wir haben manche Saisonverträge nicht zustande kommen lassen, haben sie beendet oder auslaufen lassen. In unseren Heimatmärkten haben wir freiwerdende Stellen nicht nachbesetzt, in einigen dieser Länder haben wir uns auch von Mitarbeitenden trennen müssen. Da waren die HR-Teams kontinuierlich gefordert. Es ging gleichzeitig um den Blick nach vorn. Wir haben die Krise genutzt, um uns effizienter und digitaler aufzustellen.
Personalmagazin: Was bedeutet das für die Mitarbeitenden?
Reiß: Das bedeutet, dass wir einen starken Fokus auf die Menschen setzen und dass wir in den Heimatmärkten, beispielsweise Deutschland, Frankreich, Großbritannien oder Schweden, die Aktivitäten synergetisch zusammenbringen – also ein Hoteleinkauf und ein Produktmanagement für alle Märkte statt separater Teams. Heute arbeiten wir sehr viel vernetzter und internationaler. Wir sind durch eine positive Transformation gegangen.
"Heute arbeiten wir sehr viel vernetzter und internationaler. Wir sind durch eine positive Transformation gegangen." - Sybille Reiß, Tui
Personalmagazin: Wie hat sich diese auf Ihre Mitarbeiteranzahl ausgewirkt?
Reiß: Wir haben frühzeitig in der Pandemie gesagt, dass wir uns schlanker und kosteneffizienter aufstellen wollen. Dazu haben wir 8.000 Rollen im Konzern dauerhaft abgebaut, indem wir beispielsweise Aufgaben gezielt digitalisiert und automatisiert haben. Vor der Pandemie, in unserem Rekordjahr, hatten wir knapp über 70.000 Mitarbeitende. Im vergangenen Geschäftsjahr, das bei uns Ende September ausläuft, waren es 61.000.
Erst Mitarbeiterbindung, dann Recruiting
Personalmagazin: Inwiefern hat sich in diesem Kontext das Verständnis von Arbeit und Zusammenarbeit verändert?
Reiß: Für das Arbeiten von zu Hause, das die Pandemie mit sich brachte, hatten wir in den Jahren 2017 bis 2019 die richtigen Weichen gestellt. Alle unsere Mitarbeitenden waren bereits auf Microsoft Teams und alle hatten ein Laptop – auch in den dezentralen Funktionen. Wir sind schon vor der Pandemie von der rein stationären in die hybride Arbeitswelt gegangen. In der Pandemie gab es keine Alternativen zum Homeoffice. Aber für die Zeit danach galt es eine Vision zu entwickeln, wie wir bei Tui arbeiten wollen. Dabei war uns wichtig, die in der Pandemie gelebte Flexibilität zu bewahren. Wir schreiben den Mitarbeitenden nicht vor, an wie vielen Tagen sie ins Büro kommen müssen. Es geht um Vertrauen und Ergebnisse, nicht um Präsenzzeiten.
Personalmagazin: Heute ist der Wunsch nach Reisen wieder groß, aber es ist schwer, neues Personal zu finden. Wie gelingt Ihnen das?
Reiß: Für mich war es ein Anliegen, die Fluktuation niedrig zu halten. Wir wollten so wenig wie möglich neu rekrutieren. Unser Fokus lag in der Pandemie darauf, mit den Mitarbeitenden, die uns die Treue gehalten haben, die Zukunft zu gestalten. Das heißt, mein allererster Punkt war Mitarbeiterbindung. Erst im zweiten Schritt hieß es: Jetzt gehen wir wieder auf den Arbeitsmarkt einer Branche, in der man viel bewegen kann. Dabei konnten wir vor allem auf das verweisen, was wir aus der Pandemie mitgenommen haben – nämlich die Flexibilität im Arbeiten.
"Unser Motto ist: Arbeit ist das, was wir tun, und nicht das, wo wir hingehen. Diese Flexibilität hilft uns auch im Recruiting. Heute bekommen wir Bewerbungen aus Branchen, die wir vor der Pandemie nicht hatten." - Sybille Reiß, Tui
Personalmagazin: Was haben Sie in Sachen Mitarbeiterbindung unternommen?
Reiß: Wir haben unseren Mitarbeitenden in der Pandemie zugehört. Wir haben sie gefragt, was sie bewegt. Viele hingen in einem Land fest, in dem sie fern von ihrer Familie arbeiteten. So ist "Tui Workwide" entstanden – das Programm, mit dem wir unseren Mitarbeitenden ermöglichen, bis zu 30 Arbeitstage im Jahr in einem anderen Land zu arbeiten. Es hat unsere Mitarbeitenden in der Krise gefreut, dass sie zu ihren Familien oder Freunden in andere Länder gehen und dort arbeiten konnten. Ich glaube, das ist ein Aspekt, der Mitarbeitende hält. Unser Motto ist: Arbeit ist das, was wir tun, und nicht, wo wir hingehen. Und diese Flexibilität hilft uns auch im Recruiting. Heute bekommen wir Bewerbungen aus Branchen, die wir vor der Pandemie nicht hatten – zum Beispiel aus der Automobilindustrie oder von Technologieunternehmen.
Flexibilität für alle Abteilungen schaffen
Personalmagazin: Wird "Tui Workwide" auch als Benefit für Mitarbeitende genutzt, die keine Familie im Ausland haben?
Reiß: Das Programm kann von allen genutzt werden, deren Job es zulässt. Mit "Tui Workwide" lässt sich einfach der Urlaub mit einem Arbeitsaufenthalt verlängern oder für einige Zeit komplett aus einer Destination heraus arbeiten. Das Programm wird mittlerweile ganz unterschiedlich genutzt. Es gibt nur eine Voraussetzung: Es muss im Team abgesprochen sein, es muss passen, auch von den Zeitzonen her, und das Wlan muss vernünftig funktionieren. Dahinter steht ein schlanker Prozess, der nur zwei Klicks und die Zustimmung der Führungskraft benötigt.
Personalmagazin: Aber es ist nicht für alle möglich, nicht für die Mitarbeitenden in Reisebüros, Hotels, in der Kabine oder im Cockpit.
Reiß: Das ist sogar die Mehrheit unserer Mitarbeitenden. Die meisten unserer Rollen sind mit direktem Kundenkontakt und nicht zu 100 Prozent mobil arbeitsfähig. Für jede dieser Rollen bedeutet Flexibilität etwas anderes – und die wollen wir als Unternehmen ermöglichen. Eine Cabin Crew kann Weiterbildungen oder die Vorbereitung auf den Flug flexibel von zu Hause aus erledigen. Flugbegleiter und Piloten haben größere Flexibilität, wenn sie aktiv ihre Einsätze mitplanen können.
Personalmagazin: Wie kam es zu Ihrer neuen People Strategy?
Reiß: Die People Strategy ist ein integraler Bestandteil unserer Konzernstrategie. Der erste Impuls hierzu kam während der Pandemie. Themen wie hybride Führung, Wellbeing oder die Zusammenarbeit in internationalen Teams haben heute eine ganz andere Relevanz als noch vor der Pandemie. Deshalb habe ich mit meinem Team eine neue Strategie aufgesetzt. Sie sollte bewusst nicht nur ein Update der HR-Strategie aus 2016 sein. An deren Umsetzung war ich unter der Führung von Elke Eller beteiligt. Aber sie passte nicht mehr zur neuen Realität. Wir nennen sie auch bewusst People Strategy: Schließlich ist das, was den Urlaub unserer Gäste ausmacht, "Made by People".
Bei Tui arbeiten mehr Frauen als Männer - aber nicht im Vorstand
Personalmagazin: Was sind deren Inhalte?
Reiß: Die Frage, die ich mit der People Strategy beantworten möchte, ist: Wie ist das Arbeiten bei der Tui? Wie schaffen wir eine Arbeitsumgebung, in der wir unsere unternehmerischen Ziele erreichen und die unseren Mitarbeitenden Raum für Entwicklung gibt? Wir müssen uns weiterhin auf die sehr volatile Zeit einstellen, gleichzeitig unseren Mitarbeitenden Sicherheit geben und sie durch gezielte Lernprogramme entwickeln. Das Thema Quereinsteiger beschäftigt uns. Wir haben eine sehr vielfältige Kundschaft und eine diverse Belegschaft. Deshalb stehen für uns auch Vielfalt und Gleichberechtigung im Fokus. Unser klares Ziel ist: Wir wollen digitaler, schneller und inklusiver werden.
Personalmagazin: Das Group Executive Committee Ihres Unternehmens ist bislang eher männlich/weiß aufgestellt …
Reiß: Meine Karriere führte mich über 20 Jahre bis in den Vorstand. Dieser hatte schon eine andere Zusammensetzung. Meine Vorgängerin war eine von zwei Frauen im Vorstand. 55 Prozent unserer Belegschaft sind heute Frauen. Das sehen wir noch nicht im Konzernvorstand. Aber wir haben auch Management-Teams, in denen es einen Frauenanteil von 33 Prozent gibt. Das ist nicht flächendeckend der Fall. Bei Tui arbeiten mehr Frauen als Männer – und es ist unser Ziel, dass sich das auch im Vorstand, in Geschäftsführungen und Management-Teams widerspiegelt.
"Bei Tui arbeiten mehr Frauen als Männer – und es ist unser Ziel, dass sich das auch im Vorstand, in Geschäftsführungen und Management-Teams widerspiegelt." - Sybille Reiß, Tui
Personalmagazin: Ein zentrales Thema im heutigen Tourismus ist Nachhaltigkeit. Inwieweit ist diese bei Ihnen verankert?
Reiß: Wir haben im Februar unsere neue Nachhaltigkeitsstrategie veröffentlicht. Sie heißt "People, Planet, Progress". Der Bereich People spielt darin eine prominente Rolle. Tourismus lebt davon, dass engagierte Menschen ihren Job gut machen. Deshalb engagieren wir uns stark in der sozialen Dimension von Nachhaltigkeit. Wir bilden in den Zielgebieten aus. Wir schaffen additive Lernzeit für das Thema Nachhaltigkeit für unsere Mitarbeitenden, weil wir dieses Thema auch von innen heraus gestalten wollen. Dieser Gestaltungsaspekt ist auch wichtig für uns, wenn wir neue Mitarbeitende rekrutieren. Ja, wir betreiben Flugzeuge und Kreuzfahrtschiffe. Aber bei uns können Beschäftigte jeden Tag an der nachhaltigen Transformation mitarbeiten. Auch das zieht neue Mitarbeitende unterschiedlicher Altersgruppen an.
Vertrauen bedeutet, nah an den Mitarbeitenden zu sein
Personalmagazin: Wie kann ein Unternehmen eine Vertrauenskultur aufbauen?
Reiß: Indem Vertrauen vorgelebt wird. Für mich ist sehr klar, dass wir im Vorstand unseren Mitarbeitenden vertrauen. Wir werden nicht kontrollieren, wie sie etwas tun, sondern das Ergebnis bewerten. Es ist auch in Ordnung, dass auf dem Weg Fehler passieren. Das schafft Vertrauen. So haben wir bereits vor der Pandemie gearbeitet. Das setzt sich beim flexiblen Arbeiten fort. Wir schreiben den Mitarbeitenden nicht vor, ob sie zu Hause oder im Büro arbeiten, weil wir ihnen vertrauen. Ich habe erlebt, dass sie auch in der Krise super Ergebnisse erzielt haben. Das nehme ich jetzt nicht mehr zurück. Ich gebe so lange Vertrauen, bis mir jemand zeigt, dass es so nicht geht.
"Wir schreiben den Mitarbeitenden nicht vor, ob sie zu Hause oder im Büro arbeiten, weil wir ihnen vertrauen. Ich habe erlebt, dass sie auch in der Krise super Ergebnisse erzielt haben. Das nehme ich jetzt nicht mehr zurück. Ich gebe so lange Vertrauen, bis mir jemand zeigt, dass es so nicht geht." - Sybille Reiß, Tui
Personalmagazin: Und das hat Ihnen keiner gezeigt?
Reiß: Nein, das hat wunderbar funktioniert. Das heißt aber auch, dass ich als Führungskraft nah an den Mitarbeitenden dran sein muss und nicht nur sage "Ich vertraue". Ich muss zeigen, dass ich da bin, Unterstützung gebe und dass es klare Ziele gibt. Wir haben in der Pandemie und danach sehr viel über verschiedene Formate kommuniziert, um diese Präsenz auch virtuell zu vermitteln. Wichtig für Vertrauen ist auch Transparenz: Wir haben immer transparent gesagt, wie es um die Tui steht und was wir tun, um aus dieser Situation herauszukommen. Auch notwendige Einschnitte wurden offen angesprochen.
Personalmagazin: Sie sind nun fast zwei Jahre Personalvorständin. Welche Ziele, mit denen Sie angetreten sind, konnten Sie umsetzen?
Reiß: Die Ziele, mit denen ich damals gestartet bin, waren Mitarbeiterbindung und Recruiting. Das war Anfang 2021. Übernommen habe ich dann zum 1. Juli. Bei vielen Themen, bei denen ich mit Elke Eller eng zusammengearbeitet hatte, wusste ich, dass ich sie weiterführen werde. Wenn ich auf die zwei Jahre zurückblicke, habe ich noch nicht alles umgesetzt, was wir mit Blick auf das zukünftige Arbeiten umsetzen können. Es gibt noch eine Menge zu tun. Aber ich würde sagen, die People Strategy ist vollumfänglich etabliert. Wir haben neue Strukturen geschaffen, mit globalen Centres of Expertise für Talent Management, Recruiting, Rewards. Diese funktionieren gut. Wir rekrutieren erfolgreich, unsere Mitarbeiterbindung funktioniert, unsere Fluktuationsquote geht zum Glück wieder in den Keller. Ich sehe, dass die Strategie wirkt. Gleichzeitig können wir noch eine Menge tun, um das neue Arbeiten zu gestalten.
Das Interview ist erschienen in Personalmagazin Ausgabe 7/2023. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.
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