Entscheidungsstichwort (Thema)
Künstliche Befruchtung. ICSI. IVF. Fertilitätsstörung. Indikation. Bundesausschuss. Wirtschaftlichkeitsgebot. Allgemein anerkannter Stand der medizinischen Erkenntnisse
Leitsatz (redaktionell)
- Solange die ICSI noch nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehörte, konnten Versicherte sie nur beanspruchen, wenn diese Leistung unabhängig von der zu treffenden Entscheidung des Bundesausschusses zu gewähren war. Dies setzte voraus, dass die ICSI in der konkreten Situation nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse bei Behandlungsbeginn geeignet, ausreichend, erforderlich und wirtschaftlich war.
- Es verstösst nicht gegen Art. 3 Abs. 3 GG, dass die Methoden der extrakorporalen Befruchtung an unterschiedliche geschlechtsspezifische Indikationen anknüpfen.
Normenkette
SGB V § 2 Abs. 1 S. 3, § 12 Abs. 1, § 13 Abs. 3, § 27a Abs. 1, 3-4, §§ 92, 135; GG Art. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. September 2004 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Übernahme der Kosten für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung mittels intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI).
Die 1967 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Klägerin leidet an einer Endometriose und nach ihrem Vorbringen an einer Eizelldeformität, während bei ihrem Ehemann keine schwere männliche Fertilitätsstörung vorliegt. Im Rahmen der Behandlung wegen unerfüllten Kinderwunsches erfolgte zu Lasten der Beklagten nach einer Endometriosetherapie im August 2001 erfolglos eine künstliche Befruchtung mittels In-vitro-Fertilisation (IVF). Hierbei werden nach Hormonbehandlung durch Follikelpunktion gewonnene Eizellen mit Samen zur spontanen Verschmelzung im Reagenzglas zusammengebracht. Bei Erfolg wird nach dem Befruchtungsvorgang der so erzeugte Embryo in den Körper der Frau übertragen (Embryotransfer). Gestützt auf eine Bescheinigung von Dr. G… beantragte die Klägerin, nunmehr die Kosten einer künstlichen Befruchtung mittels ICSI zu übernehmen. Diese Technik der extrakorporalen Befruchtung wird jedenfalls bei Ehepaaren angewandt, die infolge einer Fruchtbarkeitsstörung des Mannes auf natürlichem Wege keine Kinder bekommen können. Sie unterscheidet sich im Wesentlichen von der IVF dadurch, dass ein einzelnes Spermium mit Hilfe einer mikroskopischen Nadel unmittelbar in die – wie bei IVF durch Follikelpunktion gewonnene – Eizelle injiziert wird. Nach einem erfolgreichen Befruchtungsvorgang kommt es wiederum zum Embryotransfer. Der medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK; Dr. B… ) hielt lediglich eine IVF für erforderlich (Gutachten vom 28. November 2001). Deshalb lehnte die Beklagte den Antrag ab (Bescheid vom 3. Dezember 2001). Mit ihrem Widerspruch berief sich die Klägerin auf weitere Bescheinigungen von Dr. G… und eine Veröffentlichung von Michelmann/Gilbhardt/Poller (Reproduktionsmedizin 2001: 17, 334 ff). Der MDK führte hierzu aus (Gutachten Dr. B… vom 13. Februar 2002), der Bundesausschuss (der Ärzte und Krankenkassen; jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss) habe die Indikation für ICSI nur bei andrologischen Problemen bearbeitet. Wenn – wie bei der Klägerin – im Rahmen der IVF keine Fertilisierung bei einer nur geringen Anzahl von Oozyten zu erreichen gewesen sei, sei es jedoch sinnvoll, auf die IVF/ICSI-Kombinationstherapie umzusteigen, um die Anzahl frustraner IVF-Versuche gering zu halten. Die Klägerin unterzog sich vergeblich einem ersten ICSI-Versuch (Rechnung vom 14. Februar 2002). Erfolgreich war erst ein späterer zweiter ICSI-Versuch. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück, da das Geringhalten der Zahl frustraner Therapieversuche mittels IVF nicht die Kostenübernahme für eine Behandlung mittels ICSI rechtfertige (Widerspruchsbescheid vom 21. März 2002).
Die Klage gerichtet auf die Erstattung der für den ersten ICSI-Versuch aufgewendeten Kosten in Höhe von 4.230,91 € ist ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 26. Mai 2003). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) eine Auskunft des Gemeinsamen Bundesausschusses eingeholt (27. Mai 2004) und die Berufung zurückgewiesen: Die Unwirksamkeit des Leistungsausschlusses der ICSI in den alten Richtlinien des Bundesausschusses habe grundsätzlich eine Lücke im Leistungssystem hervorgerufen, die bis zum Erlass der erforderlichen neuen Richtlinien in Fällen allgemein anerkannter Indikation für ICSI durch einen Kostenerstattungsanspruch habe geschlossen werden können. Zu Gunsten der Klägerin sei dies aber nicht möglich gewesen, weil es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Zeitpunkt der Behandlung an einem Konsens in der medizinischen Wissenschaft über den Nutzen von ICSI bei einer vorrangig weiblichen Infertilitätsstörung gefehlt habe. Auch die Voraussetzungen für die Indikation der ICSI nach der damals gültigen Richtlinie der Bundesärztekammer zur Durchführung der assistierten Reproduktion (Deutsches Ärzteblatt ≪DÄ≫ 1998, A-3166) seien nicht erfüllt gewesen (Urteil vom 27. September 2004).
Zur Begründung ihrer – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 27a, 135 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Die Eizellwanddeformität habe bei ihr ICSI indiziert. Auch die aktuell gültigen Richtlinien seien zu eng gefasst, da sie die Eizelldeformität nicht erwähnten. Wenigstens seien in Höhe des IVF-Aufwands Kosten zu erstatten, da für die IVF unstreitig eine Indikation bestanden habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. September 2004, das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26. Mai 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 3. Dezember 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. März 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 4.230,91 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. April 2002 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen, denn der Klägerin steht kein Anspruch auf Erstattung von 4.230,91 € nebst Zinsen zu. Die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs sind nicht erfüllt.
1. Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war (§ 13 Abs 3 Satz 1 2. Fall SGB V idF des Art 5 Nr 7 Buchst b Sozialgesetzbuch – Neuntes Buch – ≪SGB IX≫ Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001, BGBl I 1046). Der in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl zB BSGE 79, 125, 126 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 51 f mwN; zuletzt Urteile vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 27/02 R = BSGE 93, 236, 238 f = SozR 4-2500 § 27 Nr 1 RdNr 10 mwN; vom 22. März 2005 – B 1 KR 11/03 – ICSI – SozR 4-2500 § 27a Nr 1 RdNr 3 mwN). Zwar umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung nach § 27a SGB V im Grundsatz auch Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung, zu denen in bestimmten Fällen die Methode der ICSI gehört (vgl dazu 2.). Nicht von der Leistungspflicht der Krankenkassen erfasst war aber der hier relevante erste ICSI-Versuch, für den es ohne Entscheidung des Bundesausschusses an der erforderlichen eindeutigen Indikation gefehlt hat (vgl dazu 3.). Das verstößt nicht gegen Verfassungsrecht (vgl dazu 4.). Auch ein Anspruch auf teilweise Kostenerstattung in Höhe der Kosten einer IVF kommt nicht in Betracht (vgl dazu 5.).
2. Nach § 27a Abs 1 SGB V (eingefügt durch Art 2 Nr 2 KOV-AnpG 1990 vom 26. Juni 1990, BGBl I 1211) umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn diese Maßnahmen 1. nach ärztlicher Feststellung erforderlich sind, 2. eine hinreichende Aussicht besteht, dass durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt wird, 3. die Personen, die die Maßnahmen beanspruchen wollen, miteinander verheiratet sind, 4. ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden und 5. sich die Ehegatten zur Durchführung der Maßnahmen von einem Arzt, der die Behandlung nicht selbst durchführt, über eine solche Behandlung unter Berücksichtigung ihrer medizinischen und psychosozialen Gesichtspunkte haben unterrichten lassen und der Arzt sie an einen der Ärzte oder eine der Einrichtungen überwiesen hat, denen eine Genehmigung nach § 121a SGB V erteilt worden ist. Der Anspruch ist gemäß § 27a Abs 3 SGB V seit jeher auf Maßnahmen beschränkt, die beim Versicherten der betreffenden Krankenkasse durchgeführt werden. Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen nach § 27a Abs 1 SGB V werden durch die vom Bundesausschuss auf Grund von § 27a Abs 4 SGB V zu erlassenden Richtlinien nach § 92 SGB V bestimmt. Diese Richtlinien hat der Bundesausschuss erstmals am 14. August 1990 (BArbBl Nr 12 vom 30. November 1990) erlassen und seither mehrfach geändert.
Zu den Leistungen iS von § 27a Abs 1 SGB V gehören im Grundsatz auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft im Wege der künstlichen Befruchtung mittels ICSI. Wie der Senat mehrfach entschieden hat (vgl Urteil vom 3. April 2001, BSGE 88, 62, 67 f = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 27 f; zuletzt Urteil vom 22. März 2005, SozR 4-2500 § 27a Nr 1 RdNr 7), verstieß der Ausschluss der ICSI aus dem Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Nr 10.5 der Richtlinie des Bundesausschusses “über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung” in ihrer ab 1. Januar 1998 geltenden Fassung vom 1. Oktober 1997 (BAnz Nr 243 vom 31. Dezember 1997, 15232) gegen höherrangiges Recht. Versicherte konnten daher – wie grundsätzlich hier – bis zur Neuregelung der Richtlinie und der Schaffung der leistungserbringungsrechtlichen Voraussetzungen für die “Sachleistung ICSI” von ihrer Krankenkasse verlangen, dass diese die Kosten vorab übernimmt und unmittelbar mit dem Leistungserbringer abrechnet, wenn im Zeitpunkt des Behandlungsbeginns (vgl zur Bedeutung dieses Zeitpunkts Senat, BSGE 81, 54, 58 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 13 f – immunbiologische Therapie; SozR 3-2500 § 135 Nr 12 S 56 f – ASI; BSGE 93, 236, 243 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1 RdNr 19 – Visudyne; Urteil vom 27. September 2005 – B 1 KR 6/04 R – zur Veröffentlichung vorgesehen) feststand, dass die Leistung unabhängig von der zu treffenden Entscheidung des Bundesausschusses in jedem Falle von ihr zu gewähren war (vgl BSGE 88, 62, 74 f = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 35 f; SozR 4-2500 § 27a Nr 1 RdNr 7). In diesen Zeitkorridor zwischen dem 1. Januar 1998 und frühestens der Veröffentlichung (zur Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts vgl BSGE 93, 236, 243 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1 RdNr 20 mwN) der neuen Richtlinien des Bundesausschusses zu ICSI (zur Einbeziehung der ICSI vgl Richtlinie über künstliche Befruchtung idF vom 26. Februar 2002, BAnz Nr 92 vom 22. Mai 2002, 10941, in Kraft getreten am 1. Juli 2002) fällt der relevante erste ICSI-Versuch, der am 14. Februar 2002 beendet war.
3. Im Falle der Klägerin stand aber bei Beginn des ersten ICSI-Versuchs nicht fest, dass diese Leistung unabhängig von der zu treffenden Entscheidung des Bundesausschusses zu gewähren war. Es fehlte an der eindeutigen Indikation für den ICSI-Versuch.
a) Der Maßstab für die Beurteilung der Feststellung, dass die Leistung unabhängig von der zu treffenden Entscheidung des Bundesausschusses in jedem Falle von der Krankenkasse zu gewähren ist, beruht neben den speziellen Wertungen des § 27a SGB V auf den allgemeinen Anforderungen an Leistungen der GKV, insbesondere auf dem Wirtschaftlichkeitsgebot gemäß § 12 Abs 1 SGB V und § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V. Danach haben Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Deshalb hat der Senat entschieden, dass die ICSI als neuartige Methode der künstlichen Befruchtung von dem Erlaubnisvorbehalt in § 135 Abs 1 SGB V – bis zur Entscheidung des Bundesausschusses – nicht ausgenommen war. Vielmehr hat der Gesetzgeber sein Konzept, durch ein Zulassungsverfahren im Bundesausschuss sicherzustellen, dass nur ausreichend erprobte und medizinisch sinnvolle Untersuchungs- und Behandlungsmethoden neu in den Leistungskatalog der Krankenversicherung aufgenommen werden, auf die ambulante ärztliche Versorgung in ihrer Gesamtheit bezogen und deshalb Maßnahmen der künstlichen Befruchtung mit einbezogen (vgl BSGE 88, 51, 58 ff = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 S 17 ff).
Nach dieser Rechtsprechung werden allerdings die bei sonstigen diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen zu beachtenden Qualitätskriterien des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V für die Maßnahmen der künstlichen Befruchtung durch § 27a SGB V modifiziert. Während grundsätzlich der Einsatz einer neuen Behandlungsmethode nicht dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse iS des § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V entspricht, solange ihre Wirkungen und Risiken noch der Überprüfung bedürfen (BSGE 86, 54, 64 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 70 – aktiv-spezifische Immuntherapie), kommt es im Rahmen der künstlichen Befruchtung – jedenfalls was die mögliche Fehlbildungsrate betrifft – auf diesen Standard nicht in gleicher Weise an (BSGE 88, 62, 69 = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 29 f). Nichts anderes gilt für die gesundheitlichen Risiken im Zusammenhang mit der zur Gewinnung von Eizellen ggf notwendigen hormonellen Stimulation (vgl BSGE 88, 62, 69 f = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 30) und den Wirksamkeitsnachweis, da ein Embryonentransfer günstigstenfalls nur in einem Viertel der Fälle zu einer Schwangerschaft führt (vgl BSGE 88, 62, 70 = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 30 f, unter Hinweis auf BT-Drucks 11/6760 S 15).
Wenn auch danach insgesamt die in § 27a SGB V enthaltene Wertung auf die Entscheidung über die Anerkennung neuer Befruchtungstechniken durchschlagen muss (BSGE 88, 62, 72 = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 33), entbindet dies doch nicht im Übrigen von der Beachtung der allgemeinen Vorgaben für die Leistungen der GKV in § 12 Abs 1 und § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V. Deshalb hat der Senat die Aufgabe des Bundesausschusses herausgestellt, zu präzisieren, bei welchen Indikationen die ICSI auf Kosten der GKV gerechtfertigt ist, und hierzu betont, dass zu Beschränkungen in dieser Hinsicht Anlass bestehen kann, weil die Methode (ICSI) im Verhältnis zur konventionellen IVF offenbar erheblich öfter angewandt wird, als es nach der statistischen Verteilung von Fertilitätsstörungen in der männlichen bzw weiblichen Bevölkerung zu erwarten wäre. Er hat hierzu dem Bundesausschuss die Erwägung anheim gestellt, ob es – auch unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten – geboten ist, die ICSI beispielsweise nur bei strenger Indikationsstellung als Kassenleistung zuzulassen (BSGE 88, 62, 74 = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 35), und hierbei einbezogen, dass generell die ICSI-Methode erheblich kostspieliger ist als die IVF-Methode, wie es auch im Falle der Klägerin die Abrechnungen belegen. Dabei hat der Senat die Fälle von Ehepaaren gegenübergestellt, die von einer andrologisch bedingten Unfruchtbarkeit betroffen sind und daher typischerweise die ICSI benötigen gegenüber Ehepaaren, deren gynäkologisch bedingte Unfruchtbarkeit mittels einer IVF überwunden werden kann (vgl BSGE 88, 62, 73 = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 34). Nur für die hochgradige Fertilitätsstörung des Ehemanns hat der Senat bisher eine Indikation für den Einsatz der ICSI als unzweifelhaft vorliegend bejaht (vgl BSGE 88, 62, 74 = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 35).
b) Anknüpfend an diese Maßstäbe könnte der Senat nur dann zu Grunde legen, dass auch ohne (wirksame) Entscheidung des Bundesausschusses eine eindeutige Indikation für die ICSI bei der Klägerin bestanden hat, wenn – ausgehend von den Ursachen der Unfruchtbarkeit (weibliche, männliche, beiderseitige oder idiopathische Sterilität) – die ICSI-Methode in der konkreten Situation der Klägerin nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse bei Behandlungsbeginn geeignet, ausreichend, erforderlich und wirtschaftlich war. Das aber hat das LSG mit revisionsrechtlich unangegriffenen Feststellungen verneint.
Als Ursache dafür, auf natürlichem Wege keine Kinder zu bekommen, ist das LSG von der behandelten Endometriose bei Fehlen einer hochgradigen Fertilitätsstörung des Ehemannes ausgegangen. Zudem musste es unterstellen, dass zusätzlich eine weibliche Fertilitätsstörung vorlag, da die Klägerin sich hierauf berufen hatte, das LSG insoweit aber keine näheren Feststellungen getroffen hat. Für die Richtigkeit dieses klägerischen Vorbringens sprach nach dem vom LSG in Bezug genommenen Akteninhalt, dass Dr. G… bei Gewinnung von nur zwei Eizellen beim IVF-Versuch von einer “low response Situation” und nach dem ersten ICSI-Versuch von einer Eizellreifungsstörung (2. Mai 2002) bzw schweren Follikelentwicklungsstörung (27. Juni 2002) berichtet hat.
Auf dieser Grundlage hat das LSG schon den Richtlinien der Bundesärztekammer (DÄ 1998, A-3166) keine Indikation für die ICSI zu entnehmen vermocht. Unter 3.2.1.3 sehen diese Richtlinien eine Indikation zur ICSI dann als gegeben an, wenn bei schwerer männlicher Infertilität oder auf Grund anderer Gegebenheiten (zB erfolglose Befruchtungsversuche) die Herbeiführung einer Schwangerschaft höchst unwahrscheinlich ist. Sowohl schwere männliche Infertilität als auch “andere Gegebenheiten” iS der Richtlinie hat das LSG negiert. Es ist vielmehr unter Würdigung auch der Stellungnahmen von Dr. B… von lediglich einem fehlgeschlagenen Befruchtungsversuch mittels IVF ohne sonstige Besonderheiten ausgegangen. Die Klägerin hat in Bezug auf diese Feststellungen keine Revisionsgründe vorgebracht, sodass der Senat an diese getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden ist (§ 163 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Zusätzlich hat sich das LSG für das Fehlen einer eindeutigen Indikation auf die Auskunft des Bundesausschusses gestützt. Sowohl Auskünfte des gemeinsamen Bundesausschusses als auch Richtlinien der Bundesärztekammer, die die Qualität ärztlicher Leitlinien haben, sind ihrer Art nach geeignete Mittel, um den allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse festzustellen (vgl dazu auch Senat, Urteil vom 13. Dezember 2005 – B 1 KR 21/04 R – mwN – zur Veröffentlichung bestimmt). Dieser Auskunft hat es entnommen, dass die Beschränkung der ICSI auf Fälle der männlichen Infertilität ua das Ergebnis der Befragung zahlreicher Sachverständiger der maßgeblichen medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften gewesen sei, und daraus gefolgert, dass auch von daher kein Anhalt für ausreichende wissenschaftliche Erkenntnisse zum Nutzen der ICSI bei anderen Diagnosen (als männliche Infertilität) bestehe. Auch diese Feststellungen sind nicht mit Revisionsgründen angegriffen. Auch wenn es theoretisch denkbar wäre, dass zur Erfüllung des Kinderwunsches bei einer weiblichen Fertilitätsstörung nicht nur die IVF, sondern auch die ICSI eine geeignete Methode darstellen könnte, müsste sich unter Berücksichtigung des wesentlich höheren Kostenaufwandes für die ICSI-Methode gegenüber der IVF-Methode anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse feststellen lassen, dass die ICSI-Methode wesentliche Vorteile gegenüber der grundsätzlich indizierten IVF-Methode bietet. Daran fehlte es aber gerade nach den Feststellungen des LSG. Der Senat hat auch keinen Anlass, an der Richtigkeit der Auskunft des Bundesausschusses zu zweifeln. So knüpft auch der Aufsatz von Michelmann/Gilbhard/Poller an die am häufigsten gestellte Diagnose männlicher Infertilität – die Oligoasthenoteratozoospermie – an und erwähnt ergänzend nicht etwa Fälle weiblicher Fertilitätsstörungen, sondern die Gruppe der “IVF-Versager” bei idiopathischer Ursache.
4. Die Verneinung des Kostenerstattungsanspruchs für ICSI bei überwiegend weiblichen Fertilitätsstörungen verstößt weder gegen Art 3 Abs 3 noch Abs 2 noch Abs 1 Grundgesetz (GG). Nach Art 3 Abs 3 GG darf niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden. Diese Verfassungsnorm verstärkt den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG, indem sie der dem Gesetzgeber darin eingeräumten Gestaltungsfreiheit engere Grenzen zieht. Das Geschlecht darf grundsätzlich – ebenso wie die anderen in Abs 3 genannten Merkmale – nicht als Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden. Das gilt auch dann, wenn eine Regelung nicht auf eine nach Art 3 Abs 3 GG verbotene Ungleichbehandlung angelegt ist, sondern in erster Linie andere Ziele verfolgt (vgl BVerfGE 75, 40, 70; 85, 191, 206). Soweit es um die Frage geht, ob eine Regelung Frauen wegen ihres Geschlechts zu Unrecht benachteiligt, enthält Art 3 Abs 2 GG keine weitergehenden oder spezielleren Anforderungen. Der über das Diskriminierungsverbot des Art 3 Abs 3 GG hinausreichende Regelungsgehalt von Art 3 Abs 2 GG besteht darin, dass er ein Gleichberechtigungsgebot aufstellt und dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt. Er zielt auf die Angleichung der Lebensverhältnisse (vgl zB BVerfGE 15, 337, 345; 57, 335, 334 f; 85, 191, 207; 89, 276, 285; 109, 64, 92 f). Die Klägerin beruft sich aber weniger auf eine Angleichung der Verhältnisse als vielmehr auf die Beseitigung nach ihrer Auffassung bestehender rechtlicher Ungleichbehandlung. Diese sieht sie darin, dass die IVF-Methode – soweit hier von Interesse – an weibliche Fertilitätsstörungen anknüpft, die ICSI dagegen an männliche Fertilitätsstörungen. Dass die Methoden der extrakorporalen Befruchtung an unterschiedliche Indikationen anknüpfen, die mit dem Geschlecht verbunden sind, verstößt indes nicht gegen Art 3 Abs 3 GG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 85, 191, 207) können differenzierende Regelungen vielmehr zulässig sein, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind. So aber liegt es hier. Die unterschiedlichen Indikationsstellungen unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebots knüpfen an die tatsächlichen Schwierigkeiten an, die einem Erfolg der natürlichen Befruchtung entgegenstehen, und führen zur jeweils geeigneten und wirtschaftlichen Methode, um diese Schwierigkeiten zu überwinden. Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung liegt darin nicht.
5. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die bei Anwendung der IVF-Methode an Stelle von ICSI angefallen wären. Nach der Rechtsprechung des Senats handelt es sich bei der künstlichen Befruchtung mittels ICSI um eine andere Behandlungsmethode als bei der extrakorporalen Befruchtung mittels IVF (vgl Senat, BSGE 88, 51, 60 f = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 S 18 f). Die Gemeinsamkeit der ICSI mit der konventionellen IVF ohne ICSI erschöpft sich darin, dass die Befruchtung extrakorporal stattfindet und dass deshalb Eizellen und Spermien dem Körper entnommen sowie Embryonen in den Körper eingebracht werden müssen. Der Befruchtungsvorgang selbst wird bei der IVF lediglich begünstigt, während er bei der ICSI gezielt manipuliert wird. Infolgedessen kann die medizinische Bewertung des Zusammenbringens von Samen- und Eizelle in einer die Befruchtung begünstigenden Umgebung bei der IVF auf den technisch völlig anderen Vorgang des Eindringens in die Eizelle mit einer Injektionsnadel bei der ICSI nicht übertragen werden. Zwar ist die Mikroinjektion als solche nur eine einzelne ärztliche Verrichtung im Rahmen der Gesamtmaßnahme; sie gibt aber dieser Art der künstlichen Befruchtung erst ihr Gepräge. Durch das mechanische Eindringen in die Eizelle eröffnet sie neue Möglichkeiten der Überwindung (auch) andrologischer Fertilitätsstörungen und schafft zugleich neue gesundheitliche Risiken (vgl Senat, BSGE 88, 51, 59 ff = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 S 18 ff). Auch soweit sich die Indikationsbereiche – denkmöglich – überschneiden und erst auf Grund des Wirtschaftlichkeitsgebots die Anwendung der ICSI-Methode ausscheidet, besteht kein Anspruch auf die Erstattung wenigstens der tatsächlich nicht angefallenen IVF-Kosten. Nach der Rechtsprechung des Senats erfasst § 13 Abs 3 SGB V nur die beim Versicherten konkret entstandenen Kosten, nicht aber die fiktiven Kosten für eine Leistung, die ebenfalls in Frage gekommen wäre oder die Ersparnis der Krankenkasse (vgl Senat, BSGE 79, 125, 128 = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 53; vgl auch Senat, BSGE 86, 66, 76 = SozR 3-2500 § 13 Nr 21 S 97 f; vgl dementsprechend zum Recht der Leistungserbringer zB BSGE 74, 154, 158 = SozR 3-2500 § 85 Nr 6 S 35 f mwN; BSGE 80, 1, 3 f = SozR 3-5545 § 19 Nr 2 S 8 f; SozR 4-2500 § 39 Nr 3 S 25 f; BSGE 94, 213, 220 = SozR 4-5570 § 30 Nr 1 mwN). Auch unter dem Gesichtspunkt der sog Stellvertreterleistung vermag die Klägerin unter Geltung des SGB V für einen Kostenerstattungsanspruch nichts für sich herzuleiten (vgl Senat, SozR 3-2500 § 38 Nr 4 S 27 f mwN).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1498718 |
SGb 2006, 299 |