Rz. 127

Im Hauptverhandlungstermin gilt – anders als im Beschlussverfahren – nicht mehr das Verschlechterungsverbot. Gem. § 81 Abs. 1 OWiG kann die vorgeworfene Tat nach vorherigem Hinweis auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes auch als Straftat geahndet werden. Insbesondere bei Abstandsverstößen am Rande zur Nötigung ist hieran zu denken.

 

Verfahrenskosten:

Die Kosten des Verfahrens spielen zwar eine untergeordnete Rolle, sind aber zumindest für selbstzahlende Mandanten dennoch relevant. Nach dem 2. KostRMoG wurde die bislang gebührenfreie Rücknahme des Einspruchs vor der Hauptverhandlung abgeschafft.[262] Nunmehr gilt:

Der Eingang der Akten bei Gericht löst Gebühren aus.
Die Rücknahme des Einspruchs vor Beginn der Hauptverhandlung kostet gem. Nr. 4111 KV RVG eine 0,25 Gebühr, jedoch mindestens 17,00 EUR.
Die Rücknahme des Einspruchs im Termin löst eine 0,5 Gebühr aus, gem. Nr. 4112 KV GKG.
Das Urteil nach Hauptverhandlung oder der Beschluss im Beschlusswege kostet 10 % der Geldbuße, jedoch mindestens 55,00 EUR gem. Nr. 4110 KV GKG.

Bei Deckungsschutz der Rechtsschutzversicherung sollte nicht vergessen werden, dass die Verwaltungsgebühren und Auslagen (i.d.R. 28,50 EUR) ebenfalls von dieser übernommen werden. Als "Trostpflaster" bei Einspruchsrücknahme kann der Mandantschaft zumindest dieser Anteil erspart werden. Hier empfiehlt es sich, den Forderungsbetrag als Ganzes vorzustrecken und anteilig beim Versicherer geltend zu machen. Die Landesjustizkassen führen Teilzahlungen nicht immer zusammen und erheben Mahngebühren.

[262] BT-Drucks 17/11471, 248.

1. Grundsatz: Anwesenheitspflicht

 

Rz. 128

Der Betroffene ist grundsätzlich nach § 73 Abs. 1 OWiG zum Erscheinen in der Hauptverhandlung verpflichtet. Die Anwesenheitspflicht besteht auch, wenn der Betroffene anwaltlich vertreten ist. Hierüber ist er gem. § 74 Abs. 3 OWiG zu belehren. Die Belehrung muss durch förmliche Zustellung nachgewiesen werden, wenn sie nicht zusammen mit der Ladung erfolgt.[263]

[263] Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 74 Rn 10; KK-OWiG/Senge, 5. Aufl. 2018, § 73 Rn 12.

2. Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen

 

Rz. 129

Das Gericht muss den Betroffenen allerdings auf einen entsprechenden Antrag hin gem. § 73 Abs. 2 OWiG von der Erscheinungspflicht entbinden, wenn er erklärt, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht äußern werde, oder wenn er sich bereits zur Sache geäußert hat und die Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich erscheint. Sofern sich nach ordentlicher Abladung des Betroffenen Anhaltspunkte ergeben, welche seine Anwesenheit doch erforderlich machen, sind eine erneute Ladung und ein Neubeginn der Hauptverhandlung erforderlich.[264]

 

Rz. 130

Das Gericht kann also einen Entbindungsantrag nicht ohne Weiteres ablehnen, insbesondere hat es hierzu kein Ermessen.[265] Sofern der Betroffene also vorab seine Fahrereigenschaft eingeräumt hat und erklärt, darüber hinaus keine weiteren Angaben zu machen, ist das Gericht regelmäßig zur Abladung angehalten.[266] Die Fahrereigenschaft sollte in jedem Fall eindeutig erklärt werden, ein bloßes "Nichtbestreiten" kann ggf. als unklare Einlassung gewertet werden.[267] Von vorangegangenem Bestreiten sollte sich vorsorglich distanziert werden.[268]

 

Rz. 131

Ob die Anwesenheit des Betroffenen für wesentliche Gesichtspunkte erforderlich ist, ist im Einzelfall zu bewerten. Bloße theoretische Möglichkeiten hierfür scheiden jedenfalls aus.[269] Auch die Spekulation des Gerichts, der Betroffene werde seine Meinung in der Verhandlung ändern und doch weiter zur Sache aussagen, genügt nicht.[270] Ebenso wenig genügt die bloße Möglichkeit, dass der Polizist sich durch die Präsenz des schweigenden Betroffenen besser erinnern könne,[271] dies ist nur ausnahmsweise und mit erheblichem Begründungsaufwand möglich.[272] Für die Entscheidung, ob ein Fahrverbot verhängt werden muss, ist das Erscheinen des Betroffenen dagegen nicht in jedem Fall erforderlich.[273] Wenn eine sehr deutliche Erhöhung der Regelbuße in Betracht zu ziehen ist, können evtl. auch die wirtschaftlichen Verhältnisse zu den wesentlichen Gesichtspunkten des Sachverhalts zählen.[274] Soweit es dem Gericht darauf ankommt, kann eine Entbindung von der Erscheinungspflicht erreicht werden, wenn rechtzeitig vor dem Hauptverhandlungstermin entsprechend informiert oder die Erklärung abgegeben wird, dass man sich zu den wirtschaftlichen Verhältnissen nicht äußert.

 

Rz. 132

Nicht entbinden wird das Gericht, wenn das Erscheinungsbild des Betroffenen eine Rolle spielt, wenn es also um Identifikationsfragen – etwa aufgrund eines vorhandenen Frontfotos – geht. Bei Einräumung der Fahrerfrage geht es hier also um Bedenken, dass er tatsächlich nicht der Fahrer gewesen ist. Hierbei ist es aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit irrelevant, ob der Betroffene eine unverhältnismäßig aufwendige Anreise hat.[275] Auch wenn sich der Betroffene auf ein Augenblicksversagen o.ä. berufen will, wird seine Anwesenheit in der Regel erforderlich sein.[276] Selbiges gilt, wenn eine Exi...

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