Entscheidungsstichwort (Thema)

Richtervorlage, Verfassungswidrigkeit, Wahlgleichheit, Betriebsratswahlen, Frauenquote, Minderheitsgeschlecht

 

Leitsatz (amtlich)

§ 15 Abs. 2 BetrVG verletzt die Wahlgleichheit, insbesondere die Chancengleichheit des Zugangs zu den Betriebsratsämtern, ohne dass hierfür eine sachlich erforderliche Ausnahme vorliegt. Weder aus dem Zweck der Wahl, noch aus der besonderen Organisationsstruktur des Gremiums Betriebsrat oder aus der Natur des Regelungsbereichs folgt, dass eine Bevorzugung des jeweils im Betrieb in der Minderheit befindlichen Geschlechts gerechtfertigt ist.

 

Normenkette

BetrVG § 15 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Bonn (Aktenzeichen 4 BV 51/02)

 

Tenor

Das Verfahren wird ausgesetzt und nach Art. 100 Abs. 1 GG, §§ 13 Nr. 11, 80 ff BVerfGG dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der §§ 24, 26 PTNeuOG in Verbindung mit § 34 PTNeuOG und § 15 Abs. 2 BetrVG in Verbindung mit § 126 BetrVG vorgelegt

 

Tatbestand

I. Der Richtervorlage liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

In dem Betrieb der D T, T Z, fanden vom 27. bis 29.05.2002 Betriebsratswahlen statt. Die Wahl wurde als Gruppenwahl mit den Gruppen Beamte und Arbeitnehmer durchgeführt. Für das Wahlverfahren sind die §§ 24, 26 PTNeuOG anwendbar, die mit Ausnahme der Besonderheiten, die auf der Gruppenwahl für Beamte und Arbeitnehmer beruhen, auf das Betriebsverfassungsgesetz verweisen. Hierdurch findet § 15 Abs. 2 BetrVG für die vorliegende Wahl Anwendung.

Die Vorschrift lautet:

Das Geschlecht, das in der Belegschaft in der Minderheit ist, muss mindestens entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein, wenn dieser aus mindestens drei Mitgliedern besteht.

Das PTNeuOG enthält darüber hinaus in § 34 eine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass einer den Besonderheiten der Unternehmensstruktur entsprechenden abweichenden Wahlordnung. Im Übrigen wird die Geltung der Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz angeordnet. Die Ermächtigungsgrundlage hierzu ist in § 126 BetrVG geregelt. Danach umfasst die Ermächtigungsgrundlage auch Regelungen zur Verteilung der Betriebsratssitze auf die Geschlechter, soweit die Sitze nicht nach § 15 Abs. 2 BetrVG besetzt werden können.

Entsprechend der Ermächtigungsgrundlage regelt § 15 Abs. 5 WO BetrVG den sogenannten Listensprung. Sind nicht genügend Angehörige des Minderheitsgeschlechts nach dem ansonsten anwendbaren d'Hondtschen Höchstzahlverfahren gewählt worden, muß der Kandidat des Mehrheitsgeschlechts, auf den die kleinste gewählte Höchstzahl entfallen ist, sein Mandat abgeben. Soweit auf der eigenen Liste keine nicht gewählten Kandidaten des Minderheitsgeschlechts mehr zur Verfügung stehen, geht der Betriebsratssitz an die andere Liste, soweit dort noch nicht gewählte Vertreter des Minderheitsgeschlechts zur Verfügung stehen.

Die Verhältnisse im Betrieb des Vorlageverfahrens sind wie folgt strukturiert:

In der Gruppe der Arbeitnehmer sind insgesamt 4009 beschäftigte Arbeitnehmer wahlberechtigt. Hiervon sind 2806 Beschäftigte Männer und 1203 Beschäftigte Frauen. Der Prozentsatz der Frauen beträgt damit geringfügig über 30 %. Nach dem d'Hondtschen Höchstzahlverfahren errechnete der Wahlvorstand einen Anteil von sechs Sitzen für das Minderheitsgeschlecht von insgesamt 20 Sitzen der Arbeitnehmer.

Für die Wahl wurden zwei Listen eingereicht. Eine Liste der V D v sowie die gemeinsame Liste der Antragstellerinnen im Ausgangsverfahren der D /C. Auf dieser Liste kandidierten lediglich vier männliche Arbeitnehmer, während die v Liste 80 Arbeitnehmer umfasste und dabei auf den Plätzen 4, 6, 10, 13, 17 und 21 sowie auf weiteren Plätzen Frauen aufstellte.

Auf die Liste v entfielen von den gültigen 1665 abgegebenen Stimmen insgesamt 1407 auf die Liste der Antragsteller 258 Stimmen. Daraus ergaben sich folgende Höchstzahlen:

v

Höchstzahl

D / C

:1

1407

(1)

258

(6)

:2

703,5

(2)

129,12

(12)

:3

469

(3)

86

(19)

:4

351,75

(4)

:5

281,4

(5)

:6

234,5

(7)

:7

201

(8)

:8

175,87

(9)

:9

156,3

(10)

:10

140,7

(11)

:11

127,9

(12)

:12

117,25

(14)

:13

108,23

(15)

:14

100,5

(16)

:15

93,8

(17)

:16

87,93

(18)

:17

82,76

(20)

Auf der Grundlage dieses Wahlergebnisses hätten die Antragstellerinnen drei und die Liste v 17 Sitze erhalten. Der männliche Kandidat mit der geringsten Höchstzahl war Herr M von der Liste der Antragstellerinnen mit der Höchstzahl 86. Der Wahlvorstand zog diesen Sitz der Liste der Antragstellerinnen ab und schlug ihn der Liste v zu. Für Herrn M rückte Frau Doris G, die nächste auf der Liste v stehende noch nicht berücksichtigte Frau nach. Das Wahlergebnis wurde mit Schreiben vom 30.05.2002 bekannt gegeben. Am 13.06.2002 leiteten die Antragstellerinnen das Ausgangsverfahren ein und beantragten, das Wahlergebnis dahingehend zu berichtigen, dass der auf Platz drei geführte Kandidat der Liste der Antragstellerinnen an Stelle des auf Platz 16 der Liste v geführten männlichen Kandidaten in den Betriebsrat gewählt worden ist. Weiterhin begehren die Antragstellerinnen auch die Korre...

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