Entscheidungsstichwort (Thema)
Einsicht des Betriebsausschusses in nicht anonymisierte Bruttoentgeltlisten
Leitsatz (amtlich)
Die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter i.S.d. § 80 Abs. 2 S. 2 2. Halbsatz
BetrVG dürfen nicht anonymisiert zur Einsichtnahme bereitgestellt werden; außer-halb seines Anwendungsbereiches gebieten auch die Bestimmungen des Entgelt-TranspG - insbesondere § 13 Abs. 2 und 3 i.V.m. §§ 11 und 12 Abs. 3 - keine Anonymisierung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die zur Einsichtnahme vorzulegenden Bruttoentgeltlisten im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 BetrVG müssen auch Namen und Vornamen der Beschäftigten enthalten.
2. Gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat darüber zu wachen, dass die zugunsten der Beschäftigten geltenden Gesetze und Tarifverträge durchgeführt werden. Dazu gehört auch die sich aus § 75 Abs. 1 BetrVG ergebende Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Beachtung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes.
3. Zur Wahrung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes benötigt der Betriebsrat Informationen dazu, ob bestimmte Vergütungsmechanismen zu einem Mitbestimmungsrecht im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hinsichtlich betrieblicher Entlohnungsgrundsätze führen. Darlegungen eines besonderen Anlasses für die Ausübung des Einsichtsrechts im Hinblick auf die vereinbarten Vergütungen sind nicht erforderlich.
4. Der Betriebsrat benötigt die Kenntnis der effektiv gezahlten Vergütungen, um sich ein Urteil darüber bilden zu können, ob insoweit ein Zustand innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit existiert oder nur durch eine andere betriebliche Lohngestaltung erreicht werden kann. Die Grenzen des Einsichtsrechts liegen dort, wo ein Beteiligungsrecht oder eine sonstige Aufgabe offensichtlich nicht in Betracht kommt.
5. Nach Sinn und Zweck des § 80 Abs. 2 Nr. 2 Hs. 2 BetrVG kann die Funktion der Bruttoentgeltliste nicht erfüllt werden, wenn eine Zuordnung der dort enthaltenen Angaben zu konkreten Beschäftigten mangels Angabe von Namen und Vornamen nicht möglich ist. Erst mit Hilfe des Namens kann der Betriebsrat konkret feststellen, welche Beschäftigten welche Vergütungsbestandteile erhalten, ob Beschäftigte betroffen sind, die arbeitgeberseitig in einer Gruppe zusammengefasst sind und welche Vergütungsbestandteile einzelne oder in Gruppen zusammengefasste Beschäftigte beziehen.
Normenkette
BetrVG § 80 Abs. 2 S. 2 Hs. 2; BDSG § 32; EntgeltTranspG § 13 Abs. 3, 2, § 11 Abs. 3, § 12 Abs. 3; BetrVG § 75 Abs. 1, § 80 Abs. 1 Nr. 1, § 87 Abs. 1 Nr. 10
Verfahrensgang
ArbG Minden (Entscheidung vom 04.04.2017; Aktenzeichen 2 BV 135/16) |
Tenor
Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Minden vom 04.04.2017 - 2 BV 135/16 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten über den Umfang des Einsichtsrechts in die Bruttoentgeltlisten.
Antragsteller ist der im Klinikum der Arbeitgeberin in P gewählte Betriebsrat, der einen Betriebsausschuss eingerichtet hat. Die zu 2 beteiligte Arbeitgeberin betreibt bundesweit zahlreiche Kliniken und Einrichtungen zur Rehabilitation; u.a. die N Klinik in P. (Auch) für die Beschäftigten dieser Klinik war ein (Mantel-)Tarifvertrag mit der Gewerkschaft ver.di abgeschlossen, der zum 31.12.2016 gekündigt wurde, ohne dass es bislang zu einem neuen Tarifabschluss gekommen ist.
Bis Ende des Jahres 2015 erstellte die Arbeitgeberin sog. Personenstandsmeldungen, in die der Betriebsrat Einsicht nahm. Hierbei handelte es sich um Bruttolohn- und Gehaltstabellen. Diese Praxis setzte die Arbeitgeberin nicht fort, was der Betriebsrat u.a. mit Nachricht vom 17.08.2016 (Kopie Bl. 5 d.A.) monierte. Unter Hinweis darauf, dass die Arbeitgeberin solche Listen nicht mehr führe, bot sie dem Betriebsrat eine Einsichtnahme "in die Bruttogehaltsliste" unter dem 14.09.2016 an, was der Betriebsrat wegen Urlaubsabwesenheit seines Vorsitzenden nicht wahrnahm. In der Folgezeit gab es mehrfache Aufforderungen und telefonische Nachfragen durch den Betriebsrat; die Einsichtnahme in die Bruttogehaltsliste wurde indessen nicht ermöglicht, was der Betriebsrat zum Anlass nahm, den vorliegenden Antrag auf Einleitung eines Beschlussverfahrens, beim Arbeitsgericht Minden eingehend am 15.11.2016, anhängig zu machen. Im Anschluss an den erstinstanzlichen Gütetermin vom 06.01.2017 gewährte die Arbeitgeberin unter dem 08.02.2017 Einsichtnahme in eine anonymisierte Bruttoentgeltliste, die folgende Angaben enthielt: Dienstartbezeichnung, Unterdienstartbezeichnung, Geschlecht, Alter, Eintrittsdatum, Grund-gehalt, Arbeitszeit/Woche, Zulagen (z.B. Bereitschaftsdienst, Leistungszulage, Festbezug, Funktionszulage, sonstige Zulagen), und ständige Bezüge (z.B. Zeitzuschläge, Ausgleich für Urlaub/Krankheit, Nachtzuschläge, Sonntagszuschläge, Überstundenzuschläge, Überstundenvergütung, Beteiligung Liquidation), sonstige Bezüge (z.B. VL, BAV, Sachbezug, Mutterschaftsgeld, Urlaubsgeld, Übernahme PSt., Abfindung).
Nach Einsichtnahme in diese Liste hat der Bet...