Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsratsschulung kurz vor Ende der Amtszeit
Leitsatz (amtlich)
- Bei Schulungen, die der Vermittlung von Grundkenntnissen des Betriebsverfassungsrechts dienen, bedarf es im Regelfall keiner näheren Darlegung, daß der Erwerb derartiger Kenntnisse durch ein erstmals gewähltes Betriebsratsmitglied für die Betriebsratsarbeit erforderlich ist.
- Das gilt jedoch nicht, wenn die Schulung erst kurz vor dem Ende der Amtszeit des Betriebsrats stattfindet. In diesem Fall muß dargelegt werden, warum das Betriebsratsmitglied auch unter Berücksichtigung der durch seine bisherige praktische Betriebsratsarbeit bereits erworbenen Kenntnisse der in Frage stehenden Schulung mit dem dafür vorgesehenen Themenkatalog im Hinblick auf die konkrete Situation des Betriebes und die auf den Betriebsrat für den Rest seiner Amtszeit noch zukommenden Aufgaben bedarf.
Orientierungssatz
Der Lehrgang “Betriebsverfassung Stufe II” (NGG) ist auf die Vermittlung von Grundwissen gerichtet.
Normenkette
BetrVG § 37 Abs. 6
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 17. Dezember 1987 – 6 TaBV 41/87 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten darüber, ob eine kurz vor dem Ende der Amtszeit durchgeführte Schulung eines nachgerückten Betriebsratsmitglieds erforderlich war.
Die beteiligte Arbeitgeberin unterhält in L… ein Hotel- und Kongreßzentrum und beschäftigt dort regelmäßig etwa 125 bis 140 Arbeitnehmer. Ihr Arbeitnehmer O… rückte im November 1985 in den dort bestehenden fünfköpfigen Betriebsrat (Beteiligter zu 3) nach. In der Zeit vom 22. bis 28. September 1986 nahm Herr O… an einem vom Antragsteller veranstalteten Lehrgang “Betriebsverfassung Stufe I” teil; die Kosten hierfür trug die beteiligte Arbeitgeberin. Am 17. Oktober oder am 17. November 1986 beschloß der beteiligte Betriebsrat, Herrn O… zum Lehrgang “Betriebsverfassung Stufe II” in der Zeit vom 18. bis 30. Januar 1987 zu entsenden. Mit seinem Schreiben vom 18. November 1986 teilte der beteiligte Betriebsrat dies der beteiligten Arbeitgeberin mit; er übergab hierbei den Themen- und Zeitplan für den Lehrgang. Hiernach waren in dem vom Antragsteller veranstalteten, für Betriebsratsmitglieder, Betriebsjugendvertreter und Vertrauensleute vorgesehenen Lehrgang in der ersten Woche (Montag bis Samstag) folgende Einzelthemen vorgesehen:
“
- Zusammenarbeit mit Gremien der Interessenvertretung (§§ 74.3, 34, 35, 39, 43, 46 BetrVG)
- Informationspflichten der Arbeitgeber (§§ 80.2, 90, 92.1, 106.2, 111 BetrVG)
- Hinzuziehung von Sachverständigen (§ 80.3 BetrVG)
- Einführung zur Personalplanung (§ 92 BetrVG)
Informationsmöglichkeiten des Wirtschaftsausschusses
Zusammenarbeit Wirtschaftsausschuß/Betriebsrat (§§ 106 – 109 BetrVG)
Betriebsänderung, Interessenausgleich und Sozialplan
(§§ 111, 112, 112a und 113 BetrVG)
- Durchsetzung der Informationsrechte (§§ 23.3, 119, 121 BetrVG).
”
Für die zweite Woche (Montag bis Freitag) umfaßte der Lehrgang die Themen
“
- Entwicklungstendenzen und Einsatzmöglichkeiten der EDV (§§ 90, 91 BetrVG, BDSG)
- Mitbestimmung bei der Einführung technischer Kontroll-Einrichtungen (§ 87.1 Ziff. 6 BetrVG)
- Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit (§§ 81.1, 87.1 Ziff. 7, 88, 89 BetrVG)
- Einführung in die Arbeitsstättenverordnung
- Einsatz des Arbeitssicherheitspersonals (§§ 3, 4, 5, 6, 8 AStG, §§ 719 ff. RVO)
- Zusammenarbeit des Arbeitssicherheitspersonals mit dem Betriebsrat (§ 9 AStG)
- Ausschreibung von Arbeitsplätzen, Auswahlrichtlinien (§§ 93 + 95 BetrVG)
- Personalfragebögen und Beurteilungsgrundsätze (§ 94 BetrVG)
- Personalrichtlinien (§§ 95.1 und 95.2 BetrVG)
- Einstellungen und Versetzungen (§§ 95.3, 99 – 101 BetrVG)
- Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei verhaltens- und personenbedingten Kündigungen (§ 102 BetrVG)
- Einführung in das Kündigungsschutzgesetz (KSchG).
”
Die Anreise war für Sonntag, den 18. Januar 1987, vorgesehen. Die Rückreise sollte am Freitag, dem 30. Januar 1987 stattfinden.
Die beteiligte Arbeitgeberin widersprach der Teilnahme des Betriebsratsmitglieds O… an dem Lehrgang mit ihrem Schreiben vom 1. Dezember 1986. Herr O… nahm jedoch in vollem Umfang an dem Lehrgang teil. Durch den Vertrag vom 30. Januar 1987 trat er seine nunmehr vom Antragsteller geltend gemachten Ansprüche auf Erstattung der Kosten seiner Teilnahme an dem Seminar in Höhe der Streitforderung (195,-- DM Fahrtkosten, 840,-- DM für Unterkunft und Verpflegung an zwölf Tagen zu je 70,-- DM, 42,50 DM für Spesenauslagen) an den Antragsteller ab.
Am 26. März 1987 wurde bei der beteiligten Arbeitgeberin ein neuer Betriebsrat gewählt. Der Arbeitnehmer O… wurde erstes Ersatzmitglied. Inzwischen ist er in den beteiligten Betriebsrat nachgerückt und dessen zweiter Vorsitzender geworden.
Der Antragsteller, der den Lehrgang “Betriebsverfassung Stufe II” in seinem Bildungszentrum in O… durchgeführt hat, meint, die beteiligte Arbeitgeberin sei nach § 37 Abs. 6, § 40 Abs. 1 BetrVG verpflichtet, die Kosten der Teilnahme ihres Arbeitnehmers O… zu tragen. Er hat vorgetragen:
Die Teilnahme des Herrn O… als Betriebsratsmitglied an dem Lehrgang sei im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG erforderlich gewesen. Der Lehrgang habe nicht Aufbauwissen vermittelt, sondern Grundwissen. Grundwissen müsse jedem Betriebsratsmitglied zur Verfügung stehen; ein konkreter Anlaß für die Schulung sei nicht erforderlich. Herr O… habe diese Kenntnisse auch noch nicht anderweitig erworben. Der Lehrgang “Betriebsverfassung Stufe I” umfasse andere Themen. Der Arbeitnehmer O… sei erst 1985 in den Betriebsrat nachgerückt und habe über die bei der hier in Rede stehenden Schulung vermittelten Kenntnisse nicht anderweitig verfügt. Zur Zeit des Beschlusses über die Entsendung des Arbeitnehmers O… sei der Betriebsrat noch davon ausgegangen, daß die Betriebsratswahlen erst im Mai 1987 stattfinden sollten. Erst im Januar 1987 habe sich herausgestellt, daß der damalige Betriebsratsvorsitzende zum 31. März 1987 bei der beteiligten Arbeitgeberin ausscheide. Um dessen Erfahrungen bei der Durchführung der Betriebsratswahl nutzen zu können, sei der Wahltermin dann auf den März 1987 vorverlegt worden. Der beteiligte Betriebsrat sei aber nicht in der Lage gewesen, den Beschluß über die Entsendung des Arbeitnehmers O… zum Lehrgang zurückzunehmen. Insgesamt habe der beteiligte Betriebsrat die Teilnahme des Arbeitnehmers O… an dem in Rede stehenden Lehrgang für erforderlich halten dürfen.
Der Antragsteller hat sinngemäß beantragt,
die beteiligte Arbeitgeberin zu verpflichten, an den Antragsteller 1.077,50 DM nebst 4 % p. a. Zinsen hierauf seit dem 12. Mai 1987 zu zahlen.
Die beteiligte Arbeitgeberin hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie hat entgegnet, die Teilnahme des damaligen Betriebsratsmitgliedes O… an der Schulung “Betriebsverfassung Stufe II” im Bildungszentrum O… sei nicht erforderlich gewesen und habe auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht entsprochen. Die Schulung sei kurz vor Ablauf der Amtsperiode durchgeführt worden; bis zur Wahl des neuen Betriebsrates habe es nur noch wenige Wochen gedauert. Es sei nicht ersichtlich, weshalb der Arbeitnehmer O… für diesen kurzen Zeitraum der Schulung bedurft hätte, zumal andere, dem beteiligten Betriebsrat länger angehörende Betriebsratsmitglieder weder an dieser noch an der vorhergehenden Schulung “Betriebsverfassung Stufe I” teilgenommen hätten. Es sei auch nicht erkennbar, für welche Einzelthemen des Lehrgangs “Betriebsverfassung Stufe II” die Schulung des Herrn O… noch so kurz vor Ende der Amtszeit erforderlich gewesen sei. Die bloße Möglichkeit einer Wiederwahl genüge weder unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit noch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit. Zur Verhältnismäßigkeit sei zudem zu berücksichtigen, daß bereits zwei Mitglieder des beteiligten Betriebsrats vor Herrn O… die Schulung “Betriebsverfassung Stufe II” besucht hätten.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers wurde als unbegründet zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller seinen Sachantrag weiter, während die beteiligte Arbeitgeberin beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen. Der beteiligte Betriebsrat hat keinen Sachantrag gestellt.
Entscheidungsgründe
B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Sachantrag im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die beteiligte Arbeitgeberin ist nicht gemäß § 40 Abs. 1, § 37 Abs. 6 BetrVG verpflichtet, die Kosten zu tragen, die dadurch entstanden sind, daß ihr Arbeitnehmer O… als (damaliges) Betriebsratsmitglied in der Zeit vom 18. bis 30. Januar 1987 an dem Lehrgang “Betriebsverfassung Stufe II” teilgenommen hat.
I.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Betriebsrat die Aufgabe, über die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern zu beschließen, deren Schulung er zur Erfüllung ihrer Aufgaben im Betriebsrat für erforderlich hält (BAGE 25, 348 = AP Nr. 5 zu § 37 BetrVG 1972; BAGE 53, 186, 190 = AP Nr. 58 zu § 37 BetrVG 1972, zu II 2 der Gründe m.w.N.; BAG Urteil vom 16. März 1988 – 7 AZR 557/87 – AP Nr. 63 zu § 37 BetrVG 1972, zu II 2 der Gründe m.w.N.).
a) Bei dem Begriff der Erforderlichkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Ausfüllung sowohl dem Betriebsrat als auch dem Landesarbeitsgericht ein gewisser Beurteilungsspielraum zusteht (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BAG Urteil vom 16. März 1988 – 7 AZR 557/87 –, aaO, m.w.N.). Dabei hat der Betriebsrat die Frage der Erforderlichkeit nicht nach seinem subjektiven Ermessen zu beantworten; vielmehr muß er sich auf den Standpunkt eines vernünftigen Dritten stellen, der die Interessen des Betriebes einerseits und die des Betriebsrates und der Arbeitnehmerschaft andererseits gegeneinander abzuwägen hat. Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt der Beschlußfassung des Betriebsrats; unerheblich ist, ob aus späterer Sicht rückblickend betrachtet die Freistellung im streng objektiven Sinne erforderlich war. Die gerichtliche Kontrolle muß sich daher auf die Prüfung beschränken, ob ein vernünftiger Dritter unter den im Zeitpunkt der Beschlußfassung gegebenen Umständen eine derartige Entscheidung getroffen hätte (BAG Urteil vom 16. März 1988 – 7 AZR 557/87 –, aaO, unter II 2 der Gründe m.w.N.; BAGE 53, 186, 190 = AP Nr. 58 zu § 37 BetrVG 1972, unter II 2a der Gründe m.w.N.).
b) Zum Rechtsbegriff der Erforderlichkeit im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG ist das Landesarbeitsgericht zutreffend von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgegangen. Danach ist die Vermittlung von Kenntnissen nur dann für die Betriebsratsarbeit erforderlich, wenn diese Kenntnisse unter Berücksichtigung der konkreten Situation im Betrieb und im Betriebsrat benötigt werden, damit die Betriebsratsmitglieder ihre derzeitigen oder demnächst anfallenden gesetzlichen Aufgaben wahrnehmen können. Für die Frage, ob die konkreten Aufgaben des einzelnen Betriebsratsmitgliedes seine Schulung erforderlich machen, ist darauf abzustellen, ob nach den Verhältnissen des einzelnen Betriebes Fragen anstehen oder absehbar in naher Zukunft anstehen werden, die der Beteiligung des Betriebsrats unterliegen und für die im Hinblick auf den Wissensstand des Betriebsrats eine Schulung eines Betriebsratsmitgliedes gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Aufgabenverteilung im Betriebsrat erforderlich erscheint, damit der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte sach- und fachgerecht ausüben kann. Soweit es sich dabei nicht um die Vermittlung von sogenannten Grundkenntnissen handelt, muß daher ein aktueller, betriebsbezogener Anlaß für die Annahme bestehen, daß die auf der Schulungsveranstaltung zu erwerbenden Kenntnisse derzeit oder in naher Zukunft von dem zu schulenden Betriebsratsmitglied benötigt werden, damit der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte sach- und fachgerecht ausüben kann (vgl. BAGE 52, 78, 81 = AP Nr. 54 zu § 37 BetrVG 1972, zu II 2a der Gründe; BAG Urteil vom 16. März 1988 – 7 AZR 557/87 –, aaO, unter II 1 der Gründe).
c) Das Landesarbeitsgericht hat den Lehrgang “Betriebsverfassung Stufe II” als eine Schulung angesehen, die nicht derartige Grundkenntnisse vermittele, sondern ein Aufbauseminar darstelle, das auf dem Seminar “Betriebsverfassung Stufe I” aufbaue. Darin kann dem Landesarbeitsgericht nicht gefolgt werden.
Zwar legen die Bezeichnungen der beiden Seminare die Annahme des Landesarbeitsgerichts nahe, es handele sich bei dem Lehrgang der “Stufe II” um eine auf die “Stufe I” inhaltlich aufbauende Veranstaltung im Sinne der Vermittlung vertiefender oder besonderer Kenntnisse. Die Betrachtung des Inhaltes des Lehrgangs “Betriebsverfassung Stufe II” zeigt indessen, daß es bei ihm nicht um die Vermittlung vertiefender oder spezieller Kenntnisse geht, sondern um die Vermittlung von Grundwissen. Der Lehrgang befaßt sich, wie den einzelnen Themen in Verbindung mit der Gesamtdauer des Lehrgangs zu entnehmen ist, mit einer Übersicht über die Themenfelder, in denen die Mitwirkung des Betriebsrates zur Ausübung seiner Beteiligungsrechte von Gesetzes wegen gefordert bzw. möglich ist. Dies betrifft sowohl die Zusammenarbeit mit Gremien der Interessenvertretung als auch die Informationspflichten der Arbeitgeber, die Hinzuziehung von Sachverständigen, die Einführung zur Personalplanung, die Informationsmöglichkeiten eines Wirtschaftsausschusses und dessen Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat, die grundlegenden Fragen von Betriebsänderung, Interessenausgleich und Sozialplan, die Durchsetzung von Informationsrechten wie auch die Frage von Entwicklungstendenzen und Einsatzmöglichkeiten von Datenverarbeitungsanlagen, die Mitbestimmung bei der Einführung technischer Kontrolleinrichtungen, die Fragen des Gesundheitsschutzes und der Arbeitssicherheit einschließlich Arbeitsstättenverordnung, den Einsatz von und die Zusammenarbeit mit Arbeitssicherheitspersonal, die Ausschreibung von Arbeitsplätzen, Personalfragebögen, Beurteilungsgrundsätze, Personalrichtlinien, Einstellungen und Versetzungen, Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei verhaltens- und personenbedingten Kündigungen sowie die Einführung in das Kündigungsschutzgesetz. Dabei bietet der Lehrgang schon von seiner Dauer her keine Gelegenheit zur Vermittlung vertiefender Kenntnisse, sondern nur zur Vermittlung von Grundkenntnissen. Der Lehrgangsteilnehmer erfährt, auf welchen Feldern überhaupt von Gesetzes wegen Arbeit des Betriebsrats stattzufinden hat bzw. stattfinden kann.
Sowohl nach seinem Inhalt, der sich zwanglos als Grundwissen für die Arbeit eines Betriebsratsmitgliedes einordnen läßt, als auch nach der aus der Dauer des Lehrgangs zu schließenden Intensität der Kenntnisvermittlung entspricht der hier in Rede stehende Lehrgang anderen Lehrgängen, die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts lediglich der Vermittlung von Grundwissen dienen, z. B. die vierzehntägige Schulung “Arbeitsschutz und Unfallverhütung II” der Industriegewerkschaft Metall (siehe BAGE 52, 78 = AP Nr. 54 zu § 37 BetrVG 1972); die Schulung über die Geschäftsführung des Betriebsrates und die Vorbereitung und Durchführung von Betriebsversammlungen (Beschluß vom 19. Januar 1984 – 6 ABR 12/81 –, n. v.); die vierzehntägige Schulung “Arbeitsrecht I” der Gewerkschaft Textil-Bekleidung (BAGE 53, 186 = AP Nr. 58 zu § 37 BetrVG 1972).
2. Bei Schulungen, die der Vermittlung solchen Grundwissens dienen, bedarf es im Regelfall keiner näheren Darlegung, daß der Erwerb derartiger Kenntnisse durch ein erstmals gewähltes Betriebsratsmitglied für die Betriebsratsarbeit aktuell erforderlich ist. Auch bei Berücksichtigung der Verschiedenartigkeit der konkreten Situation des jeweiligen Betriebes kann doch im allgemeinen davon ausgegangen werden, daß der Betriebsrat Grundkenntnisse des Betriebsverfassungsrechts alsbald oder doch aufgrund einer typischen Fallgestaltung demnächst benötigt, um seine derzeitigen oder demnächst anfallenden Aufgaben sachgerecht wahrnehmen zu können (BAG Beschlüsse vom 27. September 1974 – 1 ABR 71/73 – und vom 21. November 1978 – 6 ABR 10/77 – AP Nr. 18 und 35 zu § 37 BetrVG 1972).
Das gilt jedenfalls dann, wenn die Schulung zu einer Zeit stattfindet, in der die Amtszeit des Betriebsrats noch längere Zeit dauert. Für einen größeren Zeitraum läßt sich im voraus kaum übersehen, welche Aufgaben auf den Betriebsrat bis zum Ende seiner Amtszeit zukommen werden, so daß Grundkenntnisse aus allen oder doch fast allen Bereichen des Betriebsverfassungsrechts für die Betriebsratsmitglieder notwendig sind, damit sie auch eventuell neu anfallende Aufgaben sachgerecht bewältigen können. Anders verhält es sich dagegen, wenn sich – wie hier – die Amtszeit des Betriebsrats bei Durchführung der Schulung bereits ihrem Ende nähert. Im vorliegenden Fall lagen zwischen dem Ende der Schulungsveranstaltung am 30. Januar 1987 und der Neuwahl des Betriebsrats am 26. März 1987 nur etwa acht Wochen. Auch wenn man den Vortrag des Antragstellers zu seinen Gunsten als richtig unterstellt, der beteiligte Betriebsrat sei bei der Beschlußfassung über die Teilnahme des Betriebsratsmitglieds O… an der Schulung noch davon ausgegangen, daß die Neuwahl des Betriebsrats erst im Mai 1987 stattfinden werde, hätte zwischen dem Ende der Schulung und der Betriebsratsneuwahl ein Zeitraum von nur etwa drei bis höchstens vier Monaten gelegen. Auch das ist noch ein überschaubarer Zeitraum, für den sich in der Regel absehen läßt, welche Aufgaben auf den Betriebsrat bis zum Ablauf seiner Amtszeit noch zukommen werden und inwieweit zur Wahrnehmung seiner Aufgaben noch Schulungsbedarf besteht. In solchen Fällen kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, ein schon längere Zeit amtierendes und dadurch mit den immer wiederkehrenden Routineaufgaben bereits vertrautes Betriebsratsmitglied bedürfe auch für den verhältnismäßig geringen Rest der Amtszeit des Betriebsrats noch der Vermittlung von Grundkenntnissen aus allen Bereichen des Betriebsverfassungsrechts. Vielmehr muß in derartigen Fällen näher dargelegt werden, warum das betreffende Betriebsratsmitglied auch unter Berücksichtigung der durch seine bisherige praktische Betriebsratsarbeit bereits erworbenen Kenntnisse der in Frage stehenden Schulung mit dem dafür vorgegebenen Themenkatalog im Hinblick auf die konrete Situation des Betriebes und die auf den Betriebsrat für den Rest seiner Amtszeit noch zukommenden Aufgaben bedarf. An einer solchen näheren Darlegung der Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme des Betriebsratsmitglieds O…, das zum Zeitpunkt des Schulungsbeginns dem Betriebsrat bereits vierzehn Monate als ordentliches Mitglied angehörte, fehlt es hier.
Auf eine nähere Darlegung der Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme kann in Fällen wie dem vorliegenden auch nicht deswegen verzichtet werden, weil das betreffende Betriebsratsmitglied auch für den neuen Betriebsrat kandidieren will und seine Wiederwahl wahrscheinlich ist. Auch das bisherige Betriebsratsmitglied hat für die künftige Wahl keinen anderen Status als den eines Wahlbewerbers. Zudem ist eine hinreichend sichere Prognose über den Ausgang einer Wiederwahl häufig nicht möglich. Dies wird insbesondere auch im vorliegenden Fall deutlich: Der Schulungsteilnehmer O… war in den fünfköpfigen Betriebsrat nachgerückt. Dessen Vorsitzender konnte nicht wiedergewählt werden, weil er zum 31. März 1987 aus dem Arbeitsverhältnis bei der beteiligten Arbeitgeberin ausgeschieden ist. Herr O… stellte sich zur (Wieder-)Wahl, er wurde jedoch nicht wieder gewählt, sondern wurde nur erstes Ersatzmitglied.
II. Weil die Teilnahme des Betriebsratsmitglieds O… an der in Rede stehenden Schulung nicht als erforderlich beurteilt werden durfte, kann unentschieden bleiben, ob ihr – wie das Landesarbeitsgericht meint – auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entgegensteht.
Unterschriften
Dr. Seidensticker, Dr. Steckhan, Schliemann, Nehring, Kordus
Fundstellen
Haufe-Index 872091 |
BAGE, 74 |
BB 1990, 137 |
RdA 1990, 59 |