Leitsatz (amtlich)
Über die Verteilung des im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr erzielten Gewinns kann die Gesellschafterversammlung einer GmbH auch noch nach Eintritt der Gesellschaft in das Liquidationsstadium beschließen mit der Folge, daß ein auf Grund dieses Beschlusses ausgeschütteter Betrag nach § 19 Abs. 3 KStG berücksichtigungsfähig ist.
Normenkette
KStG § 19 Abs. 3
Tatbestand
Streitig ist, ob ein nach angefochtener (auf Schätzung beruhender) Veranlagung und nach Eintritt der Gesellschaft in das Liquidationsstadium gefaßter Gewinnverteilungsbeschluß die Rechtsfolgen der Vorschrift des § 19 Abs. 3 KStG auslöse.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, die im Jahre 1964 gegründet worden war, befindet sich seit dem 11. November 1966 in Liquidation. Im Mai 1966 hatte sie ihre Körperschaftsteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1965 (Streitjahr) abgegeben, dabei die Fragen nach der Genehmigung des Jahresabschlusses durch die zuständigen Organe sowie nach etwaigen offenen und verdeckten Ausschüttungen jedoch unbeantwortet gelassen. Da die der Erklärung beigefügte Bilanz nebst Vermögensvergleich dem Beklagten und Revisionskläger (FA) als Besteuerungsgrundlage nicht geeignet erschien, weil sie erkennbar den Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Jahresabschluß nicht entsprach, schätzte das FA das zu versteuernde Einkommen der Klägerin unter Berücksichtigung ihres Vermögensvergleichs auf 26 256 DM (statt erklärter 28 844,82 DM). Einen als Forderung an die Gesellschafterin Edith J. ausgewiesenen Betrag von 10 778,60 DM sah das FA (einschließlich der auf ihn entfallenden Kapitalertragsteuer) als verdeckte Gewinnausschüttung an.
Gegen den Körperschaftsteuerbescheid (vom 29. Juni 1967) legte die Klägerin Einspruch ein und beantragte, dem vorgelegten Gesellschafterbeschluß vom 29. Juli 1967 gemäß eine Ausschüttung in Höhe von 14 000 DM als berücksichtigungsfähig anzuerkennen. Nachdem die vom inzwischen beauftragten Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ordnungsgemäß erstellte Bilanz zum 31. Dezember 1965 für das Streitjahr einen Gewinn von 18 495,24 DM auswies, beschlossen die Gesellschafter am 27. November 1967 (unter Aufhebung des Beschlusses vom 29. Juli 1967), einen Betrag von 18 000 DM auszuschütten. Demgemäß reichte die Klägerin dem FA am 21. Dezember 1967 eine berichtigte Körperschaftsteuererklärung 1965 ein mit einem erklärten zu versteuernden Einkommen von 26 249,24 DM.
Nachdem die Klägerin am 25. Juli 1968 Untätigkeitsklage gegen das FA erhoben hatte, errechnete dieses in seiner Einspruchsentscheidung vom 31. Dezember 1968 das zu versteuernde Einkommen der Klägerin mit 28 049 DM. Die Forderungen der Klägerin an ihre Gesellschafter seien zu verzinsen; in der Überlassung unverzinslicher Darlehen liege eine verdeckte Gewinnausschüttung. Die geltend gemachte Ausschüttung erkannte das FA nicht als berücksichtigungsfähig an.
Der mit Klage weiter verfolgten Anerkennung der Gewinnausschüttung für das Streitjahr als berücksichtigungsfähig gemäß § 19 Abs. 3 KStG gab das FG statt. Es sah dabei das Klagebegehren der Klägerin in Anbetracht der noch anhängigen Untätigkeitsklage als sachdienliche Klageänderung an (§ 67 Abs. 1 FGO; Beschluß vom 30. Juli 1969). Zur Begründung führte es aus:
Maßgebend für die Entscheidung, ob eine Ausschüttung auf Grund eines den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschlusses für Wirtschaftsjahre, deren Ergebnisse bei der Veranlagung berücksichtigt sind (§ 19 Abs. 3 KStG), erfolgt sei, seien die Vorschriften des Handelsrechts (Urteil des BFH vom 16. Juli 1969 I R 92/67, BFHE 96, 310, BStBl II 1969, 634). Nach § 46 Nr. 1 GmbHG befände die Gesellschafterversammlung über die Verteilung des Gewinns. Wenngleich das Gesetz für die Vornahme der Beschlußfassung keine zeitliche Begrenzung vorsehe, so dürfe doch die Beschlußfassung nicht auf unbegrenzte Zeit nach dem Ende des jeweiligen Geschäftsjahres hinausgeschoben werden (BFH-Urteil vom 1. Juli 1964 I 5/63 U, BFHE 80, 162, BStBl III 1964, 533). Im Streitfalle sei der Beschluß vom 27. November 1967 unmittelbar nach Aufstellung der ordnungsgemäßen Bilanz zum 31. Dezember 1965 gefaßt worden. Die ursprüngliche, noch von dem im Jahre 1966 aus der Gesellschaft ausgeschiedenen geschäftsführenden Gesellschafter Z. eingereichte Bilanz nebst Vermögensvergleich habe nicht als Grundlage für die Gewinnverteilung angesehen werden können, da das von ihm erstellte Zahlenwerk ganz offensichtlich nicht den Anforderungen entsprochen habe, die an eine ordnungsmäßige Bilanzierung zu stellen seien.
Bedenken wegen der Verzögerung des Gewinnverteilungsbeschlusses könnten sich nur dann ergeben, wenn schon spätere, die Folgejahre betreffende Bilanzen aufgestellt worden wären, ohne das Ergebnis der Gewinnausschüttung 1965 zu berücksichtigen. Das sei indes nicht der Fall. Andererseits habe auch das FA seiner Einspruchsentscheidung den von der Klägerin nunmehr mit 18 495 DM erklärten Bilanzgewinn zugrunde gelegt und damit anerkannt, daß die im Jahre 1967 eingereichte Bilanz die ordnungsgemäße Handelsbilanz der Klägerin sei.
Die Beschlußfassung über die Gewinnausschüttung verstoße auch nicht gegen die Liquidationsvorschriften des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Dieses beschränke in seinen §§ 72 und 73 nicht den Anspruch der Gesellschafter auf den Jahresgewinn (§ 29 GmbHG). Die genannten Vorschriften sollten lediglich sicherstellen, daß den Gläubigern der Gesellschaft das Stammkapital erhalten bleibe. Eine ordnungsgemäß vorgenommene Gewinnausschüttung beeinträchtige diesen Zweck jedoch auch dann nicht, wenn die Ausschüttung erst nach Auflösung der Gesellschaft beschlossen worden sei, da eine Ausschüttung niemals zu Lasten des Stammkapitals gehen dürfe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des FA mit dem Antrag, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen. Zur Begründung führt das FA aus:
Zu Unrecht habe das FG die Ausschüttungsbeschlüsse vom 29. Juli und 27. November 1967 als Grundlage für eine steuerlich berücksichtigungsfähige Gewinnausschüttung angesehen. Wenngleich die Vorschriften des Handelsrechts eine ausdrückliche Regelung hinsichtlich des Zeitpunkts der Beschlußfassung über die Gewinnausschuüttung nicht enthielten, so müsse doch diese Beschlußfassung erfolgt sein, bevor gemäß § 41 Abs. 2 und 3 GmbHG die Bilanz des nachfolgenden Geschäftsjahres (innerhalb von sechs Monaten nach Ende dieses nachfolgenden Geschäftsjahres) aufzustellen sei. Darüber hinaus könne auch nach dem BFH-Urteil I R 92/67 nach Durchführung der Veranlagung ein Gewinnverteilungsbeschluß mit steuerlicher Wirkung nicht mehr geändert werden.
Schließlich verbiete auch der Eintritt in das Liquidationsstadium eine nachträgliche Beschlußfassung über die Gewinnverteilung, eine Auffassung, die offenbar auch der BFH in seinem Urteil vom 26. April 1963 I 86/61 U (BFHE 76, 834, BStBl III 1963, 303) teile. Wolle man der Auffassung des FG folgen, so sei die Vorschrift des § 73 GmbHG sinnlos, da die Rückzahlung des Stammkapitals bereits durch § 30 GmbHG ausgeschlossen sei.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Der Senat kann es dahingestellt lassen, ob dem Recht der Gesellschafter zur Feststellung der Jahresbilanz und zur Verteilung des sich aus dieser Bilanz ergebenden Reingewinns eine Pflicht zur Bilanzaufstellung und zur Gewinnverteilung entspricht und ob die Vorschrift des § 41 Abs. 2 und 3 GmbHG über den äußersten Zeitpunkt der Aufstellung der Jahres(schluß)bilanz Rückschlüsse auf den Zeitpunkt zuläßt, in dem spätestens der Beschluß über die Verteilung des Vorjahresgewinns gefaßt sein muß (vgl. dazu zur Frage der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung: Urteil vom 12. Dezember 1972 VIII R 112/69, BFHE 109, 167, BStBl II 1973, 555).
2. a) Wie in den BFH-Urteilen I 5/63 U und I R 92/67 dargelegt, steht einer nach Aufstellung und Einreichung der Bilanz an das FA beschlossenen Änderung der ursprünglich vorgesehenen Gewinnverteilung die Vorschrift des § 4 Abs. 2 EStG nicht entgegen. Selbst Änderungen der Handelsbilanz bedürfen der Zustimmung des FA nach § 4 Abs. 2 EStG nur dann, wenn sie die steuerliche Gewinnermittlung des abgeschlossenen Geschäftsjahres beeinflussen können (BFH-Urteil vom 22. November 1972 I R 22/71, BFHE 107, 503, BStBl II 1973, 195).
Im Streitfalle kam der "Bilanz", die die Klägerin dem FA mit ihrer Körperschaftsteuererklärung 1965 im Mai 1966 eingereicht hatte, der Charakter einer Handelsbilanz nicht zu. Nach dieser "Bilanz" betrug der Gewinn der Klägerin 34 847,23 DM, während der "Vermögensvergleich" einen Gewinn von 36 746,98 DM ergab. Auch das FA ging deshalb im angefochtenen Bescheid (in der Gestalt, die dieser durch die Einspruchsentscheidung vom 31. Oktober 1968 gefunden hatte: § 44 Abs. 2 FGO) von dem Gewinn der Klägerin aus, den diese in ihrer erst im Jahre 1967 erstellten Bilanz ausgewiesen hat. Dieser Bilanz ist indes, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, der Gewinnverteilungsbeschluß vom 27. November 1967 zeitnah gefolgt.
b) Der Senat folgt in der Frage, ob über die Verteilung des Gewinns des letzten vor Eintritt der Gesellschaft in das Liquidationsstadium abgeschlossenen Geschäftsjahrs auch noch nach Eintritt in das Liquidationsstadium durch die Gesellschafterversammlung beschlossen werden kann, der im Handelsrecht herrschenden Auffassung (vgl. die Kommentare zum GmbHG Hachenburg-Schmidt, 6. Aufl., Anm. 8 zu § 69; Scholz, 4. Aufl., Anm. 3 zu § 69 und § 71; Vogel, 2. Aufl., Anm. 4 zu § 69; Baumbach-Hueck, 13. Aufl., § 69 Anm. 2 B). Danach kann die Beschlußfassung auch noch nach dem genannten Zeitpunkt erfolgen. Für die Ausschüttung selbst ist jedoch die Vorschrift des § 73 GmbHG zu beachten; d. h., daß die Ausschüttung erst nach Ablauf des Sperrjahres und nach Tilgung oder Sicherstellung der Schulden der Gesellschaft erfolgen darf.
Zwar ist nach dem Urteil des (BGH) vom 4. Juli 1973 VIII ZR 156/72 (Steuer- und Wirtschafts-Kurzpost, Gruppe 28 S. 1697) eine unter bewußter Nichteinhaltung des Sperrjahres erfolgte Vermögensverteilung nichtig. Der Senat braucht jedoch die Einhaltung oder Nichteinhaltung des Sperrjahres, d. h. den genauen Zeitpunkt der Gewinnausschüttung, hier nicht zu prüfen, da nach § 5 Abs. 2 StAnpG auch die wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Ge- oder Verbot gegebene Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts dessen steuerliche Berücksichtigung nicht ausschließt.
Da das FG die tatsächliche Durchführung der Ausschüttung, die § 19 Abs. 3 KStG verlangt (BFH-Urteil vom 11. Juli 1973 I R 144/71, BFHE 109, 566), in den Gründen seiner Entscheidung nicht mit genügender Deutlichkeit festgestellt hat, war die Sache zur Nachholung dieser Feststellung an das FG zurückzugeben.
3. Was die Ausführungen des FG zur Anwendbarkeit und zu den Voraussetzungen der Vorschrift des § 19 Abs. 3 KStG betrifft, sieht der Senat keinen Anlaß zur Beanstandung (vgl. auch BFH-Urteile vom 18. November 1970 I R 88/69, BFHE 100, 400, BStBl II 1971, 73, und vom 12. Juli 1972 I R 205/70, BFHE 107, 186, BStBl II 1973, 59).
Fundstellen
BStBl II 1974, 14 |
BFHE 1974, 353 |