Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebliche Altersversorgung. Auslegung einer Versorgungsordnung. Herabsetzung der Gesamtversorgungsobergrenze
Orientierungssatz
Sieht eine Übergangsregelung die Einführung einer Gesamtversorgungsobergrenze auch für langjährig beschäftigte Arbeitnehmer vor, die hohe Ruhegeldanwartschaften erworben haben, so muss diese erst recht für Anwartschaftsinhaber gelten, die zum Ablösungsstichtag eine geringere Anwartschaft erworben hatten und daher weniger schutzbedürftig waren.
Normenkette
Richtlinien der DAG-Unterstützungskasse RL 75 III, RL 82 III und VI
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten noch um die Frage, ob der Berechnung der Betriebsrente des Klägers ganz oder teilweise eine Gesamtversorgungs-Obergrenze von 75 % des versorgungsfähigen Entgelts zugrunde zu legen ist.
Der am 1. Oktober 1936 geborene Kläger war vom 1. November 1959 bis zum 31. Oktober 1999, zuletzt als Bezirksleiter, bei der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) beschäftigt. Diese ist später durch Verschmelzung in der Beklagten zu 1) aufgegangen. Durch Arbeitsvertrag wurde ihm eine betriebliche Altersversorgung zugesagt, die über die Ruhegehaltskasse der DAG e.V., einer Unterstützungskasse, erfolgen sollte. Die Verpflichtungen aus der Versorgungszusage hat die Beklagte zu 2) übernommen.
Die am 19. September 1975 in Kraft getretenen Richtlinien der DAG-Unterstützungskasse (RL 75) lauteten auszugsweise:
“III.
Ruhegehalt
…
4. Der Grundbetrag des Ruhegehaltes beträgt 15 % des während der voraufgegangenen 5 Dienstjahre durchschnittlich bezogenen Bruttogehaltes. Als Bruttogehalt in diesem Sinne ist die durchschnittliche monatliche Vergütung einschließlich anteiligem 13. Gehalt, jedoch ohne Sondervergütungen, Überstundenentgelte und Aufwandsentschädigungen anzusehen. …
5. Darüber hinaus wird vom 11. bis zum 25. Dienstjahr ein jährlicher Steigerungsbetrag in Höhe von 1 %, ab dem 26. Dienstjahr ein jährlicher Steigerungsbetrag in Höhe von 0,5 % des durchschnittlichen Bruttogehaltes der letzten 5 bzw. 10 Dienstjahre gewährt. Über das 65. Lebensjahr hinaus werden keine Steigerungsbeträge gewährt.
6. Mitarbeiter, die in den 1933 aufgelösten Vorgängerorganisationen der DAG ….
8. Das Ruhegehalt darf zusammen mit der eigenen Rente aus der Angestellten-, Arbeiterrenten- oder Knappschaftsversicherung sowie mit sonstigen Versorgungsbezügen 75 % des durchschnittlichen monatlichen Bruttogehaltes im Sinne des Absatzes 4, Satz 2, des letzten Jahres vor Ausscheiden aus dem Dienst nicht übersteigen. Anstelle des durchschnittlichen monatlichen Bruttogehaltes des letzten Jahres kann ein Durchschnittsmonatsgehalt der letzten 5 Jahre zugrundegelegt werden, wenn dies günstiger ist.
…”
Anfang der Achtziger Jahre arbeitete die DAG-Unterstützungskasse neue Richtlinien (RL 82) aus. Redaktionell auf eine Geltung ab 1. April 1982 ausgerichtet, traten diese als Gesamtbetriebsvereinbarung zum 1. Mai 1984 in Kraft und lösten die RL 75 ab. In der maßgeblichen Fassung vom 7. Juni 1996 lauten sie auszugsweise:
“III.
Ruhegehalt
…
(5) Der Grundbetrag des Ruhegehaltes beträgt 7,5 % des während der voraufgegangenen 5 Dienstjahre durchschnittlich bezogenen Bruttomonatsgehaltes.
…
Zu dem Grundbetrag wird vom 11. bis 20. Dienstjahr ein jährlicher Steigerungsbetrag in Höhe von 1,00 % und vom 21. bis 30. Dienstjahr ein jährlicher Steigerungsbetrag in Höhe von 1,25 % des durchschnittlichen Bruttomonatsgehaltes der letzten 5 bzw. 10 Dienstjahre gewährt. Nach Vollendung des 65. Lebensjahres bzw. über das 30. Dienstjahr hinaus werden keine Steigerungsbeträge gewährt.
(6) Das Ruhegehalt darf zusammen mit der eigenen Rente aus der Angestellten-, Arbeiterrenten- oder Knappschaftsversicherung sowie mit sonstigen Versorgungsbezügen 70 % des durchschnittlichen Bruttomonatsgehaltes gemäß Absatz (5) Satz 2 des letzten Jahres vor Ausscheiden aus dem Dienst nicht übersteigen. Anstelle des durchschnittlichen monatlichen Bruttogehaltes des letzten Jahres kann ein Durchschnittsmonatsgehalt der letzten 5 Jahre zugrundegelegt werden, wenn dies günstiger ist.
…
VI.
Übergangsregelung
(1) Für alle Beschäftigten mit einer am [30. April 1984] bestehenden unverfallbaren Anwartschaft wird im Falle des Bezuges von Leistungen aus der Ruhegehaltskasse der DAG e.V. der Anspruch zugrundegelegt, der am [30. April 1984] nach den bis zu diesem Zeitpunkt gültigen Leistungsrichtlinien gemäß Abschnitt III Absatz (5) und (6) bestanden hat. Dieser Anspruch wird nach den Unverfallbarkeitsregeln gemäß § 2 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19.12.1974 berechnet.
(2) Die Anwendung der Unverfallbarkeitsregelungen des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung erfolgt nicht in den Fällen, in denen der/die Anspruchsberechtigte am [30.04.1984] bereits einen 30 %igen oder höheren Ruhegehaltsanspruch erworben hat. Dagegen kommt die Regelung gemäß Abschnitt III Absatz (6) dieser Leistungsrichtlinien auch in diesen Fällen zur Anwendung.
…”
Dem Ausscheiden des Klägers zum 31. Oktober 1999 lag ein Aufhebungsvertrag vom 14. April 1999 zugrunde. In ihm verpflichtete sich die DAG, dem Kläger mit Bezug seiner gesetzlichen Altersrente ab 1. November 1999 Ruhegehalt nach “Maßgabe der ‘Richtlinien für die Gewährung von Leistungen der Ruhegehaltskasse der DAG e.V.’ in der von der Mitgliederversammlung am 07. Juni 1996 beschlossenen Fassung” zu gewähren. Des Weiteren wurde dem Kläger “in Abweichung von Abschnitt III Ziff. 5 der Leistungsrichtlinien … anstelle des Grundbetrages von 7,5 % ein Grundbetrag von 17,5 % des während der vorausgegangenen 5 Dienstjahre durchschnittlich bezogenen Bruttomonatsgehaltes” zugesagt und auf eine ratierliche Kürzung des Ruhegehalts nach § 2 BetrAVG sowie auf einen versicherungsmathematischen Abschlag wegen des Bezuges von Ruhegehalt vor Vollendung des 65. Lebensjahres verzichtet.
Das Durchschnittsgehalt des Klägers während der letzten fünf Jahre vor Ausscheiden betrug 8.123,95 DM. Dementsprechend errechnete die Ruhegehaltskasse der DAG e.V. unter Berücksichtigung des auf 17,5 % erhöhten Grundbetrages zunächst ein 40 %iges betriebliches Ruhegeld mit 3.249,58 DM. Die Berücksichtigung der gesetzlichen Altersrente und die Gesamtversorgungsobergrenze von 70 % seines durchschnittlichen monatlichen Bruttogehalts im letzten Beschäftigungsjahr führten schließlich zu einem Auszahlungsbetrag von 2.527,50 DM pro Monat, welcher in den Folgejahren bis 2002 jährlich erhöht wurde.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, für die Berechnung seiner Betriebsrente seien die RL 75 maßgeblich, da die RL 82 diese aus Gründen des formellen und materiellen Rechts nicht wirksam hätten ablösen können. Dies sei bei Abschluss des Aufhebungsvertrages übersehen worden. Es gelte also eine Gesamtversorgungsobergrenze von 75 %, jedenfalls für die bis zum 30. April 1984 nach den RL 75 erworbenen Rentenanwartschaften. Eine anteilige Berechnung gemäß den Beschäftigungszeiten vor und nach dem Ablösungsstichtag führe zu einer Versorgungsobergrenze von 73,0725 %. Denn selbst nach den RL 82 kämen für Beschäftigungszeiten bis zum 30. April 1984 auf Grund der Übergangsregelung die RL 75 und damit auch die ursprüngliche Obergrenze von 75 % zur Anwendung.
Der Kläger hat von den Beklagten als Gesamtschuldner für die Zeit ab 1. November 1999 die Zahlung der sich monatlich daraus ergebenden Mehrbeträge verlangt.
Die Beklagten haben die Abweisung der Klage beantragt. Weder im Aufhebungsvertrag noch sonst sei die Anwendung der Gesamtversorgungsobergrenze der RL 82 ausgeschlossen worden. Ihre Absenkung auf 70 % durch die RL 82 sei wirksam, da sie dem Abbau einer planwidrigen Überversorgung gedient habe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers war teilweise erfolgreich. Dabei ist das Landesarbeitsgericht von einer Gesamtversorgungsobergrenze von 73,06256 % ausgegangen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision streben die Beklagten die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils an.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts gilt hinsichtlich der Betriebsrente des Klägers einheitlich die Gesamtversorgungsobergrenze von 70 %. Das ergibt sich aus VI Abs. 2 iVm. III Abs. 6 RL 82.
I. Nach ihrem Stiftungszweck hat die Beklagte zu 2) die Verpflichtung der Ruhegehaltskasse der DAG e.V. aus den Versorgungszusagen nach deren Richtlinien übernommen (§ 2 Abs. 1 Buchst. a der Satzung der Beklagten zu 2)). Soweit Rechtsansprüche von der Unterstützungskasse ausdrücklich ausgeschlossen wurden, steht den Arbeitnehmern gleichwohl ein Anspruch auf die zugesagte Leistung zu, weil der Ausschluss als ein an sachliche Gründe gebundenes Widerrufsrecht zu verstehen ist (BAG 18. Juni 1996 – 3 AZR 275/95 –, zu B I der Gründe; BVerfG 19. Oktober 1983 – 2 BvR 298/81 – BVerfGE 65, 196; 14. Januar 1987 – 1 BvR 1052/79 – BVerfGE 74, 129).
Als Rechtsnachfolgerin der Arbeitgeberin des Klägers kann grundsätzlich auch die Beklagte zu 1) in Anspruch genommen werden, wenn die Versorgungsleistungen der Unterstützungskasse nicht den Verpflichtungen aus dem arbeitsvertraglichen Grundverhältnis entsprechen (BAG 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 – BAGE 79, 236, zu B III 2b bb und cc der Gründe; vgl. auch § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG).
II. Das Landesarbeitsgericht hat rechtskräftig erkannt, dass dem Kläger von der DAG weder durch den Aufhebungsvertrag vom 14. April 1999 noch im Rahmen der diesbezüglichen Vorverhandlungen eine zusätzliche und von den Richtlinien der Unterstützungskasse unabhängige betriebliche Altersversorgung in Höhe von weiteren 10 % des durchschnittlichen Bruttoeinkommens der letzten fünf Beschäftigungsjahre zugesagt worden ist. Der im Aufhebungsvertrag erhöhte Grundbetrag von 17,5 % bezieht sich wie die übrigen Vereinbarungen zu seiner betrieblichen Altersversorgung auf die RL 82 der Ruhegehaltskasse der DAG e.V. Im Übrigen müssen Arbeitnehmer, denen eine Altersversorgung über eine Unterstützungskasse zugesagt wird, auf Grund des Ausschlusses des Rechtsanspruchs stets mit einer Abänderung der Versorgungsordnung rechnen. Es ist daher regelmäßig von einer dynamischen Verweisung auf die Richtlinien der Unterstützungskasse auszugehen (BAG 10. September 2002 – 3 AZR 635/01 – AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 37 = EzA BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 34, zu I 1b der Gründe).
III. Für die Berechnung der Betriebsrente des Klägers gilt einheitlich die Gesamtversorgungsobergrenze von 70 % nach III Abs. 6 RL 82.
1. Die Herabsetzung der Gesamtversorgungsobergrenze von 75 % auf 70 % ist nicht zu beanstanden. Die Obergrenze von 75 % hatte, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, zu einer planwidrigen Überversorgung und damit zu einer Störung der Geschäftsgrundlage (vgl. § 313 BGB) geführt. Das berechtigte zu der vorgenommenen Herabsetzung auf 70 %. Dagegen wendet sich der Kläger in der Revisionsinstanz auch nicht mehr.
2. Für den Kläger gilt die Übergangsregelung VI RL 82.
a) Deren Regelungsinhalt ist durch Auslegung zu ermitteln. Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung unterliegt in vollem Umfang der revisionsgerichtlichen Überprüfung. Es handelt sich um eine typisierte Regelung für eine Vielzahl von Anwendungsfällen. Deren Auslegung hat nach objektiven, vom Einzelfall unabhängigen Kriterien zu erfolgen (BAG 17. Oktober 2000 – 3 AZR 69/99 – AP BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskassen Nr. 56 = EzA BetrAVG § 1 Nr. 71, zu B I 1 der Gründe).
b) Der Kläger hatte zum Ablösungszeitpunkt eine unverfallbare Anwartschaft erworben (§ 1 BetrAVG aF). Nach VI Abs. 1 RL 82 richtet sich der Wert dieser unverfallbaren Anwartschaft, soweit er bis zum 30. April 1984 erdient wurde, nach III Abs. 5 und 6 RL 75. Dabei handelte es sich um ein Redaktionsversehen; es sollte auf III Abs. 4 und 5 verwiesen werden (BAG 26. August 1997 – 3 AZR 282/96 –, zu B II 1a der Gründe). Die weitere Entwicklung des Rentenanspruchs richtet sich nach den RL 82. Damit wird nur auf den Grundbetrag und die Steigerungsbeträge der RL 75 verwiesen, nicht jedoch auf deren Gesamtversorgungsobergrenze, die in III Abs. 8 RL 75 geregelt war. Die Übergangsregelung in VI Abs. 1 RL 82 verweist daher gezielt nur auf bestimmte Berechnungsfaktoren, schützt hingegen nicht einen bestimmten Wert der Versorgungsobergrenze, die erst im Zeitpunkt des Rentenbezugs als Dienstzeit unabhängiger Berechnungsfaktor zur Anwendung kommt.
c) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ergibt sich die Anwendung der Gesamtversorgungsobergrenze der RL 82 aus einer systematischen Auslegung der Regelung in VI Abs. 2. Deren Satz 1 schließt die Anwendung der Unverfallbarkeitsregeln des Betriebsrentengesetzes in Fällen aus, in denen der Anspruchsberechtigte am 30. April 1984 bereits einen mindestens 30-prozentigen Ruhegeldanspruch erworben hat. Aus Satz 2 von VI Abs. 2 RL 82 ergibt sich, dass auch bei diesen besonders schutzwürdigen Arbeitnehmern III Abs. 6 RL 82, also die Gesamtversorgungsobergrenze von 70 % gilt. Dies muss erst Recht für Anwartschaftsinhaber gelten, die – wie der Kläger – zum Ablösungsstichtag einen Prozentsatz von weniger als 30 % erdient hatten und daher weniger schutzbedürftig waren.
Damit ist die Gesamtversorgungsobergrenze von 70 %, die die Ruhegehaltskasse der DAG der Betriebsrentenberechnung des Klägers zugrunde gelegt hat, zutreffend. Weitergehende Ansprüche hat der Kläger nicht.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Breinlinger, Schmidt, Heuser
Fundstellen
Haufe-Index 1497546 |
DB 2006, 1016 |
NZA 2006, 880 |
EzA-SD 2006, 12 |
NJOZ 2006, 2625 |