Entscheidungsstichwort (Thema)
Behinderüng der Betriebsratswahl. parteipolitische Betätigüng
Leitsatz (amtlich)
1. Unter das Verbot der Behinderung der Betriebsratswahl (§ 20 Abs. 1 BetrVG) fällt eine Kündigung, die anläßlich der Betätigung für die Betriebsratswahl oder im Zusammenhang mit ihr gerade deswegen ausgesprochen wird, um die Wahl dieses Arbeitnehmers zu verhindern oder ihn wegen seines Einsatzes bei der Betriebsratswahl zu maßregeln. Der Arbeitnehmer ist aber nur bei rechtmäßigem Verhalten geschützt. Die Verletzung arbeitsvertraglicher oder gesetzlicher Pflichten ist durch das Behinderungsverbot nicht gedeckt.
2. Ob das Verbot der parteipolitischen Betätigung gemäß § 74 Abs. 2 BetrVG ohne weiteres für alle Arbeitnehmer eines Betriebs gilt, bleibt offen. Eine parteipolitische Betätigung ist noch nicht darin zu erblicken, daß ein Arbeitnehmer anläßlich der bevorstehenden Betriebsratswahl für eine noch aufzustellende Wahlliste um Unterschriften wirbt und dazu ein „Programm” veröffentlicht, das für die künftige Betriebsratsarbeit die Zielsetzung übernimmt, die eine bestimmte politische Partei vertritt. Allerdings gilt die Einschränkung, daß die Wahlwerbung sich im Rahmen der Rechtsordnung halten muß, insbesondere nicht die Rechte Dritter verletzen oder gegen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis verstoßen darf.
3. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) prägt auch die Beziehungen der Arbeitsvertragsparteien. Doch findet es seine Schranken sowohl im Recht der persönlichen Ehre (Art. 5 Abs. 2 GG) als auch in den Grundregeln über das Arbeitsverhältnis, insbesondere in der Pflicht des Arbeitnehmers zu loyalem Verhalten (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung, zuletzt im Urteil vom 26. Mai 1977 – 2 AZR 632/76 – zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung und im Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts bestimmt). Diese Einschränkung gilt im Verhältnis nicht nur zum Arbeitgeber, sondern auch zu anderen Mitarbeitern, darunter den Mitgliedern des Betriebsrats.
Normenkette
BetrVG 1972 §§ 20, 74, 102-103; BGB § 626; GG Art. 5; KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung, § 15
Verfahrensgang
LAG Bremen (Urteil vom 02.04.1976; Aktenzeichen 1 Sa 182/75) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 2. April 1976 – 1 Sa 182/75 – aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger war seit dem 1. Februar 1972 bei der Beklagten als Kranelektriker zu einem Stundenlohn von zuletzt 10,15 DM beschäftigt. Er bewarb sich um eine Kandidatur zu den Betriebsratswahlen im Frühjahr 1975. Am 17. März 1975 verteilte er auf dem Betriebsgelände der Beklagten ein „Programm der Roten Liste zu den Betriebsratswahlen 1975 bei der AGW”, das er gemeinsam mit einem sich gleichfalls bewerbenden Kollegen verfaßt und unterzeichnet und in dem er seine Vorstellungen über die Betriebsratsarbeit niedergelegt hatte. Auf der Grundlage dieses Wahlprogrammes sollten die für die Erstellung eines Wahl Vorschlags erforderlichen Stützunterschriften gesammelt werden. Das Programm, das sechs Schreibmaschinenseiten DIN A 4 umfaßte, hatte – auszugsweise – folgenden Wortlaut:
„Wir beteiligen uns an dieser Betriebsratswahl mit einer Roten Liste, um den Arbeiterverrätern im alten Betriebsrat eine Abfuhr zu erteilen. Die IGM-Liste ist durch Schieberei und hinter verschlossenen Türen ausgemauschelt worden. Es haben sich großenteils wieder die alten, als Verräter schon hinlänglich bekannten Betriebsräte aufgestellt. …
Der einzige Weg, um auf der AG W. vorwärts zu kommen, ist, daß sich die Kollegen der AGW im Kampf gegen die Geschäftsleitung und ihre Handlanger zusammenschließen. Und genau hier sehen wir unsere Aufgaben als Betriebsräte: Euch zu informieren, Euren Kampf zu unterstützen! …
Die Mitglieder des alten BR sind doch im Grunde genommen völlig einverstanden mit dem Kapitalismus. Sie wollen es sich nur ein bißchen bequem einrichten, Posten zu erobern (im Aufsichtsrat, durch Mitbestimmung, als freigestellte BR usw.) und dicke Gehälter kassieren. Nur deshalb halten sie um unsere Stimmen an, tun so, als wenn sie diese oder jene Verbesserungen (als Wahlgeschenk) für uns durchsetzen würden. Dabei hat doch der bisherige BR in jeder Lage vollauf bewiesen, daß er im Dienst der Geschäftsleitung steht: So war es beispielsweise im Sommer 1973, als auf dem B. Vulkan die Kollegen in den Streik um Teuerungszulage traten. Sofort handelte der BR mit der Geschäftsleitung die 100,– DM Schweigegeld (vorgezogenes Weihnachtsgeld) aus, um die Ausweitung des Streiks bei AG W. damit abzuwürgen. …
Wir dagegen meinen, daß der Kapitalismus gestürzt werden muß, weil er mit den Interessen der Arbeiterklasse unvereinbar ist, wir kämpfen deshalb für die sozialistische Revolution. Wir werden uns deshalb auch nicht in „vertrauensvolle Zusammenarbeit” mit den Kapitalisten einlassen, sondern werden in jeder Frage, bei jeder Forderung, die aus dem Betrieb kommt, einzig und allein im Interesse unserer Kollegen handeln.
Daß es zwischen Kapitalisten und Arbeitern keinerlei Gemeinsamkeit gibt, macht besonders die sich jetzt verschärfende Krise deutlich: Der harte Konkurrenzkampf unter den Kapitalisten um Höchstprofite, um die Beherrschung des Marktes, soll einzig und allein auf unserem Rücken ausgetragen werden. Wir sollen Lohnverzicht üben, wir sollen immer schneller und unter gefährlichen Bedingungen arbeiten, wir sollen durch die immer ausgeklügelteren Antreibemethoden (Programmlohn) gegenseitig ausgespielt werden. In dieser kapitalistischen Profitwirtschaft werden wir niemals eine allgemeine Verbesserung unserer Lage erreichen können.
…
Deshalb sind wir auch entschiedene Gegner der „DKP”, die sich „kommunistisch” nennt, in Wirklichkeit aber mit ihrer Mitbestimmungsforderung und ihren Parolen von „Massenkauf kraft stärken sichert Arbeitsplätze” Illusionen in den Kapitalismus schürt. Besonders bei derartigen Leuten müssen wir aufpassen, denn sie sind es, die in geschickter Weise scheinradikal auftreten, in Wirklichkeit aber dasselbe wie die alte BR-Clique um Bö. verfolgen. Sie sind es, die die Kollegen an den arbeiterfeindlichen DGB-Apparat ketten wollen und sämtliche Taten der DGB-Bonzen rechtfertigen. …
In der nächsten Zeit stehen unserer Meinung nach auf der AGW hauptsächlich folgende Forderungen auf der Tagesordnung:
Gegen die Abwälzung der Krise auf unseren Rücken:
Schon durch die Einführung des Programmlohns und die damit verbundene gesteigerte Arbeitshetze haben wir deutlich die Auswirkungen der Krise zu spüren bekommen. Die zunehmenden Verwarnungen und Entlassungen in letzter Zeit sollen auch zur stärkeren Disziplinierung beitragen.
Wehren wir uns gegen diesen Unternehmerterror!
Gegen die für die Werft nicht notwendige Schicht arbeit:
Sie ruiniert völlig unsere Gesundheit und unser Leben. Kämpfen wir deshalb auch für bessere Arbeitsbedingungen in den Bereichen, wo Schicht gearbeitet wird (ärztliche Versorgung, mehr Urlaub, regelmäßige Kuraufenthalte usw.).
Gegen Überstundenschinderei!
Durch die Überstundenschinderei soll das Letzte aus uns herausgepreßt werden, wahrend wir aber trotzdem nur so viel bekommen, daß wir gerade über die Runden kommen, Deshalb fordern wir die 40-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich.
Gegen die durch Profitinteresse hervorgerufenen Unfall- und Gesundheitsgefährdungen!
Für wirksame Sicherheitsmaßnahmen besonders auf Gerüsten und im Transport, Abschaffung schädlicher Werkstoffe wie Asbest, bessere Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiteinschränkung bei gesundheitsgefährdeten Arbeiten wie Stemmen, Spritzen, Zink schweißen, wirksame und erträgliche Lüftung.
Ausländische und deutsche Kollegen – eine Kampffront!
Die ausländischen Kollegen werden von den Kapitalisten besonders stark ausgepreßt. Sie bekommen weniger Lohn, müssen großenteils unter übelsten Bedingungen wohnen und sind in der Krise als erste von Entlassungen und damit von Ausweisung bedroht. Die Kapitalisten wollen uns gegeneinander ausspielen, dabei sind sie der gemeinsame Feind deutscher und ausländischer Kollegen.
- Bei den Lehrlingen zeigt sich immer deutlicher, daß ihre Ausbildung einzig nach Profitinteresse ausgerichtet ist. Wir unterstützen die Forderung der roten Jugendvertreter:
- Schluß mit Stufenplan und Jungwerkerausbildung!
- Für Existenzlohn der Lehrlinge!
- Streikrecht für Lehrlinge! …
Kollegen, eines muß klar sein: Die Geschäftsleitung und der Betriebsrat werden es nicht stillschweigend zulassen, daß klassenkämpferische und kommunistische Kollegen hier im Betrieb auftreten. So, wie sie in den letzten Jahren mehrere Kollegen aus politischen Gründen auf die Straße gesetzt haben, werden sie es weiterhin versuchen. Besonders jetzt, anläßlich der BR-Wahlen, werden sie auch ihren Terror gegen einige Kollegen verstärken, die unsere Liste unterstützen. Die IGM-Bonzen werden mit Gewerkschaftsausschluß drohen. …
Unterstützt unsere Rote Liste mit Euerer Unterschrift!”
Noch am 17. März 1975 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos mit der Begründung, durch die Unterzeichnung und Verteilung dieses Programms habe der Kläger jede weitere Zusammenarbeit unmöglich gemacht. In dem Kündigungsschreiben hieß es: „Diese Kündigung gilt in jedem Fall”. Vor Ausspruch der Kündigung hatte die Beklagte den Betriebsrat angehört und ihm mitgeteilt, daß sie die Kündigung hilfsweise als fristgemäße aufrechtzuerhalten gedenke. Der Betriebsrat hat diese schriftliche Kündigungsmitteilung mit dem Vermerk „zur Kenntnis genommen” versehen und vor Ausspruch der Kündigung an die Beklagte zurückgegeben. Ein Wahlvorschlag mit der erforderlichen Mindestzahl von Stützunterschriften war zur Zeit der Kündigung noch nicht erstellt.
Der Kläger hält die Kündigung für rechtsunwirksam. Er meint, sie stelle eine Wahlbehinderung dar, weil die Beklagte sie lediglich deswegen ausgesprochen habe, um seine Kandidatur und damit den zu erwartenden Kündigungsschutz zu vereiteln. Die Kündigung sei daher nach § 20 BetrVG, § 134 BGB nichtig. Da ferner eine Störung des Betriebsfriedens nicht eingetreten sei, fehle es auch an einem wichtigen Grund für die Kündigung. Eine Umdeutung in eine ordentliche Kündigung scheide aus, da eine solche nicht sozial gerechtfertigt sei. Mit seiner Klage hat er beantragt festzustellen, daß die ihm gegenüber ausgesprochene fristlose Kündigung unwirksam und das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht beendet worden sei.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise das Arbeitsverhältnis gegen Abfindung aufzulösen. Sie hat vorgetragen, die Kündigung sei ausschließlich wegen des Inhalts des Flugblattes ausgesprochen worden. Aufgrund der darin enthaltenen unwahren Behauptungen und der Hetze gegen sie und den Betriebsrat sei es ihr nicht mehr zuzumuten, mit dem Kläger weiter zusammenzuarbeiten. Durch die Verteilung des „Programms” sei der Betriebsfrieden gestört worden. Einige Arbeitnehmer hätten nach Kenntnisnahme von dem Flugblatt es erregt abgelehnt, mit dem Kläger zusammenzuarbeiten, und dessen Entlassung gefordert. Der Kläger habe auch in der Absicht gehandelt, den Betriebsfrieden zu stören. Dies zeigten die vom Kläger nach der Kündigung verteilten Flugblätter. Außerdem habe er sich mit dem Programm der KPD/ML, deren Mitglied er sei, identifiziert. Deshalb müsse davon ausgegangen werden, daß es sich bei dem Vorfall nicht um eine einmalige Aktion im Rahmen des Wahlkampfes gehandelt habe; vielmehr seien Wiederholungen zu befürchten gewesen. Die Beklagte hat sich schließlich darauf berufen, daß sie das Arbeitsverhältnis vorsorglich auch fristgerecht gekündigt habe. Dieser Wille sei deutlich dem Kündigungsschreiben zu entnehmen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter, während der Kläger die Zurückweisung der Revision erstrebt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.
I. Die Beklagte hat die Kündigung allein darauf gestützt, daß der Kläger am 17. März 1975 in Betrieb das von ihm mitverfaßte „Programm der Roten Liste zu den Betriebsratswahlen 1975 bei der AGW” verteilt hat. Weitere selbständige Kündigungsgründe hat die Beklagte nicht vorgetragen; das gilt auch für die von der Beklagten behauptete Mitgliedschaft des Klägers in der KPD/ML, aus der sie Schlußfolgerungen auf die innere Einstellung des Klägers im Zusammenhang mit der Verteilung des „Programms” ziehen, nicht aber einen zusätzlichen Kündigungsgrund herleiten will.
II. Aus Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes läßt sich die vom Kläger geltend gemachte Unwirksamkeit der Kündigung nicht entnehmen. In diesem Bereich ist dem angefochtenen Urteil im Ergebnis zu folgen.
1. Den besonderen Kündigungsschutz als Wahlbewerber für die Betriebsratswahl kann der Kläger für sich nicht in Anspruch nehmen. Dieser in § 15 Abs. 3 KSchG in Verbindung mit § 103 BetrVG geregelte Schutz beginnt erst, sobald ein Wahlvorschlag vorliegt, der die nach § 14 Abs. 4 oder Abs. 5 BetrVG erforderliche Mindestzahl von Unterschriften wahlberechtigter Arbeitnehmer aufweist (BAG AP Kr. 1 zu § 15 KSchGr 1969 Wahlbewerber; auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt). Ein solcher Wahl Vorschlag zugunsten des Klägers war im Zeitpunkt der Kündigung noch nicht zustandegekommen.
2. Die Kündigung ist auch nicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam. Das Landesarbeitsgericht ist aufgrund der Feststellungen im Tatbestand zu dem Ergebnis gelangt, der Betriebsrat sei vor der Kündigung ordnungsgemäß gehört worden. Hiergegen hat keine der Parteien Rügen erhoben. Rechtsfehler sind insoweit nicht ersichtlich.
3. Der Kläger hat geltend gemacht, die Kündigung stelle eine Behinderung der Betriebsratswahl im Sinne des § 20 BetrVG dar; ihm sei die Ausübung seines passiven Wahl rechts unmöglich gemacht worden. Dieser Vortrag führt jedoch unter den Gegebenheiten des Streitfalls nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung.
a) Richtig ist der Ansatzpunkt des Klägers, daß das Behinderungsverbot des § 20 Abs. 1 BetrVG als gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB zu verstehen ist (ebenso Dietz-Richardi, BetrVG, 5. Aufl., § 20 Anm. 7, 20; Fitting-Auffarth-Kaiser, BetrVG, 12. Aufl., § 20 Anm. 21; Galperin-Löwisch, BetrVG, 5. Aufl., § 20 Anm. 4, 15; alle mit weiteren Hinweisen). Verboten sind danach rechtswidrige Maßnahmen, durch die z. B. versucht wird, eine Wahlbewerbung durch die Kündigung auszuschließen. Verfolgt die Kündigung diesen Zweck, dann ist sie schlechthin nichtig (Galperin-Löwisch, aaO, mit weiteren Hinweisen in Anm. 15).
Damit kann sich § 20 Abs. 1 BetrVG auch als Kündigungsschutzvorschrift darstellen. Sie muß aber im Zusammenhang mit dem übrigen Kündigungs- und Kündigungsschutzrecht gesehen werden. Der relative Kündigungsschutz, den § 20 Abs. 1 BetrVG – ähnlich wie die Schutzbestimmung des § 78 BetrVG – gewähren kann, ist nicht so zu verstehen, daß der Sonderkündigungsschutz des § 15 KSchG, der wie schon ausgeführt hier nicht gilt, über seinen Geltungsbereich hinaus ausgedehnt wird, also z. B. auch schon möglichen künftigen Wahlbewerbern zugute kommt. Ebensowenig wird durch § 20 Abs. 1 BetrVG das allgemeine Kündigungsrecht des Arbeitgebers über die dafür geltenden Vorschriften hinaus (§ 1 KSchG, § 626 BGB) beschränkt. Vielmehr kann ein Kündigungsverbot auf der Grundlage des § 20 Abs. 1 BetrVG nur unter den dort genannten besonderen Voraussetzungen eingreifen.
Es wird deshalb nur eine Kündigung erfaßt, die anläßlich einer Betätigung für die Betriebsratswahl oder im Zusammenhang mit ihr gerade deswegen ausgesprochen wird, um die Wahl dieses Arbeitnehmers zu verhindern oder um den Arbeitnehmer wegen seines Einsatzes bei der Betriebsratswahl zu maßregeln. Daraus folgt zugleich, daß der Arbeitnehmer im Rahmen des § 20 Abs. 1 BetrVG nur bei rechtmäßigem Verhalten geschützt ist. Verletzt er anläßlich seines Einsatzes für die Betriebsratswahl ihm obliegende Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis oder verstößt er gegen gesetzliche Vorschriften, dann wird dies durch das Behinderungsverbot nicht gedeckt. Ihm steht dann lediglich der allgemeine Schutz gegen eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung zu (vgl. zur vergleichbaren Rechtslage bei § 78 BetrVG BAG AP Nr. 1 zu § 626 BGB Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt, zu III 2 der Gründe mit Anmerkung von Götz Hueck zu II 1).
b) Demnach hängt der relative Kündigungsschutz des § 20 Abs. 1 BetrVG von einer Würdigung der Verhältnisse im Einzelfall ab. Dazu zeigt der vorliegende Sachverhalt, daß die genannten Voraussetzungen, unter denen möglicherweise die Kündigung vom 17. März 1975 gegen das Behinderungsverbot verstoßen könnte, nicht erfüllt sind und dafür aufgrund des Verhaltens der Beklagten auch keine tatsächliche Vermutung spricht (vgl. zu dieser Frage die Angaben bei Galperin-Löwisch, aaO, § 20 Anm. 15).
Das vom Kläger mitverfaßte „Programm der Roten Liste” hat zwar unmittelbaren Bezug auf die bevorstehende Betriebsratswahl. Begründet hat die Beklagte ihre Kündigung aber damit, daß der Kläger durch eine Reihe von Darstellungen in dem „Programm” seine vertragliche Treuepflicht verletzt und mit der Verteilung dieser Schrift den Betriebsfrieden gestört habe. Diese Begründung liegt in dem Bereich, der durch das Behinderungsverbot nicht erfaßt wird. Es spricht angesichts des unstreitigen Kündigungssachverhalts nichts dafür, daß die Beklagte ihre Kündigungsgründe nur vorgeschoben habe und die Kündigung in Wahrheit nur deshalb erklärt worden sei, um ein nicht genehmes mögliches Mitglied des zu wählenden Betriebsrats auszuschalten. Der Kläger hat nichts vorgetragen, was auf eine solche Absicht der Beklagten schließen läßt.
4. Nicht zu folgen ist der Revision in ihrem Vortrag, das „Programm der Roten Liste” stelle u. a. eine parteipolitische Betätigung dar, die durch § 74 Abs. 2 BetrVG verboten sei; in der Verbreitung des „Programms” liege eine Pflichtwidrigkeit des Klägers, die die außerordentliche Kündigung rechtfertige.
a) § 74 Abs. 2 BetrVG gilt seinem Wortlaut nach nur für den Arbeitgeber und den Betriebsrat. Ob und inwieweit dieser Vorschrift auch ein für die übrigen Arbeitnehmer geltendes Verbot der parteipolitischen Betätigung im Betrieb zu entnehmen ist, wird im Schrifttum unterschiedlich beantwortet; teilweise wird die Ansicht vertreten, jedenfalls aus dem Arbeitsvertrag ergebe sich für die einzelnen Arbeitnehmer, daß sie parteipolitische Betätigungen im Betrieb insoweit unterlassen müßten, wie dadurch der Betriebsfrieden beeinträchtigt werde oder andere Arbeitnehmer sich belästigt fühlten (in diesem Sinne BAG 23, 371 [375] = AP Nr. 83 zu § 1 KSchG [zu I]; BAG 24, 438 [444] = AP Nr. 2 zu § 134 BGB [zu II 2 b]; BAG AP Nr. 1 zu § 15 KSchG 1969 [zu II 3 c]; vgl. zu dieser Frage allgemein Dietz-Richardi, aaO, § 74 Anm. 40; Fitting-Auffarth-Kaiser, aaO, § 74 Anm. 9; Galperin-Löwisch, aaO, § 74 Anm. 23; Gnade, Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 14 (1976) S. 59 [67 f.]; Meisel, RdA 1976, 38 [42 ff.]; Thiele, GK-BetrVG, § 74 Anm. 51).
b) Im Streitfall kann diese Frage offenbleiben. Der Kläger hat sich nicht parteipolitisch betätigt, sondern anläßlich einer bevorstehenden Betriebsratswahl für eine noch aufzustellende Wahlliste um Unterschriften geworben. Die in seinem „Programm” enthaltene grundsätzliche Gegnerschaft gegen die bestehende Sozial Ordnung, das geltende Wirtschaftssystem und gegen alle politisch relevanten Gruppierungen einschließlich der ausdrücklich genannten DKP mögen mit den Zielsetzungen übereinstimmen, die von der KPD/ML vertreten werden. Darin kommt zum Ausdruck, daß der Kläger die angestrebte Kandidatur zum Betriebsrat als politische Aktion begreift und dies im Betrieb durch die Darstellung seiner politischen Haltung deutlich machen will. Der Gesamtvorgang bleibt aber bezogen auf den „Wahlkampf” zur Betriebsratswahl. Welche Mittel dabei eingesetzt werden, ist grundsätzlich den „Wahlkämpfern” überlassen. Es gilt allerdings die Einschränkung, daß die Wahlwerbung sich im Rahmen der Rechtsordnung halten muß. Sie darf nicht die Rechte Dritter, z. B. ihre Ehre, verletzen und auch nicht gegen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis verstoßen (vgl. Thiele, aaO, § 20 Anm. 11).
III. Damit bleibt die Frage, ob die Kündigung vom 17. März 1975 entweder als außerordentliche gemäß § 626 BGB oder als ordentliche gemäß § 1 KSchG rechtswirksam ist. Das Landesarbeitsgericht hat diese Frage verneint. Die hiergegen gerichteten Revisionsangriffe der Beklagten sind begründet.
1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe mit der Abfassung und Verteilung des „Programms der Roten Liste” seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht derart verletzt, daß auch nur die ordentliche Kündigung gerechtfertigt sei. Sein Tätigwerden stehe im Zusammenhang mit den Betriebsratswahlen. Es liege in der Natur der Sache, daß vor solchen Wahlen bei der Bewerbung verschiedener Arbeitnehmergruppen unterschiedliche Meinungen aufeinanderstießen. Der Einsatz des Klägers sei durch das Recht der freien Meinungsäußerung aus Art. 5 GG gedeckt. Wegen der besonderen Bedeutung dieses Grundrechts könne das Verhalten des Klägers im Hinblick auf den Wahlkampf nicht als unzulässig angesehen werden. Solange Meinungsäußerungen sachbezogen blieben und keine persönlichen Angriffe auf den Arbeitgeber enthielten, müsse dieser sie hinnehmen.
Diese Begründung des angefochtenen Urteils halt der rechtlichen Überprüfung nicht stand, auch wenn in Betracht gezogen wird, daß dem Richter der Tatsacheninstanz bei der Anwendung des § 626 Abs. 1 BGB und des § 1 Abs. 2 KSchG im Einzelfall ein bestimmter Beurteilungsspielraum zusteht. Das Landesarbeitsgericht hat nicht alle rechtlich erheblichen Umstände berücksichtigt und teilweise Rechtsansichten vertreten, die nicht gebilligt werden können.
2. Wie das Bundesarbeitsgericht immer wieder entschieden hat, prägt das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) auch die Beziehungen der Arbeitsvertragsparteien. Doch findet es hier seine Schranken sowohl im Recht der persönlichen Ehre (Art. 5 Abs. 2 GG), als auch in den Grundregeln über das Arbeitsverhältnis. Demnach darf der Arbeitnehmer öffentlich – insbesondere in der Betriebsöffentlichkeit, z. B. in Flugblättern an die Belegschaftsangehörigen – keine bewußt wahrheitswidrigen Behauptungen über den Arbeitgeber oder über andere Mitarbeiter aufstellen und durch seine Aktionen nicht den Betriebsfrieden stören. Die Verletzung dieses Verbots kann den Arbeitgeber zur außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung berechtigen (vgl. zuletzt das zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung und im Nachschlagewerk des Gerichts bestimmte Urteil des Senats vom 26. Mai 1977 – 2 AZR 632/76 – mit weiteren Hinweisen unter II 5 der Gründe). Das gilt insbesondere auch für Angriffe gegen den Betriebsrat als den Repräsentanten der Belegschaft. Bei einer gegen ihn und seine Mitglieder erhobenen Kritik müssen ebenfalls Ehrverletzungen und Störungen des Betriebsfriedens vermieden werden (vgl. zu Äußerungen in der Betriebsversammlung BAG AP Nr. 4 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung).
3. Bei der Prüfung dieser Fragen hat sich das Landesarbeitsgericht mit dem Hinweis begnügt, im Wahlkampf müsse der Arbeitgeber sachbezogene Äußerungen, die keine persönlichen Angriffe auf ihn darstellten, hinnehmen. Unmittelbar anschließend folgt der Satz: „Das Verhalten des Klägers ist daher durch Art. 5 GG gerechtfertigt und stellt somit keinen wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB dar.” Es fehlt jede Auseinandersetzung des Landesarbeitsgerichts mit den einzelnen Äußerungen des Klägers in dem „Programm”, und zwar sowohl mit solchen Äußerungen, die sich gegen die Beklagte richten, als auch mit den Angriffen gegen den Betriebsrat und einzelne seiner Mitglieder.
a) Damit hat das Landesarbeitsgericht nicht alle Umstände des Falles in seine Würdigung einbezogen. Das Landesarbeitsgericht hat unbeachtet gelassen, daß der Kläger gegen die Beklagte aller schwerste Vorwürfe erhoben hat. Diese liegen u. a. in der Behauptung, daß die Arbeitnehmer bei der Beklagten unter immer gefährlicheren Bedingungen und ausgeklügelteren Antreibermethoden arbeiten und gegeneinander ausgespielt werden sollten, daß die Beklagte durch zunehmende Verwarnungen und Entlassungen Unternehmerterror ausübe, daß das Profitinteresse der Beklagten Unfall- und Gesundheitsgefährdungen hervorrufe, daß die ausländischen Arbeitnehmer von den Kapitalisten besonders stark ausgepreßt würden, daß die Beklagte in den letzten Jahren mehrere Arbeitnehmer aus politischen Gründen auf die Straße gesetzt habe, dies auch weiterhin versuchen werde und besonders anläßlich der Betriebsratswahlen ihren Terror gegen solche Kollegen verstärken werde, die seine, des Klägers, Liste unterstützten.
Gegen den damals amtierenden Betriebsrat und seine Mitglieder hat der Kläger u. a. den Vorwurf erhoben, im Betriebsrat säßen Arbeiterverräter, der Betriebsrat stehe im Dienst der Beklagten, er habe im Sommer 1973 mit der Beklagten ein Schweigegeld ausgehandelt, um die Ausweitung eines an anderer Stelle ausgebrochenen Streiks abzuwürgen, bei zu erwartenden Massenentlassungen werde die Beklagte die volle Schützenhilfe der Betriebsratsclique erhalten.
b) Ob der Kläger mit diesen Äußerungen bestimmte Straftatbestände verwirklicht und damit das durch Art. 5 Abs. 2 GG geschützte und gegenüber dem Grundrecht der Meinungsfreiheit vorrangige Recht der persönlichen Ehre sowohl der leitenden Personen der Beklagten als auch der Mitglieder des Betriebsrats verletzt hat, hat das Landesarbeitsgericht nicht geprüft. Der oben gekennzeichnete Inhalt des „Programms der Roten Liste” kann angesichts seines agitatorischen Charakters und seiner Gesamttendenz, die die Beklagte und den Betriebsrat als zu bekämpfende Gegner hinstellt, durchaus als beleidigendes Werturteil im Sinne des § 185 StGB gewertet werden (vgl. BGHSt 6, 159; Dreher, StGB, 37. Aufl., § 186 Anm. 2; Lackner, StGB, 10. Aufl., § 186 Anm. 3). Eine solche Ehrverletzung kommt als wichtiger Grund, zumindest aber als Grund für eine ordentliche Kündigung in Betracht. Da das Landesarbeitsgericht diesen Kündigungsgrund nicht oder jedenfalls nicht in der zuvor aufgezeigten Richtung gewürdigt hat, hat es den Rechtsbegriff des wichtigen Grundes im Sinne des § 626 BGB wie auch den Begriff der verhaltensbedingten Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG nicht richtig angewendet. Schon das führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
c) Neben einer Ehrverletzung kommt als Kündigungsgrund eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten durch den Kläger in Betracht, die in der Verteilung des „Programms der Roten Liste” mit der darin liegenden politischen Äußerung gesehen werden kann. Das Landesarbeitsgericht, das eine Vertragspflichtverletzung des Klägers verneint hat, hat übersehen, daß eine durch den Arbeitnehmer herbeigeführte Störung im persönlichen Vertrauensbereich der Arbeitsvertragsparteien einen Grund zur Kündigung bilden kann. Die arbeitsvertraglichen Beziehungen werden aber durch eine politische Meinungsäußerung des Arbeitnehmers unmittelbar berührt, wenn dadurch der Arbeitgeber diskriminiert und in der öffentlichen Meinung herabgesetzt wird (BAG 24, 438 [443ff.] = AP Nr. 2 zu § 134 BGB [zu II 2]).
Daß eine solche Beurteilung im vorliegenden Fall Platz greifen kann, zeigen die bereits erwähnten Angriffe des Klägers gegen die Beklagte. Zumindest mit einem Teil seiner Darstellungen hat der Kläger die ihm durch den Arbeitsvertrag auferlegten Grenzen loyalen Verhaltens überschritten. Das Interesse des Klägers, seine Vorstellungen über Stellung und Aufgaben des Betriebsrats anläßlich der bevorstehenden Wahl bekanntzugeben, deckt nicht solche Angriffe, die die Beklagte bewußt diffamieren. Insbesondere kann der Umstand, daß die Äußerungen im Wahlkampf gefallen sind, eine Aufwiegelung der Belegschaft gegen die Beklagte nicht rechtfertigen. Nach dem Inhalt des „Programms” liegt es nahe, daß der Kläger diesen Zweck verfolgt hat. Deshalb ist die nicht näher begründete Ansicht des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe seine Vertragspflichten nicht verletzt, fehlsam und macht ebenfalls die Aufhebung des angefochtenen Urteils erforderlich.
d) Nicht zu billigen ist schließlich die Ansicht des Landesarbeitsgerichts, das Verhalten des Klägers nach der Kündigung müsse außer Betracht bleiben. Gemeint sind damit offenbar die von der Beklagten in den Prozeß eingeführten Flugblätter (Bl. 30-60 VorA), die der Kläger an die Mitarbeiter der Beklagten in der Absicht verteilt habe, den Betriebsfrieden zu stören. Dabei hat das Landesarbeitsgericht nicht beachtet, daß nach der Rechtsprechung des Senats auch Umstände, die nach der Kündigung eingetreten sind, bei der Interessenabwägung eine Rolle spielen können, wenn sie das frühere Verhalten des Gekündigten in einem anderen Licht erscheinen lassen, d. h. ihm ein größeres Gewicht als Kündigungsgrund verleihen (BAG 2, 245 [252] = AP Nr. 1 zu § 67 HGB [zu III]).
Bisher nicht geklärt ist die Frage, ob der Kläger sich zum Inhalt der Flugblätter bekannt hat. Sollte dies der Fall sein, dann sind sie für die Beurteilung des Kündigungssachverhalts erheblich. Sie enthalten ähnlich schwerwiegende Angriffe gegen die Beklagte und gegen den Betriebsrat wie das „Programm der Roten Liste” und sind deshalb geeignet, den eigentlichen Kündigungsgrund zu verstärken.
IV. Nach alledem muß das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben werden. Der Kündigungssachverhalt ist unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen erneut zu würdigen. Teilweise sind noch tatsächliche Feststellungen erforderlich. Dies alles ist Sache des Gerichts der Tatsacheninstanz. Der Rechtsstreit ist deshalb an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Es erhält dadurch zugleich Gelegenheit, die erforderliche Interessenabwägung sowohl im Hinblick auf § 626 BGB als ggf. auch im Hinblick auf § 1 Abs. 2 KSchG nachzuholen.
Unterschriften
gez.: Dr. Gröninger, Roeper, Dr. Jobs, Thieß, Dr. Kammann
Fundstellen
NJW 1978, 1872 |
Belling / Luckey 2000, 355 |