Leitsatz (amtlich)
Eine Ruhegehaltszahlung i. S. von § 19 EStG, die monatlich im voraus geleistet wird, ist dem Empfänger steuerlich mit der Gutschrift auf seinem Bank- oder Postscheckkonto zugeflossen. Das gilt auch dann, wenn sie für einen Zeitraum gezahlt wird, dessen Beginn der Empfänger nicht mehr erlebt. Muß sein Erbe den Betrag zurückzahlen, so liegen insoweit bei dem Erben negative Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit vor.
Normenkette
EStG §§ 11, 19
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Alleinerbin ihrer am 29. Februar 1968 verstorbenen Schwester (Erblasserin). Die Erblasserin bezog von der Stadt A eine im voraus zahlbare monatliche Pension. Die Pension für den Monat März wurde noch zu Lebzeiten der Erblasserin ihrem Gehaltskonto Ende Februar gutgeschrieben. Auf Anforderung der Stadt A überwies die Klägerin diesen Betrag am 11. März 1968 zurück. Die Stadt A wies die Pension für den Monat März nicht auf der Lohnsteuerkarte der Erblasserin aus.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Pension für den Monat März sei noch der Erblasserin zugeflossen und von ihr zu versteuern, wobei sich allerdings eine Jahressteuerschuld nicht ergebe. Die Rückzahlung der Bezüge an die Stadt A sei bei ihr als negative Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) lehnte das im Einkommensteuerbescheid für 1968 ab.
Das FG wies die dagegen erhobene Sprungklage ab. Es führte aus, nach dem Grundgedanken des § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG hätten Pensionszahlungen in dem Monat als zugeflossen zu gelten, für den sie geleistet worden seien, und zwar auch dann, wenn die Überweisung schon vor dem 1. des Monats erfolgt und auf dem Gehaltskonto des Empfängers gutgeschrieben worden sei (so Bühler-Paulick, Einkommensteuer/Körperschaftsteuer, 2. Aufl., 1969/70, § 11 EStG Anm. 4 Satz 3). Im Streitfall gelte daher die Märzpension erst am 1. März 1968 als zugeflossen, also zu einem Zeitpunkt, in dem die Erblasserin nicht mehr gelebt habe. Da der Betrag der Stadt A im gleichen Monat zurückerstattet worden sei, ergäben sich infolge der Saldierung von Zufluß und Abfluß innerhalb des gleichen Veranlagungszeitraums keine steuerlichen Auswirkungen. Zum gleichen Ergebnis komme man, wenn man davon ausgehe, daß der tatsächliche Zufluß der Märzpension vor dem 29. Februar 1968 unter der auflösenden Bedingung des Erlebens der Erblasserin gestanden habe (so auch Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 14. Aufl., 1950/71, § 11 EStG Anm. 5 S. E 14, Anm. 7 a S. E 28). Da die Erblasserin den Monat März 1968 nicht mehr erlebt habe, sei wegen Eintritts der auflösenden Bedingung ein Zufluß in der Person der Erblasserin als nicht geschehen anzusehen. Die Gutschrift bei der Erblasserin sei dann zu Unrecht erfolgt und der Betrag ohne Rechtsgrund in den Nachlaß gelangt, so daß die Klägerin die Pensionsbezüge belastet mit einer gleichhohen Rückzahlungsverpflichtung von Todes wegen erworben habe. Diese Verpflichtung sei eine Nachlaßverbindlichkeit. Da der Nachlaß offensichtlich nicht überschuldet gewesen sei, sei davon auszugehen, daß die Klägerin sie mit Mitteln des Nachlasses erfüllt habe. Die Rückzahlung der Versorgungsbezüge der Erblasserin habe daher das Einkommen der Klägerin nicht belastet; sie habe nur ihr Vermögen berührt.
Mit der vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1. Die Ende Februar 1968 dem Konto der Erblasserin gutgeschriebene Pension für den Monat März 1968 ist der Erblasserin noch zu Lebzeiten zugeflossen; denn Einnahmen sind nach dem Grundgedanken des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG dann bezogen, wenn sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Sie sind einem Steuerpflichtigen zugeflossen, wenn und sobald sie bar oder in geldwerten Gütern (§ 8 EStG) so in seine Verfügungssphäre gelangt sind, daß er darüber wirtschaftlich verfügen kann, ohne daß es darauf ankommt, auf welchen Zeitraum sich der zugeflossene Betrag bezieht oder wann er fällig geworden ist (vgl. Hartmann-Böttcher-Grass, Großkommentar zur Einkommensteuer, 37. Ergänzungslieferung April 1974, § 11 Anm. 2 b).
Nach diesem Grundsatz ist im Streitfall die dem Konto der Erblasserin Ende Februar 1968 gutgeschriebene Pension noch der Erblasserin zugeflossen. Am Tage der Gutschrift hatte die Erblasserin noch gelebt. Mit der Gutschrift auf ihrem Konto hatte sie die unbedingte wirtschaftliche Verfügungsmacht über das Gehalt für den kommenden Monat März erlangt.
Entgegen der Ansicht des FG kann § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG auf den Streitfall weder direkt noch indirekt angewandt werden. Diese Vorschrift betrifft nur regelmäßig wiederkehrende Einnahmen, die einem Steuerpflichtigen kurze Zeit vor Beginn oder kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres, zu dem sie wirtschaftlich gehören, zugeflossen sind; sie gelten dann als in diesem Kalenderjahr bezogen. § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG kann im Streitfall schon deshalb weder unmittelbar noch mittelbar auf die Ende Februar zugeflossene Märzpension angewandt werden, weil mit dem Tod der Erblasserin am 29. Februar 1968 ihre Steuerpflicht endete.
2. Dadurch, daß die Klägerin am 11. März 1968 die der Erblasserin für den Monat März zugeflossene Pension an die Stadt A zurücküberwies, entstanden bei ihr negative Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Mit dem Tod der Erblasserin am 29. Februar 1968 ging der gesamte Nachlaß auf die Klägerin als Alleinerbin über. Zum Nachlaß gehörte als Nachlaßverbindlichkeit auch der Anspruch der Stadt A auf Rückzahlung der der Erblasserin Ende Februar 1968 überwiesenen Pension für den Monat März. Die Klägerin hatte die Pension für den Monat März ohne rechtlichen Grund erlangt (§ 812 BGB). Die Rechtsgrundlage für diese Zahlung war am 29. Februar 1968 durch den Tod der Erblasserin weggefallen. Denn ein Gehalt für den Monat März stand der Erblasserin nur zu, wenn sie zumindest den 1. März 1968 erlebt hätte. Das war jedoch nicht der Fall.
Die Rückzahlung der Pension durch die Klägerin als Alleinerbin fiel steuerlich nicht in die Vermögenssphäre, sondern in den Einkommensbereich der Klägerin, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Klägerin die Zahlung mit eigenen Mitteln oder denen des Nachlasses bewirkt hat. Nach § 24 Nr. 2 EStG sind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die nicht mehr dem ursprünglichen Bezugsberechtigten, sondern dem Erben zufließen, vom Rechtsnachfolger als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu versteuern, da letzterer als Gesamtrechtsnachfolger voll in die Rechtsstellung des Bezugsberechtigten eintritt (vgl. Urteil des RFH vom 26. Oktober 1933 VI A 2067/32, RStBl 1934, 404; Urteil des BFH vom 1. März 1957 VI 57/55 U, BFHE 64, 358, BStBl III 1957, 135; BFH-Bescheid vom 6. Mai 1960/Urteil vom 29. Juli 1960 VI 265/58 U, BFHE 71, 414, BStBl III 1960, 404). Das gilt in gleicher Weise für Ausgaben, die ein Erbe als Gesamtrechtsnachfolger leistet; sie sind bei ihm abzugsfähig, wenn sie durch dem Rechtsvorgänger zuzurechnende Umstände veranlaßt worden sind (RFH-Urteil VI A 2067/32).
Die Rückzahlung von Pensionsbezügen, die der Erblasserin zugeflossen sind, durch die Erbin ist steuerlich nicht anders zu werten als andere Ausgaben der Erbin, die vom Rechtsvorgänger veranlaßt worden sind. Hätte die Erblasserin die Witwenpension - gleich aus welchen Gründen - zurückgezahlt, so wären das bei ihr negative Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gewesen, die bei ihrer Einkommensteuerveranlagung ihre Jahreseinkünfte entsprechend gemindert hätten. Da die Klägerin als Erbin im vollen Umfang in die Rechtsstellung der Erblasserin eingetreten ist, ist die Rücküberweisung der Pension der gleichen Einkunftsart zuzurechnen wie bei der Erblasserin.
Die Klägerin kann daher im Streitfall die am 11. März 1968 der Stadt A zurücküberwiesene Pension der Erblasserin für den Monat März als negative Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bei ihrer Einkommensteuerveranlagung für 1968 absetzen. Dem steht nicht entgegen, daß der Zufluß der Pension nicht auf der Lohnsteuerkarte der Erblasserin bescheinigt worden ist. Denn die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte sind im Einkommensteuerveranlagungsverfahren jederzeit widerlegbar. Im übrigen handelte es sich auch nicht um die Lohnsteuerkarte der Klägerin, sondern um die der Erblasserin. Entgegen der Ansicht des FG erfolgte der Zufluß der Pension bei der Erblasserin weder unter der auflösenden noch unter der aufschiebenden Bedingung, daß die Erblasserin den 1. März 1968 noch erlebte. Das Erleben dieses Zeitpunktes war lediglich eine sog. Rechtsbedingung, d. h. der Grund für die Zahlung der Pension war kraft Gesetzes von diesem Ereignis abhängig. Diese Abhängigkeit begründete auch keine bedingte Steuerschuld i. S. des § 4 Abs. 1 StAnpG. Der Zeitpunkt des Erlebens beeinflußte nicht die Steuerschuld der Pension, sondern die Frage, ob der Erblasserin bzw. der Erbin die Pension nach versorgungsrechtlichen Bestimmungen zustand oder nicht. § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG ist im Streitfall ebenfalls weder direkt noch indirekt anwendbar. Steuerfestsetzungen und Steuerfeststellungen sind hiernach zwar zurückzunehmen oder zu ändern, wenn ein Merkmal, dessen Vorliegen das Gesetz für die Steuerschuld fordert, nachträglich mit Wirkung für die Vergangenheit weggefallen ist. Im Streitfall entfiel durch den Tod der Erblasserin am 29. Februar 1968 der Rechtsgrund für die Überweisung der Pension nicht für die Vergangenheit, sondern für die Zukunft, nämlich für die Pension für den Monat März.
Die Vorentscheidung war aufzuheben, da das FG von anderen rechtlichen Erwägungen ausgegangen ist. Da das FA zu Unrecht die von der Klägerin am 11. März 1968 an die Stadt A rücküberwiesene Pension von netto 1 445,43 DM nicht bei der Einkommensteuerveranlagung der Klägerin für das Jahr 1968 berücksichtigt hat, war entsprechend dem Antrag der Klägerin der Einkommensteuerbescheid 1968 vom 4. Februar 1970 dahin abzuändern, daß die Einkommensteuer auf 1 498 DM festgesetzt wird.
Fundstellen
Haufe-Index 71794 |
BStBl II 1976, 322 |
BFHE 1976, 166 |