Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesonderte und einheitliche Feststellung bei Erbengemeinschaft - Entschädigung wegen faktischer Bausperre nicht einkommensteuerbar; Bindung des BFH an Klagebegehren
Leitsatz (NV)
1. Es liegt bei grundsätzlich notwendiger gesonderter und einheitlicher Feststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AO 1977 kein Fall geringer Bedeutung i. S. v. § 180 Abs. 3 AO 1977 vor, wenn die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen durch die für die Veranlagung zuständigen Bearbeiter besteht.
2. Die Entschädigung für eine faktische Bausperre unterliegt nicht der Einkommensteuer (Anschluß an BFH-Urteil vom 12. 5. 1985 VIII R 306/81; BFHE 145, 320, BStBl II 1986, 252).
3. Hat der Revisionskläger - aus Kostengründen - den Klageantrag dahingehend eingeschränkt, eine Entschädigung nur noch zur Hälfte steuerfrei zu behandeln und im übrigen einen ermäßigten Steuersatz zu gewähren, so ist der BFH hieran gebunden, und zwar auch dann, wenn er die gesamte Entschädigung für steuerfrei erachtet.
Normenkette
AO 1977 § 180 Abs. 3; EStG 1975 § 2 Abs. 1, § 21 Abs. 1 Nr. 1; FGO § 96 Abs. 1 S. 2, § 121
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und B waren als Miterben zu je 1/2 Eigentümer des bebauten Grundstücks in X. Am 23. Juni 1974 starb B. Ihr Alleinerbe A übertrug C mit notariell beurkundetem Vertrag vom 17. Dezember 1975 den ,,Hälfteanteil" des bezeichneten Grundstücks. Das Gebäude, das nach erheblichen Beschädigungen im Krieg repariert, aber nicht ganz wiederaufgebaut worden war, wurde durch Vermietung genutzt. Um die Durchführung städtebaulicher Planungen zu ermöglichen, hatte die Stadt X für das Anwesen keine wesentliche Veränderung oder Bebauung zugelassen (faktische Bausperre). Auf die wegen der eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit hin erhobene Klage verurteilte das Landgericht . . . mit Urteil vom 6. Juni 1972 die Stadt X zur Zahlung einer Entschädigung für die Jahre 1957 bis 1968 von insgesamt 440 547 DM nebst Zinsen. Nach Zahlung dieser Beträge im Jahre 1972 leistete die Stadt X aufgrund einer Vereinbarung mit der Gemeinschaft im Jahre 1973 150 000 DM als Abschlagszahlung für 1969 bis 1972 und im Jahre 1976 unter Abrechnung des gesamten Zeitraums 1969 bis 1975 (7 x 43 000 DM = 301 000 DM) und unter Berücksichtigung der Abschlagszahlung im Jahre 1973 weitere 151 000 DM. Die Beträge enthielten keine Zinszahlungen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) änderte zunächst gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) den den Kläger betreffenden endgültigen Einkommensteuerbescheid 1973 vom 22. Juli 1975 mit Einkommensteuerbescheid 1973 vom 19. Dezember 1979. Darin setzte das FA die Hälfte der 1973 geleisteten Abschlagszahlung - 75 000 DM - bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung an und unterwarf den Betrag dem ermäßigten Steuersatz. Erstmals mit Bescheid vom 20. Juli 1981 über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte 1973 für die Erbengemeinschaft Kläger/Gesamtrechtsnachfolger stellte das FA die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung mit 162 093 DM fest und verteilte sie wie folgt: . . .
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Im Revisionsverfahren beantragte der Kläger, um das Kostenrisiko zu verringern, nur noch die Entschädigung zur Hälfte als steuerfrei zu behandeln und im übrigen dem ermäßigten Steuersatz zu unterwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Entscheidung des Senats in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Das FG hat allerdings zutreffend eine gesonderte und einheitliche Feststellung für erforderlich gehalten. An den das Anwesen . . . in X betreffenden Einkünften 1973 war i. S. von § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 (zur Geltung vgl. § 1 EGAO 1977) neben dem Kläger auch B beteiligt und die Einkünfte waren dem Kläger und B steuerlich zuzurechnen. Nach dem gemäß § 10 Abs. 1 und 2 EGAO 1977 im Streitfall fortgeltenden Rechtszustand vor Inkrafttreten der AO 1977 durften Feststellungsbescheide zwar nicht mehr ergehen, wenn feststand, daß sämtliche Steueransprüche, die den Feststellungsbescheiden zugrunde liegen, verjährt sind (z. B. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 31. Oktober 1969 III R 73/69, BFHE 97, 499, BStBl II 1970, 173; vom 12. Juli 1974 III R 88/73, BFHE 113, 55, BStBl II 1974, 666; BFH-Beschluß vom 13. August 1981 IV R 72/77, BFHE 134, 6, BStBl II 1981, 787). Nach den gemäß § 10 Abs. 1 EGAO 1977 anzuwendenden Vorschriften der AO ist der Einkommensteueranspruch 1973 gegenüber dem Kläger jedoch noch nicht verjährt. Unter Berücksichtigung der Anlaufhemmung nach § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO - die Einkommensteuererklärung 1973 ist im Kalenderjahr 1974 beim FA eingereicht worden - wäre die planmäßige Verjährung gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres 1979 eingetreten. Allerdings hat die dem Einkommensteuerbescheid 1973 vom 19. Dezember 1979 beigefügte Zahlungsaufforderung eine Unterbrechung der Verjährung bewirkt, mit der Folge, daß eine neue Verjährung begann (§ 147 Abs. 2 AO). Mithin war bei Ergehen der gesonderten und einheitlichen Feststellung 1973 im Kalenderjahr 1981 die Verjährung noch nicht eingetreten. Durch das dagegen geführte Rechtsbehelfsverfahren ist gemäß § 146 a Abs. 2 AO die Ablaufhemmung ausgelöst worden.
Es liegt auch kein Fall von geringer Bedeutung vor. Denn im Streitfall bestand aus der Sicht des für das Feststellungsverfahren zuständigen Bearbeiters die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen durch die für die Veranlagung zuständigen Bearbeiter. Es war für ihn nicht zu übersehen, ob der Einkommensteueranspruch gegenüber der mitbeteiligten Schwester des Klägers bzw. deren Rechtsnachfolger bereits verjährt war.
Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil das FG zu Unrecht die Entschädigung für die faktische Bausperre für einkommensteuerbar gehalten hat. Wie der VIII. Senat mit Urteil vom 12. September 1985 VIII R 306/81 (BFHE 145, 320, BStBl II 1986, 252) entschieden hat, unterliegt die Entschädigung für eine faktische Bausperre nicht der Einkommensteuer. In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall betraf die faktische Bausperre zwar ein unbebautes, bebaubares Grundstück. Daß im Streitfall die Einschränkung der Bebaubarkeit eines bereits bebauten Grundstücks entschädigt wurde, rechtfertigt jedoch keine andere rechtliche Beurteilung. Auch hier wurde die Entschädigung für den Substanzverlust gezahlt und nach der sog. Bodenrenteformel errechnet. Aus der vorhandenen Bebauung läßt sich auch nicht zwingend darauf schließen, daß der Kläger und seine Schwester ohne die faktische Bausperre von der Bebauungsmöglichkeit Gebrauch gemacht hätten, um höhere Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu erzielen. Denkbar ist ebenso, daß sie es bei der bisherigen Bebauung belassen oder das Grundstück veräußert hätten. Der Senat verweist im übrigen zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen des VIII. Senats in BFHE 145, 320, BStBl II 1986, 252.
Die Sache ist spruchreif. Nach den vorstehenden Ausführungen unterliegen die streitigen Zahlungen zwar nicht der Einkommensteuer. Der Senat sieht sich aber durch den Antrag des Klägers gehindert (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO), diese Rechtsfolge uneingeschränkt auszusprechen. Der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung 1973 vom 20. Juli 1981 und die Einspruchsentscheidung können nur dahingehend abgeändert werden, daß die Entschädigung in Höhe von 70 252 DM steuerfrei belassen wird und festgestellt wird, daß auf sie im übrigen - dem Antrag entsprechend - der ermäßigte Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG anzuwenden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 61654 |
BFH/NV 1988, 433 |