Entscheidungsstichwort (Thema)
Annahmeverzug. Provisionsanspruch. Betriebsstillegung
Normenkette
BGB §§ 611, 615; HGB §§ 65, 87c; KO §§ 57, 59
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 5. Mai 1997 – 5 Sa 113/95 – aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 15. November 1995 – 12 Ca 91/95 – wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Beklagte ist Konkursverwalter über das Vermögen der S… GmbH Maschinenwerk, bei welcher der Kläger vom 1. Juni 1992 bis 31. Juli 1994 als Verkaufsingenieur beschäftigt war. Außer dem mit 7.500,00 DM brutto monatlich vereinbarten Festgehalt stand dem Kläger für die Vermittlung von Rotationsstanzen eine Nettoumsatzprovision zu. Der hierauf zu zahlende Provisionsvorschuß belief sich auf monatlich 6.667,00 DM brutto; über die Provision war jährlich zum 31. Mai abzurechnen. Für das erste Beschäftigungsjahr war eine Provisionsgarantie von 100.000,00 DM brutto vereinbart. Nach Ablauf der Garantiezeit vermittelte der Kläger der Arbeitgeberin in den Monaten Juni bis Oktober 1993 Aufträge über insgesamt 1.744.000,00 DM, von denen die Arbeitgeberin das im Juni 1993 zustande gekommene Geschäft über 195.000,00 DM noch ausgeführt hat.
Nachdem die Gemeinschuldnerin seit September 1993 dem Kläger kein Arbeitsentgelt mehr gezahlt hatte, wurde im Dezember 1993 die Sequestration angeordnet, Mitte des Monats der Betrieb stillgelegt und der Kläger anschließend von weiterer Arbeitsleistung freigestellt. Am 1. Juni 1994 ist über ihr Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden. Für die Monate März bis Mai 1994 hat der Kläger Konkursausfallgeld erhalten. Der Berechnung des Konkursausfallgeldes hat die Bundesanstalt für Arbeit das Festgehalt und den monatlichen Provisionsvorschuß von 6.667,00 DM zugrunde gelegt.
Mit seiner im März 1995 erhobenen Klage hat der Kläger den Beklagten u.a. auf Provision von monatlich 6.667,00 DM brutto für die Monate Dezember 1993, Januar, Februar sowie Juni und Juli 1994 in Anspruch genommen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 33.335,00 DM brutto zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision. Der Beklagte bittet um deren Zurückweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts.
I. Der Kläger hat Anspruch auf die begehrten Provisionen, weil sich die Gemeinschuldnerin mit der Annahme seiner Dienste in Verzug befand (§ 615 i.V.m. § 611 BGB). Der Beklagte ist deshalb verpflichtet, dem Kläger die entgangene Provision zu zahlen, die mit monatlich 6.667,00 DM anzusetzen ist.
Nach § 615 Satz 1 BGB kann der Arbeitnehmer, wenn der Arbeitgeber mit der Annahme der Dienste in Verzug kommt, für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Der Arbeitgeber gerät nach Maßgabe der §§ 293 ff. BGB u.a. dann in Annahmeverzug, wenn er eine für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erforderliche Mitwirkungshandlung unterläßt, insbesondere dem Arbeitnehmer keinen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung stellt. Es obliegt dem Arbeitgeber, die Arbeitsbedingungen zu schaffen, die es dem Arbeitnehmer ermöglichen, die von ihm geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Gehört es zu den arbeitsvertraglich vereinbarten Aufgaben des Arbeitnehmers, die vom Arbeitgeber produzierten Waren zu verkaufen, hat der Arbeitgeber für entsprechende Verkaufsmöglichkeiten zu sorgen. Das ist ihm unmöglich, wenn er seinen Betrieb stillegt und damit nicht mehr die Waren herstellt, deren Verkauf der Arbeitnehmer vermitteln soll. Die Unmöglichkeit zur Erbringung seiner Mitwirkungshandlung begründet den Annahmeverzug. Der Arbeitnehmer braucht in diesem Fall seine Arbeitsleistung nach § 296 BGB weder tatsächlich noch wörtlich anzubieten. Auf die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, die Gemeinschuldnerin sei erst aufgrund der ausdrücklich erklärten Freistellung des Klägers von seiner Arbeitspflicht in Annahmeverzug geraten, kommt es nicht an.
II. Der dem Kläger zustehende Verzugslohn umfaßt auch die ihm während dieser Zeit entgangenen Provisionen.
1. Nach § 615 Satz 1 BGB hat der Arbeitgeber die Vergütung an den Arbeitnehmer zu zahlen, die diesem bei Weiterbeschäftigung zugestanden hätte. Hierzu gehören alle Entgeltbestandteile nach § 611 BGB, damit auch Provisionen, die dem Arbeitnehmer infolge des Annahmeverzugs entgangen sind (BAG Urteil vom 19. August 1976 – 3 AZR 173/75 – DB 1976, 2308; BSG Urteil vom 20. März 1984 – 10 RAr 4/83 – SozSich 1984, 290; MünchKomm/Schaub, BGB, 3. Aufl., § 615 Rz 53; Erman/Hanau, BGB, 9. Aufl., § 615 Rz 34; ErfKom/Preis, § 615 BGB Rz 77). Fehlt es an einer ausdrücklichen Vereinbarung der Parteien über die Berechnung dieses Verdienstausfalls, ist dessen Höhe nach § 287 Abs. 2 ZPO zu schätzen (vgl. BAG Urteil vom 29. September 1971 – 3 AZR 164/71 – AP Nr. 28 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG). Diese Schätzung obliegt grundsätzlich dem Tatsachengericht. Seine Entscheidung ist vom erkennenden Gericht nur dahin zu überprüfen, ob sie auf falschen oder unsachlichen Erwägungen beruht oder ob sie wesentlichen Tatsachenstoff außer Acht läßt.
2. Diesem eingeschränkten Prüfmaßstab hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht stand.
a) Das Landesarbeitsgericht hat einen Anspruch verneint, weil der Kläger auch ohne seine Freistellung keine Provision erzielt hätte. Der Verkauf der Rotationsstanzen sei ihm unmöglich gewesen. Etwaige Interessenten hätten wegen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Gemeinschuldnerin von einem Kauf abgesehen. Aufgrund der Fertigungseinstellung seien Maschinen auch nicht mehr lieferbar gewesen. Die sich hieraus ergebenden Rechtsfolgen seien gesetzlich nicht geregelt. Aus den nach § 65 HGB anwendbaren handelsrechtlichen Bestimmungen ergebe sich der Rechtsgedanke, daß ein Provisionsanspruch dann nicht bestehe, wenn der Handelsvertreter die von ihm zu vermarktenden Produkte nicht absetzen könne, weil der Unternehmer – aus welchen Gründen auch immer – keine Erzeugnisse anbieten könne.
b) Auch dieser Begründung des Landesarbeitsgerichts folgt der erkennende Senat nicht.
(1) Richtig ist zwar der Ansatz des Landesarbeitsgerichts, daß nur die infolge des Annahmeverzugs nicht erzielten Provisionen verlangt werden können. Der Annahmeverzug muß mithin ursächlich für den Verdienstausfall sein. Das ist hier aber gegeben, da die Gemeinschuldnerin nicht aufgrund der Freistellung des Klägers in Annahmeverzug geraten ist, sondern aufgrund der Betriebsschließung.
(2) Das Landesarbeitsgericht hat übersehen, daß sich der Anspruch des Klägers nicht ausschließlich nach dem für Handelsvertreter maßgeblichen Bestimmungen des Handelsrechts richtet, sondern die allgemeinen Vorschriften über den Annahmeverzug im Arbeitsverhältnis nach dem BGB anzuwenden sind. Danach entfällt der Provisionsanspruch des Klägers nicht.
Provisionsansprüche weisen zwar die Besonderheit auf, daß sie nicht an die vom Arbeitnehmer während einer bestimmten Zeitspanne zu erbringende Arbeitsleistung anknüpfen, sondern vom Erfolg der Tätigkeit des Arbeitnehmers abhängen. Es steht mithin nicht fest, ob und in welcher Höhe seine Verkaufsbemühungen zum Entstehen von Ansprüchen auf Provision führen. Eine solche Vereinbarung ist grundsätzlich zulässig, wie aus der Regelung in § 65 HGB deutlich wird. Daraus folgt aber nicht, daß der Arbeitnehmer das Risiko fehlender Verkäuflichkeit der Ware auch dann trägt, wenn der Arbeitgeber die Fertigung dieser Erzeugnisse einstellt und damit dem Arbeitnehmer die Gelegenheit nimmt, überhaupt Provisionen zu erwirtschaften.
(3) Etwas anderes ergibt sich deshalb auch nicht aus den Erwägungen des Landesarbeitsgerichts zur Unmöglichkeit der Vermittlung von Geschäften wegen der bei den möglichen Abnehmern der Maschinen “bekannten wirtschaftlichen Schwierigkeiten” der Gemeinschuldnerin. Nach den im Urteil wiedergegebenen Behauptungen des Beklagten beruhten diese Absatzprobleme nämlich auf dem Umstand, daß die Gemeinschuldnerin zuletzt weder die Wartung der Rotationsstanzen sicherstellen noch die ordnungsgemäße Abwicklung von Gewährleistungsansprüchen zusagen konnte.
III. Der Senat kann über den Umfang des dem Kläger zustehenden Annahmeverzugslohnes entscheiden, ohne daß es erforderlich wäre, die Sache dem Landesarbeitsgericht zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, weil insoweit keine neuen Tatsachen festzustellen sind.
1. Das Landesarbeitsgericht hat u.a. ausgeführt, es spreche einiges dafür, die Höhe des Provisionsausfalls nach einer vereinbarten Vorauszahlung auf die Provision zu bemessen. Aus einer solchen Festlegung ergebe sich die gemeinsame Vorstellung der Arbeitsvertragsparteien, daß eine Provision mindestens in dieser Höhe zur erwarten sei.
2. Diese Ausgangsüberlegung des Landesarbeitsgerichts ist zutreffend.
Der vom Kläger während der Dauer des Arbeitsverhältnisses erreichte tatsächlich erzielte Umsatz und die sich daraus ergebende Provision ist demgegenüber nicht geeignet, den Verdienstausfall zu ermitteln. Das erste Beschäftigungsjahr stand ihm als Einarbeitungszeit zur Verfügung, wie die vereinbarte Garantieprovision deutlich macht. Der Umfang der während einer Einarbeitungszeit erreichten Geschäftsanschlüsse ist für die spätere Umsatzentwicklung deshalb nicht ohne weiteres aussagekräftig. Das gilt auch für die vom Kläger in den anschließenden Monaten Juni 1993 bis zur Sequestration und Betriebsstillegung vermittelten Geschäfte. Denn die Arbeitsvertragsparteien haben vereinbart, daß die Provisionen des Klägers jährlich zum 31. Mai abgerechnet werden sollten. Dem Kläger stand damit jeweils ein volles Jahr zur Verfügung, um Provisionen in Höhe der Vorauszahlungen auch tatsächlich zu verdienen. Für die Bemessung des infolge des Annahmeverzugs entgangenen Verdienstes ist kein kürzerer Zeitraum zugrunde zu legen. Aus dem Umfang der vom Kläger in den Monaten Juni bis Oktober 1993 vermittelten Aufträge läßt sich auf eine durchaus realistische Einschätzung der Provisionsentwicklung schließen.
3. Die Auffassung des Beklagten, der Kläger könne keine Provision verlangen, weil seine wirtschaftliche Existenz durch das Festgehalt sichergestellt sei, geht fehlt. Der Anspruch aus Annahmeverzug bestimmt sich weder nach dem Grunde noch der Höhe nach danach, ob der Arbeitnehmer auf Leistungen angewiesen ist.
IV. Die Ansprüche des Klägers sind ungeachtet des Konkurses von dem Beklagten zu erfüllen, weil es sich um Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 KO handelt, die nach § 57 KO vorweg aus der Konkursmasse zu berichtigen sind.
V. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 97 ZPO.
Unterschriften
Leinemann, Düwell, Reinecke, Dr. Weiss, Benz
Fundstellen
Haufe-Index 2629032 |
BB 1998, 1796 |
DB 1998, 1719 |
BuW 1998, 720 |
FA 1998, 327 |
ZAP 1998, 1208 |