Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Zu der Frage der Rechtswirksamkeit der Zustellung eines Einspruchsbescheides an den Steuerpflichtigen selbst, wenn dieser einen Bevollmächtigten bestellt hatte.
Normenkette
VwZG § 8
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.) war in einem Einspruchsverfahren betreffend Einkommensteuer durch einen Prozeßbevollmächtigten (Helfer in Steuersachen) vertreten. Die Zustellung der Einspruchsentscheidung erfolgte nicht an den Vertreter, sondern an den Bf. persönlich, obwohl im Rubrum des Einspruchsbescheides der Vertreter namentlich aufgeführt war.
Streitig ist, ob vorliegend die Zustellung an den Steuerpflichtigen selbst, statt an dessen Bevollmächtigten rechtswirksam wurde oder nicht (§ 8 des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG - vom 3. Juli 1952, Bundesgesetzblatt 1952 Teil I S. 379).
Entscheidungsgründe
Die Vorinstanz hat die Rechtswirksamkeit der Zustellung bejaht. Der Bf. wendet sich in der Rechtsbeschwerde (Rb.) hiergegen. Er hat Erfolg.
Der Bf. hält die Anwendungsmöglichkeit der Vorschriften des VwZG a. a. O. für Akte der Verwaltung der im § 1 a. a. O. genannten Behörden, nicht aber für Einspruchsentscheidungen der Finanzämter für gegeben. Diese Ansicht geht fehl. § 1 a. a. O. gilt auch für Einspruchsbescheide. Dies ergibt zudem noch eindeutig die Vorschrift des § 17 a. a. O. im Abschnitt V "Sonderarten der Zustellung". Sie spricht von der Zustellung von Rechtsmittelentscheidungen, die im Besteuerungsverfahren ergehen. Die Einspruchsentscheidung ist eine solche Rechtsmittelentscheidung. Sie ergeht als ein Teil des Berufungsverfahrens (§§ 229, 259 ff. der Reichsabgabenordnung - AO -) im Besteuerungsverfahren. Da für diese Sonderarten der Zustellung die gemeinsamen Vorschriften für sämtliche Zustellungsarten, also auch der hier interessierende § 8 a. a. O. gelten, wird die Auffassung, daß das VwZG auch für die Zustellung von Einspruchbescheiden gilt, noch bestätigt.
Weiter verweist der Bf. auf § 8 a. a. O. Diese Vorschrift, so führt er aus, sehe vor, daß Zustellungen an die Vertreter gerichtet werden können. Sie sei eine Kannvorschrift. Das Gesetz lasse demnach im einzelnen Fall die Wahl zwischen zwei verschiedenen Möglichkeiten des Handelns. Da nach ständiger Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs dem Bevollmächtigten zuzustellen sei (vgl. hierzu Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI 685/38 vom 2. November 1938, Reichssteuerblatt 1938 S. 1084), sei das Ermessen der Behörde insoweit eingeschränkt, als dieser Kannvorschrift nur durch Zustellungen an den Bevollmächtigten Genüge geleistet werde. In ihrer Auswirkung sei sie daher eine Mußvorschrift. Dieses bestätige auch Nr. 10 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Verwaltungszustellungsgesetz vom 3. Oktober 1952 (veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 195 S. 1 am 8. Oktober 1952, Bundessteuerblatt - BStBl. - 1952 Teil I S. 862). Diesen Ausführungen des Bf. kann nicht gefolgt werden. Da sich die Rechtslage durch die Vorschriften des VwZG geändert hat, kann insoweit auf die frühere Rechtsprechung nicht mehr zurückgegriffen werden. Im Gegensatz zu der Darlegung des Bf. tragen auch die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften dieser neuen Rechtslage Rechnung. Sie begnügen sich hinsichtlich des § 8 VwZG mit dem Hinweis, auf den sich auch der Bf. bezieht, nämlich daß die Behörde, wenn bei einem anhängigen Rechtsstreit ein Prozeßbevollmächtigter benannt worden sei, darauf zu achten haben werde, daß die Zustellung an den Bevollmächtigten vorgenommen wird.
Die Entscheidung, ob an den Steuerpflichtigen oder an seinen Bevollmächtigten zuzustellen ist, ist, wie dargelegt, und auch von dem Bf. nicht bestritten wird, in das Ermessen der in Frage stehenden Behörde gestellt. Die Steuergerichte haben danach nur das Recht und die Pflicht zu prüfen, ob die Grenzen des Ermessens innegehalten sind (vgl. Gutachten des Bundesfinanzhofs Gr. S. D 1/51 S vom 17. April 1951, Slg. Bd. 55 S. 277 ff., BStBl. III S. 107 ff.).
Welche Folgerungen ergeben sich nun aus diesen Grundsätzen für den Streitfall?
Dem Bevollmächtigten (Helfer in Steuersachen) ist am 13. Juni 1952 eine Vollmacht erteilt worden, den Steuerpflichtigen in seinen "wirtschaftlichen, steuerlichen und buchtechnischen Belangen vor den Behörden zu vertreten". Seit dieser Zeit wurde der Schriftwechsel über Einkommensteuerangelegenheiten von dem Finanzamt ausschließlich mit dem Helfer in Steuersachen geführt, der auch die Einkommensteuererklärung für 1951 im November 1952 unterzeichnete. Erstmalig nach der Bevollmächtigung wandte sich das Finanzamt mit der Zustellung des Einspruchsbescheides im Dezember 1952 an den Steuerpflichtigen persönlich. Es geht nicht an, daß die Behörde von ihrem Ermessen in der Weise Gebrauch macht, daß sie sich bei gleichliegenden Verhältnissen eine Zeitlang ständig an den Bevollmächtigten, dann aber - ohne ersichtlichen Grund - bei Zustellung eines Einspruchsbescheides an den Steuerpflichtigen selbst wendet. Anders würde die Rechtslage unter Umständen zu beurteilen sein, wenn sich die Abweichung von der bisherigen gleichmäßigen übung aus dargelegten Gründen rechtfertigen ließe, wenn also z. B. ersichtlich wäre, daß bei der in Frage stehenden Zustellung Gründe und Gegengründe über die Zustellung an den Vollmachtgeber oder dessen Bevollmächtigten sachlich gegeneinander abgewogen sind und die Behörde dann zu der Entschließung gelangte, es sei an den Vollmachtgeber (Steuerpflichtigen) selbst zuzustellen. Ob die Behörde zu dieser Entscheidung kommen mußte, würde nicht der steuergerichtlichen Nachprüfung unterliegen. Anhaltspunkte, aus denen sich im Streitfall die Abweichung von der bisherigen übung des Finanzamts rechtfertigen läßt, lassen die Akten nicht ersehen. Solche Gründe sind, abgesehen von dem Hinweis auf die änderung der Rechtslage durch § 8 VwZG auch von dem Finanzamt nicht dargetan. Die Zustellung an den Bf. selbst ist also rechtlich unwirksam; die Rechtsmittelfrist ist nicht in Lauf gesetzt worden. Daß der Steuerpflichtige den ihm zugestellten Einspruchsbescheid alsbald an den Bevollmächtigten weitergab, ändert die Rechtslage nicht, da die Vorschrift des § 9 Abs. 1 VwZG über Heilung von Zustellungsmängeln nicht anzuwenden ist, wenn mit der Zustellung eine Rechtsmittelfrist beginnt (§ 9 Abs. 2 a. a. O.). Das Urteil unterlag daher der Aufhebung. Der Streitfall ist nicht spruchreif. Er ist zur weiteren Klärung und Veranlassung an das Finanzgericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 407995 |
BStBl III 1954, 327 |
BFHE 1955, 305 |
BFHE 59, 305 |