Viertagewoche: Kein Selbstläufer
Vier Tage arbeiten, drei Tage Wochenende. Und das bei gleichem Lohn. Wovon viele Vollzeitbeschäftigte träumen, ist beim Maschinenbau-Unternehmen Wenzel die Realität. Die Mitarbeitenden dürfen seit knapp zwei Jahren wählen, ob sie bei einem Vollzeitvertrag fünf oder lieber vier Tage in der Woche arbeiten. Daniel Eisler, Personalchef bei Wenzel, erzählt: "Seit Corona haben viele Beschäftigte den Wunsch geäußert, mehr Zeit außerhalb der Firma zu verbringen. Einige haben neben der Kurzarbeit ehrenamtlich gearbeitet und wollten das nicht aufgeben."
Mehrheit will Viertagewoche nur bei vollem Lohnausgleich
Mitarbeitende, die die Fünftagewoche infrage stellen – das ist in Deutschland keine Seltenheit mehr. Über drei Viertel der Erwerbstätigen wollen die Viertagewoche, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov für die HDI-Versicherung vom Juni und Juli 2022 unter fast 3.900 erwerbstätigen Bundesbürgern zeigt. Während einige bereit wären, dafür auf Gehalt zu verzichten, steht das für sechs von zehn Befragten nicht zur Debatte – sie wollen den vollen Lohnausgleich. Was manche aber vergessen: Als Vollzeitkraft weniger zu arbeiten und gleich viel wie zuvor zu verdienen, ist gleichbedeutend damit, auf Teilzeit zu wechseln und dabei einen höheren Stundenlohn zu bekommen. Viele Arbeitgeber fragen sich daher, ob eine Viertagewoche überhaupt finanzierbar ist.
Dass eine kürzere Arbeitswoche Menschen zufriedener machen kann, zeigt die Forschung bereits seit den Siebzigerjahren. Thomas Rigotti, Professor für Arbeitspsychologie an der Uni Mainz, sagt: "Es lässt sich auch eine höhere Bindung zum Arbeitgeber beobachten." Das ist ein Aspekt, der für Unternehmen immer relevanter geworden ist. Schließlich tun sich viele Arbeitgeber schwer damit, passende neue Mitarbeitende zu finden, wenn andere kündigen.
Viertagewoche kann Arbeitgeber attraktiv machen
Als Firma, die mitten im Naturidyll Spessart liegt, hatte Wenzel früher selbst Probleme damit, Personal zu gewinnen. Das habe sich mittlerweile geändert, wie Personalchef Eisler berichtet: "Wir können uns die Mitarbeitenden wieder aussuchen." Das Unternehmen spart damit Zeit und Geld bei der Rekrutierung. Derzeit arbeiten bei Wenzel etwa drei Viertel der Beschäftigten in der Viertagewoche. Die zuvor vereinbarte 37,5-Stunden-Woche hat das Unternehmen um eineinhalb Stunden gekürzt. Dafür arbeiten die Mitarbeitenden von Montag bis Donnerstag eine Stunde länger pro Tag.
"Anfangs hatten einige noch Zweifel. Aber bereits nach ein paar Wochen haben wir gemerkt, dass sich die Stimmung verbessert hat. Das spürt man bereits beim Guten-Morgen-sagen", erinnert sich Personalchef Eisler. Macht die Viertagewoche Menschen also glücklicher? Laut Thomas Rigotti von der Uni Mainz nicht unbedingt. "In den Studien aus den Siebzigerjahren waren die Mitarbeitenden zunächst zufriedener, haben sich dann aber an die positiven Dinge gewöhnt. Das ist typisch für den Menschen."
Einen nachhaltigen Vorteil sieht Professor Rigotti jedoch in dem geringeren Pendelverkehr. Dadurch seien Menschen weniger gestresst und Ressourcen würden geschont. Auch könne die Viertagewoche Geschlechtergerechtigkeit fördern – sofern eine flexible Regelung möglich ist: "Wenn Paare vier Tage die Woche arbeiten und die Partner und Eltern nicht an den gleichen Tagen frei haben, kann man sich die Kinderbetreuung besser aufteilen. Dann können auch viele Väter mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen."
Positiver Effekt auf den Krankenstand
Ein weiterer Punkt, der für die Viertagewoche spricht: Wer weniger arbeitet, ist weniger krank. Bei Wenzel hat sich der Krankenstand – das Verhältnis von krankheitsbedingten Fehlzeiten zur Soll-Arbeitszeit – im Vergleich zum Vorjahr von 6,3 Prozent auf 5,1 Prozent verringert. Bundesweit lag der Krankenstand laut Statista im Jahr 2022 bei 5,6 Prozent. Martin Gaedt, Autor des Buchs "4-Tage-Woche", sieht darin ein wichtiges Argument: "Wenn Mitarbeitende weniger krank sind, können sie mehr arbeiten – und verursachen weniger Kosten. Das wird in der öffentlichen Debatte vernachlässigt."
Gaedt hat bei der Recherche für sein Buch bemerkt, dass es mehr Arbeitgeber mit einer Viertagewoche gibt, als viele denken. "Man hört ja immer: Die Viertagewoche ist nirgendwo machbar, außer bei Remote-Jobs. Und dann siehst du: Es geht in der Produktion, im Handwerk, in der Pflege." Der Autor sieht die Viertagewoche mittlerweile in jeder Branche angekommen. Bevor Arbeitgeber die Viertagewoche einführen, müssen sie sich jedoch darüber Gedanken machen, wie diese ausgestaltet sein soll. Denn Modelle gibt es viele. Eine Arbeitswoche von 40 auf 32 Stunden zu verringern, ist jedoch ein Wagnis, das kaum ein Unternehmen eingeht. Sinnvoller sei es oft, die Arbeitszeit in kleineren Schritten zu reduzieren, findet Gaedt.
Für die Firma Wenzel sei es dennoch wichtig gewesen, den Mitarbeitenden nach der coronabedingten Kurzarbeit entgegenzukommen, wie Personalchef Eisler berichtet. "Indem wir die Arbeitswoche um eineinhalb Stunden verkürzt haben, wollten wir unseren Mitarbeitenden für ihre Treue danken." Dadurch, dass die Gehälter unverändert geblieben sind, hat Wenzel den Stundenlohn um mehr als sieben Prozent erhöht.
Viertagewoche kann zu einem falschen Versprechen werden
Wenn Mitarbeitende weniger arbeiten, gleichzeitig aber nicht mit ihren Aufgaben hinterherkommen, wird die Viertagewoche jedoch zu einem falschen Versprechen. Eine solche Erfahrung hat Karla Teutsch (Name geändert) gemacht. Die Führungskraft eines Medienunternehmens berichtet davon, dass der fünfte Tag nur freigenommen werden könne, wenn keine Arbeit liegenbleibt. Sprich: Wer seine Arbeit in vier Tagen nicht schafft, arbeitet trotzdem am Freitag. "Nicht, weil die Kollegen dazu gezwungen werden. Sie arbeiten aus eigenem Antrieb, um die Aufgaben zu erledigen."
In der Viertagewoche sieht Karla Teutsch dennoch einen Gewinn für die Belegschaft. "Auch wenn viele am freien Tag arbeiten, sind sie flexibler als zuvor. Es wird auch mal früher Feierabend gemacht oder später angefangen." Freitage blieben zudem meetingfrei, was ermögliche, Aufgaben ungestört abzuarbeiten. Den entscheidenden Punkt sieht Teutsch darin, dass Arbeitsleistung von der Arbeitszeit entkoppelt wird. "Es geht nicht darum, 40 Stunden pro Woche abzusitzen – sondern darum, seinen Job gut zu machen. Wer alles Wichtige erledigt hat, kann sich einen freien oder zumindest kurzen Freitag gönnen."
Die Vorbereitung ist entscheidend
Für Autor Martin Gaedt ist entscheidend, wie sich Unternehmen auf die Viertagewoche vorbereiten: "Man muss vorher das Geschäftsmodell anpassen. Wer das nicht tut, wird scheitern." Das heißt: Arbeitgeber müssen genau überlegen, wie die Arbeit in einer Viertagewoche organisiert werden kann, damit die Qualität nicht leidet und die Kunden zufrieden sind. Das sieht Professor Rigotti auch so: "Das ist kein Selbstläufer, es ist ein Kulturwandel. Und so ein Kulturwandel bedarf Zeit und Vorbereitung." Eine Pilotstudie in Island wurde beispielsweise über ein Jahr lang vorbereitet. "Man hat die Arbeit im öffentlichen Bereich restrukturiert und digitalisiert. Prozesse verschlankt. Erst dann hat man auf die Viertagewoche gesetzt."
Allerdings ging es in der Island-Studie nicht zwingend um eine Viertagewoche, sondern um eine Arbeitszeitverkürzung von 40 auf 36 Stunden. Und das auch nur im öffentlichen Dienst. Für Professor Rigotti ist die Viertagwoche ohnehin ein Trend-Thema, über das bereits vor Jahrzehnten diskutiert wurde. "Im Kern sollte es eher darum gehen, die Arbeitszeit zu verringern – solange das nicht zu einer Intensivierung der Arbeit führt. Ansonsten kann die Woche stressiger sein als zuvor."
"Stille Stunden" als Möglichkeit zur Umstrukturierung
Eine Möglichkeit, die Arbeit neu zu strukturieren: "Stille Stunden" einführen. Bei einer Steuerberatung, die Autor Gaedt befragt hat, klingelt zu bestimmten Uhrzeiten kein Telefon. "Die Kunden wissen das und rufen zu anderen Zeiten an. Außerdem werden E-Mails nur zweimal am Tag zugestellt." Das führe dazu, dass die Mitarbeitenden fokussierter und effizienter arbeiten. Die Firma mache im zweiten Jahr in Folge 20 Prozent mehr Umsatz, sagt Gaedt. Das gehe allerdings nicht in jedem Unternehmen und müsse im Einzelfall geprüft werden. Ein Tipp, den Gaedt Arbeitgebern gibt: Flexibilität ermöglichen und die Viertagewoche optional anbieten.
In vielen Jobs ist das schon heute möglich, solange Mitarbeitende bereit sind, weniger zu verdienen – Stichwort Teilzeit. Bei Wenzel hat es sich aber auch bewährt, die Wochenarbeitszeit um eineinhalb Stunden zu reduzieren und Mitarbeitende wählen zu lassen, ob sie die Wochenarbeitszeit auf vier oder fünf Tage verteilen. Überlegungen, das Modell wieder abzuschaffen, gibt es laut Personalchef Eisler keine. "Wir sind nach wie vor davon begeistert."
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