Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung von Krankenversicherungsbeiträgen
Beteiligte
…, Kläger und Revisionskläger |
Barmer Ersatzkasse, Wuppertal 2, Untere Lichtenplatzer Straße 100 - 102, Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Krankenversicherungsbeiträgen.
Der Kläger war der beklagten Ersatzkasse seit 1975 mit Unterbrechungen als versicherungspflichtiger, bei seiner Ehefrau beschäftigter Arbeitnehmer gemeldet. Im Jahre 1983 kamen bei Verdacht auf Mißbrauch der Arbeitslosenversicherung Zweifel am Vorliegen eines versicherungs- und beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses auf. Die Beklagte stellte im Dezember 1983 fest, daß Versicherungs- und Beitragspflicht nicht bestanden habe. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos. Seine Klage nahm er im Oktober 1984 zurück. Danach beanstandete der Rentenversicherungsträger die zu diesem Versicherungszweig entrichteten Pflichtbeiträge.
Nachdem die Beklagte den Kläger auf eine mögliche Erstattung von Krankenversicherungsbeiträgen hingewiesen hatte, dieser sie jedoch nicht beantragte, lehnte die Beklagte schließlich eine Erstattung von sich aus ab. Hiergegen erhob der Kläger nunmehr Mitte 1987 Widerspruch und verlangte Erstattung. Daraufhin erklärte sich die Beklagte bereit, die ab 1979 entrichteten, bei der Entscheidung über die Versicherungsfreiheit im Jahre 1983 noch nicht verjährten Beiträge zu erstatten. Für die Zeit davor lehnte sie dieses jedoch mit Bescheid vom 24. Februar 1988 und Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 1988 wegen Verjährung ab.
Das Sozialgericht (SG) Aurich hat die Klage durch Urteil vom 4. August 1988 abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen die Berufung des Klägers durch Urteil vom 27. Oktober 1989 zurückgewiesen. Der Erstattungsanspruch sei verjährt. Die Verjährung habe nicht erst im Jahre 1983 begonnen, als die Beklagte die Versicherungspflicht verneint habe. § 27 Abs 2 Satz 2 des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) sei bei der Beanstandung von Beiträgen zur Rentenversicherung anzuwenden. Für die Krankenversicherung gelte die Vorschrift hingegen ebensowenig wie nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 13. Juni 1985 (BSGE 58, 154 = SozR 2100 § 27 Nr 4) für die Arbeitslosenversicherung.
Auf die Beschwerde des Klägers hat der erkennende Senat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Der Kläger hat Revision eingelegt, sich zur Begründung auf seine Ausführungen in der Beschwerdebegründung bezogen und keinen ausdrücklichen Antrag gestellt.
Die Beklagte beantragt,
|
die Revision zurückzuweisen. |
|
Sie ist der Ansicht, § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV sei nicht anzuwenden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
II
Die Revision ist zulässig. Der Kläger hat zwar entgegen § 164 Abs 2 Satz 3 SGG im Revisionsverfahren keinen bestimmten Antrag gestellt und die verletzte Rechtsnorm nicht bezeichnet. Er verfolgt jedoch unzweifelhaft seinen einzigen im Prozeß gestellten Antrag auf Beitragserstattung weiter, mit dem er in den Vorinstanzen abgewiesen worden ist. In solchen Fällen hat es die Rechtsprechung als unschädlich angesehen, wenn eine ausdrückliche Antragstellung unterblieben ist (BSG SozR 1500 § 164 Nrn 8, 10). Es reicht auch aus, daß sich der Kläger zur Begründung der Revision lediglich auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bezogen hat (zur Zulässigkeit einer solchen Bezugnahme BSG SozR 1500 § 164 Nr 27). Denn in der Beschwerdebegründung ist die als verletzt gerügte Rechtsnorm (§ 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV) genannt und dargelegt, daß sie auch hier für anwendbar gehalten wird.
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage mit Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig. Mit ihm hat die Beklagte die Erstattung der vor 1979 entrichteten Krankenversicherungsbeiträge abgelehnt. Sie sind zwar zu Unrecht entrichtet, weil die Beklagte bindend entschieden hat, daß Versicherungspflicht des Klägers aufgrund einer Beschäftigung bei seiner Ehefrau nicht bestanden hat. Daher sind sie nach § 26 Abs 1 Halbs 1 SGB IV in der bis Ende 1988 geltenden Fassung (aF) - entspricht § 26 Abs 2 Halbs 1 SGB IV in der seither geltenden Fassung (nF) - grundsätzlich zu erstatten. Ob etwas anderes gelten könnte, weil die Beklagte an den Kläger Leistungen erbracht hat (§ 26 Abs 1 aF = § 26 Abs 2 nF SGB IV) oder weil er die Beiträge etwa ganz oder zum Teil nicht selbst getragen hat (§ 26 Abs 2 aF = § 26 Abs 3 nF SGB IV), kann offen bleiben. Denn jedenfalls ist der Erstattungsanspruch verjährt.
Die Verjährung tritt nach § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs ein, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Beanstandet der Versicherungsträger die Rechtswirksamkeit von Beiträgen, beginnt die Verjährung nach Satz 2 mit dem Ablauf des Kalenderjahrs der Beanstandung. Dabei gilt § 27 Abs 2 SGB IV nach Art II § 15 SGB IV auch für die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes (1. Juli 1977) fällig gewordenen, noch nicht verjährten Erstattungsansprüche. Diese waren am 1. Juli 1977 für die Zeit seit 1975 noch nicht verjährt, weil die Verjährungsfrist nach § 29 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zuletzt zwei Jahre nach Ablauf des Kalenderjahrs der Entrichtung betrug. Damit war der Anspruch auf Erstattung der in den Jahren 1975 bis 1978 entrichteten Beiträge nach Satz 1 des § 27 Abs 2 SGB IV mit Ablauf der Jahre 1979 bis 1982 verjährt. Bis dahin hatte der Kläger ihn nicht geltend gemacht. Die Beklagte konnte sich daher in dem angefochtenen Bescheid auf Verjährung berufen.
Die Verjährung begann nicht erst mit der Entscheidung über die Versicherungsfreiheit im Jahre 1983. Satz 2 des § 27 Abs 2 SGB IV greift nicht ein. Zu dieser Vorschrift hat der 7. Senat des BSG mit Urteil vom 13. Juni 1985 (BSGE 58, 154 = SozR 2100 § 27 Nr 4) bereits entschieden, daß sie in der Arbeitslosenversicherung keine Anwendung findet. Gleiches gilt für die Krankenversicherung. Denn es handelt sich um eine rentenversicherungsrechtliche Regelung. Das zeigt ihre Entstehungsgeschichte.
In der Rentenversicherung waren Verjährungsfrist und Verjährungsbeginn von Erstattungsansprüchen seit langem anders als für die anderen Versicherungszweige geregelt. In der ursprünglichen Fassung der RVO vom 19. Juli 1911 (RGBl 509) bestimmte § 29 Abs 2 für alle damals in ihr geregelten Versicherungszweige eine Verjährung des Anspruchs auf Rückerstattung von Beiträgen in sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahrs der Entrichtung. Die Vorschrift war jedoch "mit einem für die Invalidenversicherung nötigen Vorbehalte" zugunsten des § 1446 Abs 2 RVO versehen (vgl Entwurf einer RVO, Reichstags-Drucks Nr 682 der 12. Legislaturperiode, II. Session 1909/11, S 44 der Begründung zu § 26 Abs 2, entspricht § 29 Abs 2 RVO). Danach konnte der Versicherte die Beiträge grundsätzlich binnen zehn Jahren nach der Entrichtung zurückfordern. Als das Gesetz über den Ausbau der Rentenversicherung vom 21. Dezember 1937 (RGBl I 1393) in Art 2 §§ 50, 51 den § 1446 Abs 2 bis 4 RVO durch § 1445c RVO ersetzte, wurde diese Verjährungsfrist zwar auf zwei Jahre herabgesetzt, jedoch erstmals bestimmt, daß die Verjährung erst mit dem Schlusse des Kalenderjahrs der Beanstandung begann, wenn der Versicherungsträger die Rechtswirksamkeit von Beiträgen beanstandete. Diese Regelung wurde bei der Rentenreform 1957 in § 1424 Abs 1, 2 RVO (§ 146 Abs 1, 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG) übernommen. Von ihr blieb lediglich der Verjährungsbeginn mit dem Schluß des Beanstandungsjahres als Besonderheit der Rentenversicherung erhalten, als die sechsmonatige Verjährungsfrist in der allgemeinen Vorschrift des § 29 Abs 2 RVO durch § 246 Abs 1 Nr 1 des Arbeitsförderungsgesetzes vom 25. Juni 1969 (BGBl I 582) auf die bisher nur in der Rentenversicherung (§ 1424 Abs 1 RVO = § 146 Abs 1 AVG) geltenden zwei Jahre verlängert wurde. Diese Regelung wurde unter weiterer Verlängerung der Verjährungsfrist auf vier Jahre von § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV abgelöst, während Satz 2 dieser Vorschrift Nachfolger der rentenversicherungsrechtlichen Sondervorschrift des § 1424 Abs 2 RVO (§ 146 Abs 2 AVG) ist.
Das Gesetz hat bei Aufnahme der Regelung unter die Gemeinsamen Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) allerdings insofern verallgemeinert, als es nunmehr in Satz 2 des § 27 Abs 2 SGB IV vom Versicherungsträger und nicht mehr wie früher (§ 1424 Abs 2 RVO; § 146 Abs 2 AVG) von den Rentenversicherungsträgern spricht. Im übrigen verwendet es jedoch mit der Beanstandung (der Rechtmäßigkeit) von Beiträgen auch weiterhin einen rechtstechnischen Begriff der Rentenversicherung, der sich auch in anderen Vorschriften dieses Versicherungszweigs findet (§ 1425 Abs 2 RVO = § 147 Abs 2 AVG; § 26 Abs 1 SGB IV nF; vgl auch die "Anfechtung" nach § 1423 Abs 2 RVO = § 145 Abs 2 AVG). Ihre Rechtsnatur ist früher Gegenstand der Rechtsprechung gewesen (BSGE 24, 13 = SozR Nr 2 zu § 1421 RVO; vgl auch BSGE 25, 136 = SozR Nr 2 zu § 1424 RVO zum Neubeginn der nach Beanstandung begonnenen Verjährung im Fall ihrer Unterbrechung). Der Gesetzgeber hat den Begriff im Zweifel nicht untechnisch verwendet. Auch beim Kläger des vorliegenden Verfahrens hat nur der Rentenversicherungsträger die Beiträge beanstandet. Demgegenüber hat die Beklagte für die Krankenversicherung das Nichtbestehen von Versicherungspflicht festgestellt, damit allerdings auch der Beitragsentrichtung die Grundlage entzogen. Dennoch ist diesem Versicherungszweig die Beanstandung als Mittel, die Wirksamkeit entrichteter Beiträge in Frage zu stellen, fremd. Hier regelten lediglich die bis zum 31. Dezember 1988 geltenden §§ 213 und 315 RVO bestimmte Rechtsfolgen, die eine unbeanstandete Annahme von Beiträgen hatte; sie betrafen damit einen anderen Zusammenhang.
Der aufgezeigte Unterschied zwischen Rentenversicherung und Krankenversicherung beruht auf einem anderen Verhältnis der Beitrags- zur Leistungsseite in beiden Versicherungszweigen. In der Rentenversicherung werden durch die Entrichtung von Beiträgen Anwartschaften erworben, die bei Eintritt von Versicherungsfällen zu Leistungsansprüchen erstarken; die Beitragsentrichtung wirkt für die Zukunft (vgl das erwähnte Urteil des 7. Senats in BSGE 58, 154, 156; ferner das Urteil des erkennenden Senats vom 25. April 1991 - 12/1 RA 65/89, zur Veröffentlichung bestimmt). Wird der hierauf beruhende Vorsorgeplan des "Versicherten" durch die Beanstandung enttäuscht, so sollen die Beiträge erstattet werden, wenn mit ihnen künftig Leistungen nicht (mehr) erworben werden können. Das soll nicht daran scheitern, daß die nach der Beitragsentrichtung beginnende Verjährungsfrist im Zeitpunkt der Beanstandung schon ganz oder teilweise abgelaufen ist. So gesehen erweist sich die Ausnahmeregelung des § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV als speziell rentenversicherungsrechtlich zu erklärende Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben.
In der Krankenversicherung werden Leistungen demgegenüber regelmäßig nicht aufgrund einer früheren Entrichtung von Beiträgen, sondern wegen einer gegenwärtig bestehenden Mitgliedschaft erbracht (dazu Urteil des Senats vom 25. April 1991 - 12 RK 40/90, zur Veröffentlichung bestimmt). Hier hat eine frühere Beitragsentrichtung also keine anwartschaftsbegründende Wirkung. Vielmehr erschöpft sie sich in einer Beteiligung des Versicherten an den Aufwendungen der Krankenkasse zur Zeit der Beitragsentrichtung. Dementsprechend besteht in der Krankenversicherung kein so wichtiger Grund, von der Regel des Verjährungsbeginns am Ende des Entrichtungsjahrs (§ 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV) abzuweichen, deren Sinn es ist, weiter zurückliegende Beitragszahlungen auf sich beruhen zu lassen. Die Krankenkasse könnte auch, wenn eine bestehende Versicherungspflicht erst nach Jahren erkannt worden wäre und sie diese nachträglich noch feststellen würde, eine Beitragsforderung für mehr als vier Jahre zurück in der Regel wegen Verjährung nicht mehr durchsetzen (vgl § 25 Abs 1 Satz 1 SGB IV; zur Beachtung der Verjährung von Amts wegen oder auf Einrede vgl das Urteil des Senats vom 25. Oktober 1990 in BSGE 67, 290, 293f = SozR 3-2400 § 25 Nr 2).
Die Anwendung des § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV würde in der Krankenversicherung zu größeren praktischen Schwierigkeiten als in der Rentenversicherung führen. Im erwähnten Entwurf einer RVO ist die Einführung der damals nur sechsmonatigen Verjährungsfrist (§ 29 Abs 2 RVO ursprünglicher Fassung) damit begründet worden, daß es für eine geordnete Rechnungsführung des Versicherungsträgers erwünscht sei, für den Anspruch auf Rückerstattung solcher Beiträge eine Frist zu setzen, "welche zu Unrecht oder in zu hohem Betrage gezahlt sind. Die dabei nötigen nachträglichen Ermittelungen verursachen einen unverhältnismäßigen Aufwand an Mühe und Zeit, der um so größer ist, je weiter zurück die Zeit liegt, auf die sich die Erhebungen erstrecken". Diese Erwägungen haben auch bei der heute wesentlich längeren vierjährigen Verjährungsfrist noch ihre Gültigkeit. Soweit der Gesetzgeber der RVO in der Rentenversicherung gleichwohl ursprünglich eine wesentlich längere Verjährungsfrist vorgesehen hatte, wird dieses wie die spätere Regelung über den Verjährungsbeginn auch auf dem Vorhandensein von Versicherungsunterlagen und -verläufen beruhen. Sie erleichtern die Prüfung von Erstattungsansprüchen nach Grund und Höhe deutlich. Unterlagen sind in der Krankenversicherung häufig nicht vorhanden. Das fällt umso mehr ins Gewicht, als der Anwendungsbereich des § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV sogar in der Rentenversicherung durch zeitliche Grenzen für eine Beanstandung durch den Versicherungsträger begrenzt ist (§ 1423 Abs 2 RVO = § 145 Abs 2 AVG; § 26 Abs 1 nF SGB IV), die bei einer Anwendung des § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV in der Krankenversicherung fehlen würden.
Nach alledem ist § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV hier weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden. Das SGB IV enthält auch sonst Regelungen, die für die Rentenversicherung, nicht aber für die Krankenversicherung gelten, so etwa den inzwischen eingefügten und bereits erwähnten § 26 Abs 1 nF SGB IV.
Die Revision des Klägers war demnach zurückzuweisen und über die Kosten nach § 193 SGG zu entscheiden.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen