Talentmanagement steht und fällt damit, dass für ein Talent ein Posten im Management frei wird. Dass Führungskräfte ihre Organisation mehr oder weniger plötzlich verlassen ist nichts Ungewöhnliches. Beispielsweise sind in der Bundesrepublik Deutschland die beiden letzten Bundespräsidenten als oberste Chefs des Landes von sich aus gegangen. Der eine hatte keine Lust mehr. Auf den anderen hatte niemand Lust mehr. Sein Ausscheiden als Papst begründete Benedikt XVI. laut der katholischen Internetseite "Zenit" sogar mit einem mystischen Erlebnis: "Gott hat mir dies gesagt."
Gründe für Kündigungen sind so unterschiedlich wie die Menschen
In Unternehmen gibt es profanere Gründe für Rückzüge und Rücktritte: Erstens, der Tod, die Altersgrenze oder gesundheitliche Probleme. Zweitens, tatsächlich oder vermeintlich bessere Alternativen andernorts. Drittens, das langjährigen Einreden aus dem Umfeld, dass es nun wirklich einmal reiche, verbunden mit einem über die Zeit abklingenden Widerstand des Betroffenen wie im Modell Dieter Hundt. Viertens, urplötzliche Entdeckungen im Leben neben der Arbeit, damit verbundene Meinungswechsel bezüglich Work-Life-Balance, ja sogar individuelle Erweckungserlebnisse nach dem Motto "Das kann doch nicht alles gewesen sein". Fünftens, natürlich auch ein vermeintlich großer Managementfehler mit unabdingbaren persönlichen Konsequenzen – und fehlender Möglichkeit zum Verschieben der Schuldfrage. Am häufigsten ist vermutlich, sechstens, das sogenannte "gemeinsame Einvernehmen" zwischen Führungskraft und Arbeitgeber: Beide Seiten wollen sich trennen – die eine vermutlich dann noch etwas mehr.
Nachfolgeplanung muss in Kraft treten
Egal warum. Irgendwann wird ein Plätzchen frei und muss gefüllt werden, will gefüllt werden, soll gefüllt werden. Moderne Unternehmen haben dafür unter ihrem Talentmanagement-Dach ein elaboriertes Nachfolgeplanungssystem entwickelt, neudeutsch "Succession Management" genannt. Da weiß jede Top-Führungskraft schon vorher, welche Mitarbeiter und Kollegen sehnsüchtig auf das Eintreten eines der oben genannten sechs Gründe warten.
Talentmanagement hört nie auf
Als ich beim letzten Mal aus einer Firma gehen wollte oder gegangen wurde – das bleibt auf ewig Interpretationssache – war der Nachfolger vorbereitet, eingearbeitet und kurze Zeit später selbst entschwunden. So werden an der einen Stelle Plätze vakant und andernorts Stühle wieder besetzt. Alles fließt eben. Besonders im Talentmanagement, zumal dort die Sorge umgeht, dass es künftig immer mehr Plätze und immer weniger Platzhalter geben wird. Die brillanten deutschen Ingenieure haben das Perpetuum Mobile immer noch nicht erfunden. Der Talentmanagement-Kreislauf kommt dieser Utopie aber bereits ziemlich nah.
Martin Claßen hat 2010 das Beratungsunternehmen People Consulting gegründet. Talentmanagement gehört zu einem seiner fünf Fokusbereiche in der HR-Beratung.