Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung. Akkordgruppe. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Entgeltfortzahlung an Feiertagen. Akkordvergütung. Gruppenakkord. Entgeltausfallprinzip. Referenzprinzip. Lohnausgleich. Gesamtschuld
Orientierungssatz
1. Bei der Erkrankung eines Arbeitnehmers im Leistungslohn greift das Entgeltausfallprinzip ein (§ 4 Abs. 1 a Satz 2 EFZG). Arbeitet ein Arbeitskollege der aus zwei Arbeitnehmern bestehenden Akkordgruppe allein im Akkord weiter, ist dessen Vergütung während dieser Zeit regelmäßig für die Höhe der Entgeltfortzahlung des erkrankten Arbeitnehmers maßgebend. Auf einen zurückliegenden Referenzzeitraum der Akkordgruppe kann nur ausnahmsweise abgestellt werden. Wer sich auf einen Ausnahmefall beruft, hat besondere Umstände dafür darzulegen, daß seine Berechnung dem Entgeltausfallprinzip besser gerecht wird.
2. Der Tarifvertrag zur Förderung der Aufrechterhaltung der Beschäftigungsverhältnisse im Baugewerbe während der Winterperiode vom 20. Dezember 1999 (TV Lohnausgleich) begrenzt den gesetzlichen Anspruch auf Entgeltfortzahlung an Feiertagen nicht. Vielmehr findet eine Verrechnung zwischen dem pauschal geschuldeten Lohnausgleich und der Feiertagsvergütung statt (§ 3 Abs. 1 Satz 2 TV Lohnausgleich).
Normenkette
EFZG §§ 3-4, 2, 12; HGB §§ 128, 161 Abs. 2; BGB § 421
Verfahrensgang
LAG Brandenburg (Urteil vom 05.02.2002; Aktenzeichen 2 Sa 533/01) |
ArbG Potsdam (Urteil vom 12.04.2001; Aktenzeichen 6 Ca 699/01) |
Tenor
I. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 5. Februar 2002 – 2 Sa 533/01 – teilweise aufgehoben und insgesamt wie folgt neu gefaßt:
- Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam vom 12. April 2001 – 6 Ca 699/01 – abgeändert und die Klage bezüglich weiterer 878,85 DM brutto nebst Zinsen abgewiesen.
- Im übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
- Die Kosten der ersten Instanz haben der Kläger zu 87 % und die Beklagten als Gesamtschuldnerinnen zu 13 % zu tragen. Die Kosten der Berufung haben der Kläger zu 95 % und die Beklagten als Gesamtschuldnerinnen zu 5 % zu tragen.
II. Im übrigen wird die Revision des Klägers zurückgewiesen.
III. Die Kosten der Revision haben der Kläger zu 95 % und die Beklagten als Gesamtschuldnerinnen zu 5 % zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Feiertagsvergütung.
Der Kläger ist bei der Beklagten zu 1 als Fliesenleger beschäftigt. Er arbeitet seit 1993 mit seinem Arbeitskollegen T im Gruppenakkord. Die Beklagte zu 2 ist die persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten zu 1.
Vom 1. Dezember bis zum 31. Dezember 2000 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Herr T arbeitete in dieser Zeit im Einzelakkord weiter. Die Beklagte zu 1 leistete dem Kläger für 142,5 Stunden Entgeltfortzahlung in Höhe von 4.986,08 DM brutto. Das entspricht der Stundenvergütung von 34,99 DM brutto, die Herr T im Dezember 2000 erzielte. Außerdem zahlte die Beklagte zu 1 einen Lohnausgleich von 484,50 DM brutto, den ebenso Herr T erhielt.
Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte zu 1 hätte für die 157,5 Stunden des Dezember 2000 einschließlich 15 Feiertagsstunden jeweils 43,69 DM brutto zahlen müssen. Hierbei handelt es sich um den Stundenverdienst des Klägers im November 2000, soweit der Kläger in diesem Monat gearbeitet hat. Den ausgezahlten Betrag von 484,50 DM hat er als „zusätzlich geschuldete Gratifikation” angesehen und sich nicht anrechnen lassen.
Der Kläger hat, soweit in der Revisionsinstanz noch erheblich, beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 1.895,10 DM brutto zuzüglich 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 28. Februar 2001 zu verurteilen.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben geltend gemacht, der Kläger könne die Entgeltfortzahlung nicht entsprechend dem Verdienst oder Durchschnittsverdienst aus einem Referenzzeitraum verlangen. Hätte er gearbeitet, hätte er die Vergütung erzielt, die der Arbeitskollege T auf der für die Akkordleistung ungünstigen Baustelle im Dezember 2000 erreicht habe. Für eine zusätzliche Gratifikation fehle es an einer Anspruchsgrundlage.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 919,20 DM brutto nebst Zinsen verurteilt, die Klage im übrigen abgewiesen und die Berufung für beide Parteien zugelassen. Es hat angenommen, der Entgeltfortzahlung sei der vom Kläger in den Monaten September bis November 2000 durchschnittlich erzielte Stundenlohn von 40,57 DM brutto zugrunde zu legen. Dieser Betrag gelte auch für die Feiertagsstunden; die Zahlung des Lohnausgleichs habe den Anspruch teilweise erfüllt. Hiergegen haben nur die Beklagten Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat antragsgemäß das erstinstanzliche Urteil abgeändert und den Klageantrag insgesamt abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision ist lediglich in Höhe von 40,35 DM (= 20,63 Euro) begründet, im übrigen unbegründet.
1. Der Kläger kann für die 142,5 Krankheitsstunden Entgeltfortzahlung nur entsprechend der Vergütung des Arbeitskollegen T im Dezember 2000 (34,99 DM/Stunde) verlangen. In dieser Höhe hat die Beklagte zu 1 Entgeltfortzahlung geleistet. Die Klage auf zusätzliche Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist unbegründet.
a) Nach § 4 Nr. 2 des allgemeinverbindlichen Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe vom 3. Februar 1981 idF vom 19. April 2000 (BRTV-Bau) gelten für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall die gesetzlichen Bestimmungen. Der Kläger war im Dezember 2000 ohne sein Verschulden arbeitsunfähig krank. Er hat deshalb gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 EFZG für die ausgefallenen 142,50 Arbeitsstunden einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung erworben.
b) Erhält der Arbeitnehmer eine auf das Ergebnis der Arbeit abgestellte Vergütung, so ist der von dem Arbeitnehmer in der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit erzielbare Durchschnittsverdienst der Berechnung zugrunde zu legen (§ 4 Abs. 1 a Satz 2 EFZG). Danach ist auch beim Leistungslohn das Entgeltausfallprinzip maßgebend. Beim Akkordlohn muß der Lohn weitergezahlt werden, den der Akkordarbeiter erzielt hätte, wenn er nicht krank geworden wäre. Dieser für § 2 Abs. 1 Satz 3 LohnFG anerkannte Grundsatz (vgl. BAG 15. Februar 1978 – 5 AZR 739/76 – AP LohnFG § 2 Nr. 8 = EzA LohnFG § 2 Nr. 12; 22. Oktober 1980 – 5 AZR 438/78 – AP LohnFG § 2 Nr. 10 = EzA LohnFG § 2 Nr. 15) gilt auch für die im wesentlichen unverändert gebliebene Fassung des § 4 Abs. 1 a Satz 2 EFZG. Es ist jeweils die Berechnung zu wählen, die dem Entgeltausfallprinzip am besten gerecht wird (ErfK/Dörner 3. Aufl. EFZG § 4 Rn. 35 f.). Hiervon gehen auch die Parteien übereinstimmend aus.
c) Beim Gruppenakkord kommt es der Bestimmung des tatsächlichen Entgeltausfalls am nächsten, auf den Verdienst der weiterarbeitenden Akkordgruppenmitglieder abzustellen. Das Referenzprinzip ist für die Bestimmung des Entgeltausfalls weniger gut geeignet, weil es die tatsächlichen Besonderheiten der ausgefallenen Arbeit nicht berücksichtigt. Regelmäßig werden Akkordgruppen aus ungefähr gleich leistungsstarken Arbeitnehmern gebildet. Es ist wahrscheinlich, daß der erkrankte Arbeitnehmer eine dem Verdienst der übrigen Arbeitnehmer entsprechende Vergütung erzielt hätte (BAG 22. Oktober 1980 aaO). Das gilt auch bei einer aus zwei Personen bestehenden Akkordgruppe, wenn der verbleibende Arbeitnehmer allein im Akkord weiterarbeitet. Zwar entfallen für ihn die Vorteile der Zusammenarbeit. Doch tritt deren Bedeutung regelmäßig hinter die Bedeutung der Art der Arbeit auf unterschiedlichen Baustellen in unterschiedlichen Zeiträumen zurück. Sache des Arbeitnehmers ist es deshalb, einen Ausnahmefall darzulegen, der es rechtfertigt, auf den höheren Verdienst in der Vergangenheit abzustellen.
d) Von diesen Grundsätzen ist das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgegangen. Es hat zu Recht angenommen, der Kläger habe keine Tatsachen dargelegt, die es rechtfertigen könnten, von dem genannten Grundprinzip abzugehen. Die vorgetragenen Stundenlöhne der Vergangenheit sprechen vielmehr dafür, daß der Verdienst des Klägers in erster Linie nicht durch die Tatsache der Zusammenarbeit mit einem Kollegen, sondern durch die besonderen Bedingungen der unterschiedlichen Arbeit auf verschiedenen Baustellen bestimmt wurde. Der von Herrn T im Dezember 2000 erzielte Verdienst lag durchaus noch in der Bandbreite von Stundenlöhnen, die die Akkordgruppe in der Vergangenheit erzielte. Unstreitig handelte es sich im Dezember 2000 um eine „schlechte” Baustelle. Die Revision hat gegen diese Feststellungen und Wertungen des Landesarbeitsgerichts nichts Erhebliches vorgebracht. Das Arbeitsergebnis des Arbeitnehmers T ist gerade nicht erkennbar durch die Leistung eines Ersatzmannes beeinflußt worden.
2. Dem Kläger steht für die zwei Feiertage des Dezember 2000, an denen er arbeitsunfähig krank war, restliche Entgeltfortzahlung in Höhe von 40,35 DM (= 20,63 Euro) zu. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht die Klage zu Unrecht abgewiesen.
a) Die Beklagte zu 1 ist gemäß § 3 EFZG zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts auch für 15 Arbeitsstunden des 25. und 26. Dezember 2000 verpflichtet. Gleichzeitig ist die Arbeitszeit infolge der gesetzlichen Feiertage ausgefallen (§ 4 Abs. 2 EFZG). Deshalb bemißt sich die Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts nach § 2 EFZG. Hiernach ist das Arbeitsentgelt zu zahlen, das der Kläger ohne den Arbeitsausfall erhalten hätte (§ 2 Abs. 1 EFZG). Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kommt es nicht darauf an, was der Arbeitskollege T an Feiertagsvergütung tatsächlich erhalten hat. Maßgebend ist vielmehr, was er wegen des feiertagsbedingten Arbeitsausfalls zu beanspruchen hatte. Das ist auch der Entgeltausfall des Klägers. Es kann davon ausgegangen werden, daß Herr T bei einer Weiterarbeit auf der Baustelle weiterhin einen Stundenlohn von 34,99 DM erzielt hätte. Dieser Betrag ist in gleicher Weise dem Anspruch des Klägers zugrunde zu legen, so daß sich ein Anspruch in Höhe von 524,85 DM brutto ergibt.
b) Mit der Zahlung des Lohnausgleichs in Höhe von 484,50 DM brutto gemäß §§ 3 ff. des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags zur Förderung der Aufrechterhaltung der Beschäftigungsverhältnisse im Baugewerbe während der Winterperiode vom 20. Dezember 1999 (TV Lohnausgleich) hat die Beklagte zu 1 den Anspruch nur teilweise erfüllt. Der tarifliche Lohnausgleich stellt einen pauschalen Ausgleich für Lohnausfall in dem Zeitraum vom 24. bis 26. Dezember sowie für den 31. Dezember und 1. Januar dar. Er dient zugleich der Abdeckung von Ansprüchen auf Entgeltfortzahlung an Feiertagen nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (§ 2, § 3 Abs. 1 TV Lohnausgleich). Der TV Lohnausgleich begrenzt also nicht etwa den gesetzlichen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Vielmehr findet eine Verrechnung zwischen Lohnausgleich und Feiertagsvergütung statt. Danach bleibt ein Restbetrag von 40,35 DM brutto zugunsten des Klägers. Im übrigen könnte von den § 2, § 4 Abs. 2 EFZG nicht zu Ungunsten der Arbeitnehmer durch Tarifvertrag abgewichen werden (§ 12, § 4 Abs. 4 EFZG).
c) Der Zinsanspruch mit dem vom Arbeitsgericht zugesprochenen Zinssatz und ab dem vom Arbeitsgericht angenommenen Zeitpunkt ergibt sich aus § 284 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB.
d) Die beklagte Kommanditgesellschaft als Arbeitgeberin und die Beklagte zu 2 als ihre persönlich haftende Gesellschafterin haften zwar nicht gemäß den § 128, § 161 Abs. 2 HGB als Gesamtschuldner iSd. §§ 421 ff. BGB. Sie können aber „als Gesamtschuldner” (§ 421 BGB) verurteilt werden (vgl. Baumbach/Hopt HGB 30. Aufl. § 128 Rn. 19 f., 39; Schlegelberger HGB 5. Aufl. § 128 Rn. 22).
II. Die Verteilung der Kostenlast folgt aus den §§ 91, 92, § 100 Abs. 4 ZPO.
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Bull, Mandrossa
Fundstellen
DB 2003, 1121 |
BuW 2003, 570 |
ARST 2003, 226 |
NZA 2003, 992 |
AP, 0 |
EzA-SD 2003, 8 |
EzA |
BAGReport 2003, 167 |
NJOZ 2003, 2266 |