Leitsatz (amtlich)
Hat ein Steuerpflichtiger einen Wohnsitz im Sinne des Art. 8 Abs. 1 DBAS sowohl in der Schweiz als auch in der BRD und hält er sich in der BRD nur auf, um seine bisherige berufliche oder geschäftliche Tätigkeit abzuwickeln, während es sein Hauptbestreben ist, seinen Lebensabend in der Schweiz zu verbingen, so ist als Mittelpunkt seiner persönlichen und geschäftlichen Interessen im Sinne Art. 8 Abs. 2 DBAS die Schweiz anzusehen.
Normenkette
DBA SWE Art. 6, 8 Abs. 1-2
Tatbestand
Der Kläger ist durch den auf § 94 AO gestützten Berichtigungsbescheid vom 7. April 1965 als unbeschränkt Steuerpflichtiger mit einem Gesamtvermögen von 450 000 DM zum 1. Januar 1963 zur Vermögensteuer herangezogen worden. In dem Gesamtvermögen war als Betriebsvermögen das der Ausübung seines freien Berufs dienende Vermögen mit dem zum 1. Januar 1963 festgestellten Einheitswert enthalten, das auf der Besitzseite ausschließlich aus Geldbeständen und Honorarforderungen bestand, und eine vom Kläger betriebene KG, die wirtschaftlich mit seinem Beruf zusammenhing, mit dem auf den 1. Januar 1963 festgestellten Einheitswert von 13 000 DM angesetzt. Als sonstiges Vermögen waren eine Hypothekenforderung und eine Darlehnsforderung, die beide aus dem Verkauf des dem Kläger gehörenden Grundstücks stammten, ein Bausparkassenguthaben und Ansprüche aus Lebensversicherungen zugrunde gelegt. Der Kläger wandte sich mit dem Einspruch gegen die Heranziehung des Kapitalvermögens zur Vermögensteuer in der BRD, weil dieses Vermögen in der Schweiz der Vermögensteuer unterliege. Der Einspruch wurde zunächst bis zur Entscheidung in dem vom Kläger eingeleiteten Verständigungsverfahren ausgesetzt. In diesem Verständigungsverfahren kam es zu keiner Einigung. Aufgrund des Einspruchs wurde das Bausparkassenguthaben niedriger angesetzt. Im übrigen wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Die Klage hatte zum Teil Erfolg. Das FG hob den angefochtenen Vermögensteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung auf, ohne abschließend in der Sache selbst zu entscheiden. Es war der Auffassung, daß der Kläger am 1. Januar 1963 sowohl in der Schweiz als auch in der BRD einen Wohnsitz gehabt habe. Deshalb sei nach Art. 8 Abs. 2 DBAS entscheidend, an welchem Ort der Kläger den Mittelpunkt seiner persönlichen und geschäftlichen Interessen gehabt habe. Das Gericht sei der Auffassung, daß ein solcher Mittelpunkt für den fraglichen Zeitpunkt nicht festzustellen sei. Die geschäftlichen Interessen des Klägers seien zwar am 1. Januar 1963 noch überwiegend in der BRD begründet gewesen. Der Mittelpunkt seiner persönlichen Interessen habe aber mehr in der Schweiz bei seinen Familienangehörigen gelegen. Bei dieser Sachlage trete nach Art. 8 Abs. 2 Satz 2 DBAS eine Teilung des Besteuerungsrechts ein, und zwar nach näherer Vereinbarung der zuständigen obersten Verwaltungsbehörden der beiden Staaten. Das Gericht könne daher im Urteil nicht einen Teilungsmaßstab feststellen. Nach seiner Auffassung dürfte jedoch ein Verzicht des FA auf etwa 50 v. H. des Besteuerungsrechts angemessen sein.
Mit der Revision beantragt der Kläger, das FG-Urteil, die Einspruchsentscheidung und den angefochtenen Steuerbescheid ersatzlos aufzuheben, hilfsweise das FG-Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Er rügt Verletzung des Art. 8 Abs. 1 DBAS, hilfsweise Verletzung des § 76 FGO.
Die Revision wird im wesentlichen wie folgt begründet: Der Kläger habe von langer Hand aus gesundheitlichen Gründen die Aufgabe seiner beruflichen Tätigkeit und die Übersiedlung in die Schweiz geplant. Er habe bereits 1961 mit der Veräußerung seines Grundvermögens begonnen. Das Grundstück, in dem die Praxisräume liegen, habe er 1962 veräußert.
Im November 1962 habe er seinem Nachfolger die Einrichtigung seiner Praxis verkauft. Damit habe sich der Kläger aller wesentlichen Vermögenswerte in der BRD vor dem 1. Januar 1963 begeben. Noch nicht veräußert sei lediglich die KG gewesen. Diese Firma sei aber aus der Sicht des Klägers so unbedeutend gewesen, daß sie seine Anwesenheit in der BRD nicht erfordert hätte. Der Kläger habe vor dem 31. Dezember 1962 alles getan, um den Ort A (in der Schweiz) zum Mittelpunkt seines Lebens zu machen. Bereits im Dezember 1961 habe er dort ein Baugrundstück gekauft. Da auf diesem Grundstück die vom Kläger beabsichtigte Bebauung nicht genehmigt worden sei, habe der Kläger im August 1962 ein anderes Grundstück in A gekauft. In dem sich anschließenden Verfahren vor dem Regierungsstatthalter des Rates in A sei festgestellt worden, daß der Kläger der Bewilligung des Kaufvertrages nicht bedürfe, weil er einen Wohnsitz in der Schweiz begründet habe. Der Kläger habe sein gesamtes Übersiedlungsgut im November 1962 in die Schweiz überführt. Er habe das an seinen Praxisnachfolger verkaufte Grundstück im November 1962 vollständig geräumt. Er habe seinem Nachfolger nur einige wertlose Einrichtungsgegenstände geschenkt und ihm die Einrichtung des sogenannten Mädchenzimmers für 200 DM verkauft. Er habe die Behandlungstätigkeit in seiner Praxis schon Anfang Dezember 1962 eingestellt. Seine Anwesenheit in der Praxis nach diesem Zeitpunkt habe ausschließlich im Interesse seines Nachfolgers gelegen. Er sei auch nicht bis Ende Februar 1963 noch freiberuflich tätig gewesen. Er habe in seinem früheren Praxisgebäude auch kein Zimmer mehr bewohnt. Daß der Kläger sich nach dem 14. Januar 1963 - dem Tage des Abschlusses der Unterweisungen seines Nachfolgers und der sonstigen mit der Praxisübertragung zusammenhängenden Arbeiten - noch in der BRD aufgehalten habe, habe ausschließlich seine Ursache in einem Unfall, den der Kläger im Januar 1963 erlitten habe.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger am 1. Januar 1963 noch in der BRD unbeschränkt vermögensteuerpflichtig war. Dies ist allein nach inländischem Recht zu entscheiden (vgl. Urteil des BFH I 410/61 U vom 13. Oktober 1965, BFH 83, 655, BStBl III 1965, 738). Natürliche Personen sind nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 VStG unbeschränkt vermögensteuerpflichtig, wenn sie im Geltungsbereich des GG oder in Berlin (West) einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Im Streitfall braucht nicht näher geprüft zu werden, ob der Kläger am 1. Januar 1963 einen Wohnsitz im Sinn des § 13 StAnpG oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinn des § 14 Abs. 1 Satz 1 StAnpG in der BRD gehabt hat. Denn seine unbeschränkte Vermögensteuerpflicht ergibt sich schon daraus, daß er sich im Jahre 1963 vom 4. Januar bis in den September, also länger als sechs Monate in der BRD aufgehalten hat, wovon allerdings 4 1/2 Monate auf den durch einen Unfall bedingten Krankenhausaufenthalt entfielen. In diesem Fall tritt die unbeschränkte Steuerpflicht nach § 14 Abs. 1 Satz 2 StAnpG stets ein.
2. Da sich die unbeschränkte Vermögensteuerpflicht nach § 4 VStG auf das Gesamtvermögen im Sinn des BewG erstreckt, also auch das Kapitalvermögen umfaßt, könnte eine Nichterfassung des Kapitalvermögens nur in Betracht kommen, wenn nach dem DBAS das Besteuerungsrecht für das Kapitalvermögen der Schweiz zustehen würde. Nach Art. 6 DBAS wird bewegliches Kapitalvermögen nur in dem Staat besteuert, in dem der Gläubiger seinen Wohnsitz hat. Als Wohnsitz im Sinn des Abkommens wird nach Art. 8 Abs. 1 DBAS der Ort angesehen, an dem der Steuerpflichtige eine ständige Wohnung hat und regelmäßig verweilt. Das FG ist aufgrund seiner tatsächlichen Feststellungen zu der Auffassung gelangt, daß der Kläger am 1. Januar 1963 sowohl in der Schweiz als auch in der BRD einen Wohnsitz gehabt hat. Gegen diese Auffassung bestehen gewisse Bedenken. Es erscheint fraglich, ob der Kläger tatsächlich am 1. Januar 1963 noch eine "ständige Wohnung" in der BRD gehabt hat. Die Frage braucht jedoch nicht abschließend entschieden zu werden. Denn wenn man der Auffassung des FG folgt, greift Art. 8 Abs. 2 DBAS ein. Nach Satz 1 dieser Bestimmung gilt, wenn ein Steuerpflichtiger gleichzeitig in beiden Staaten einen Wohnsitz hat, als Wohnsitzstaat derjenige, in dem der Steuerpflichtige den Mittelpunkt seiner persönlichen und geschäftlichen Interessen hat.
Der Senat folgt nicht der Auffassung des FG, daß sich im Streitfall nicht feststellen lasse, wo der Kläger am 1. Januar 1963 den Mittelpunkt seiner persönlichen und geschäftlichen Interessen gehabt hatte. Das FG ist zu dieser Auffassung gelangt, weil nach seinen Feststellungen die geschäftlichen Interessen des Klägers noch überwiegend in der BRD begründet waren, der Mittelpunkt seiner persönlichen Interessen aber mehr in der Schweiz gelegen habe. Daraus läßt sich jedoch nicht folgern, daß kein Mittelpunkt der persönlichen und geschäftlichen Interessen festzustellen ist. Der Senat tritt der Auffassung von Korn-Dietz (Doppelbesteuerung, Anm. 1 Art. 8) bei, daß es darauf ankommmt, welcher der beiden Orte für den Steuerpflichtigen der bedeutungsvollere ist. Die geschäftlichen Interessen können deshalb für die Bestimmung des Mittelpunkts der Interessen des Steuerpflichtigen nur dann von Bedeutung sein, wenn sie einen überwiegenden Teil der Gesamtinteressen des Steuerpflichtigen darstellen. Der Senat ist der Auffassung, daß das nach den tatsächlichen Feststellungen des FG im Streitfall zu verneinen ist. Die geschäftlichen Interessen des Klägers bestanden, nachdem er seinen Grundbesitz und seine Zahnarztpraxis verkauft und in der Schweiz eine Wohnung bezogen hatte, nur noch darin, die Kaufverträge abzuwickeln, d. h. die vereinbarten Kaufpreise und die ihm noch zustehenden Honorare aus seiner früheren Tätigkeit zu vereinnahmen, und die KG, die nur einen geringen Umfang hatte, zu veräußern oder aufzulösen. Sein Hauptbestreben war es, seinen Lebensabend zusammen mit seiner Frau in der Schweiz, wo auch seine Tochter sich verheiraten wollte, zu verbringen. Diese persönlichen Interessen überwiegen nach Auffassung des Senats so stark, daß als Mittelpunkt der gesamten (persönlichen und geschäftlichen) Interessen am 1. Januar 1963 die Schweiz angenommen werden muß.
Da die Vorentscheidung von einer anderen Rechtsauffassung ausgeht, war sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Nach den obigen Ausführungen steht das Besteuerungsrecht hinsichtlich des Kapitalvermögens nach Art. 6 DBAS der Schweiz zu. Auch das Besteuerungsrecht für das dem freien Beruf des Klägers dienende Vermögen steht nach Art. 7 DBAS der Schweiz zu. In der BRD kann nur der anteilige Wert an der KG in Höhe von 13 000 DM zur Vermögensteuer herangezogen werden. Da dieser Betrag unter den dem Steuerpflichtigen zustehenden Freibeträgen von 40 000 DM liegt, ergibt sich kein steuerpflichtiges Vermögen, so daß die Vermögensteuerjahresschuld ab dem 1. Januar 1963 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung und des angefochtenen Vermögensteuerbescheids auf 0 DM festzusetzen ist.
Fundstellen
BStBl II 1971, 758 |
BFHE 1972, 82 |