Prof. Dr. Michael Preißer
Rz. 1712
Unbeschränkt steuerpflichtig ist die GmbH, wenn sie ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland hat (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG). Anknüpfungspunkte der unbeschränkten Steuerpflicht sind demnach Geschäftsleitung oder Sitz im Inland. Es genügt somit, wenn eine dieser beiden Voraussetzungen erfüllt ist. Der Inlandsbegriff (Gebiet der Bundesrepublik Deutschland inkl. Festlandsockel) ist durch das KroatienG v. 25.7.2014 (BGBl. I 1266) gem. § 1 Abs. 3 Nr. 2 KStG um deutsche Wirtschaftszonen mit EEG-Energieanlagen erweitert worden.
Rz. 1713
Der Begriff der Geschäftsleitung wird in § 10 AO als "Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung" definiert. Darunter ist der tatsächliche Ort zu verstehen, von dem aus die Kapitalgesellschaft tatsächlich ihre Geschäfte führt, also die Geschäftsführung im engeren Sinne. Es kommt demnach darauf an, wo der für die Geschäftsführung maßgebende Wille gebildet wird, d. h. der Ort, an dem die zur Vertretung berechtigten Personen die tatsächlichen, organisatorischen und rechtsgeschäftlichen Handlungen vornehmen, die der gewöhnliche Betrieb der Gesellschaft mit sich bringt (sog. Tagesgeschäfte). Hier kommt es ausschließlich auf die tatsächlichen Verhältnisse an. Nicht zum Tagesgeschäft gehören z. B. die Bestimmungen einzelner Unternehmensziele oder Maßnahmen und Entscheidungen von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung.
Rz. 1714
Die Annahme, dass eine Kapitalgesellschaft mehrere Orte der Geschäftsleitung haben kann, ist mit der gesetzlichen Definition des Begriffs "Geschäftsleitung" nicht vereinbar. Hat eine Gesellschaft dennoch mehrere Leitungszentren an verschiedenen Orten, so ist der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung dort, wo sich die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse in organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht bedeutungsvollste Stelle befindet.
Rz. 1715
Den Sitz hat die GmbH an dem Ort, der durch die Satzung (§ 4a GmbHG) bestimmt ist (§ 11 AO). Demnach ist der Ort des Sitzes der Gesellschaft durch die Gesellschafter frei wählbar. Diese Neuregelung gilt als Zugeständnis an die EuGH-Rspr. (Festschreibung der Gründungstheorie).
Da sich der Sitz einer deutschen GmbH zwingend im Inland befindet (§ 4a GmbHG), muss für die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht einer deutschen GmbH nicht mehr geprüft werden, ob sich die Geschäftsleitung im Inland befindet.
Rz. 1716
Für nach ausländischem Recht gegründete Kapitalgesellschaften setzt die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht entweder einen inländischen Sitz oder die Geschäftsleitung im Inland voraus. Dabei muss im Einzelfall geprüft werden, ob es sich bei der ausländischen Gesellschaft um eine der in § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG genannten Kapitalgesellschaft vergleichbare Rechtsform handelt (sog. (Rechts-) Typenvergleich). Es ist demnach festzustellen, ob die ausländische Gesellschaft nach ihrem Gesellschaftsvertrag und dem ausländischen Gesellschaftsrecht mit der rechtlichen Struktur und wirtschaftlichen Position einer deutschen Kapitalgesellschaft vergleichbar ist. Folgende Beurteilungskriterien können im Rahmen eines Typenvergleichs für die Einordnung als Kapitalgesellschaft herangezogen werden:
- Zivilrechtliche Rechtsfähigkeit der ausländischen Gesellschaft nach ausländischem Recht;
- Vorliegen einer Haftungsbeschränkung aller Anteilsinhaber;
- Freie Übertragbarkeit der Anteile;
- Fremdorganschaft (d. h. die Führung der Geschäfte erfolgt durch Personen, die nicht zugleich Eigentümer oder Gesellschafter sind).
Rz. 1717
Besonderheiten ergeben sich für nach ausländischem Recht gegründete KapG, die den Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung ins Inland verlegt haben. Da eine KapG erst durch Eintragung in das Handelsregister entsteht, wobei gewisse Normativbestimmungen einzuhalten sind, war die persönliche Steuerpflicht von nach ausländischem Recht gegründeten KapG nach früher h. M. nicht bereits nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG gegeben. Die KapG galt wegen der in das KSt-Recht übernommenen Sitztheorie in Deutschland nicht als rechtsfähig. Die unbeschränkte KSt-Pflicht solcher KapG ergab sich i. d. R. aus § 1 Abs. 1 Nr. 5, § 3 Abs. 1 KStG, wenn sie nach diesen Kriterien einer Körperschaft entsprechen. Aus der EuGH-Rspr. (Überseering, EuZW 2002, 754, Inspire-Art, DB 2003, 2219), die im Ergebnis die Sitztheorie abgelehnt und der Gründungstheorie im Europäischen Recht zum Durchbruch verholfen hat, lassen sich zu der Rechtsfähigkeit bzw. Eintragungsfähigkeit konkrete Rechtsfolgen ableiten: Grenzüberschreitende Sitzverlegungen und Verschmelzungen werden damit leichter ermöglicht. Mit der Gründungstheorie ist es EU-Kapitalgesellschaften (aus Staaten mit Geltung der Gründungstheorie) – unter Beibehaltung ihrer Identität – erlaubt, ihren Verwaltungssitz ins EU-Ausland (z. B. nach Deutschland) zu verlegen.
Rz. 1718
Von besonderer Bedeutung ist (nach dem Brexit: war) in diesem Zusammenhang die "Limited" englischen Rechts. Sehr intensiv geht die OFD Hannover (Verfügung v. 15.4.2005, FR 2006, S. 193) auf die z...