Prof. Dr. iur. Michael Sattler, Christina Brammen
I. Muster: Verfahren nach billigem Ermessen
Rz. 13
Muster 1.7: Verfahren nach billigem Ermessen
Muster 1.7: Verfahren nach billigem Ermessen
_________________________ (Adresse)
Sehr geehrte/r Herr/Frau _________________________,
Das Amtsgericht hat (wird möglicherweise) das "Verfahren nach billigem Ermessen" angeordnet (anordnen), weil der Streitwert 600 EUR nicht übersteigt. Damit sind folgende Besonderheiten verbunden:
1. |
Eine mündliche Verhandlung ist nicht zwingend vorgeschrieben. Sie findet nur statt, wenn eine der Parteien dies beantragt. |
2. |
Zeugen können durch das Gericht schriftlich angehört werden, wenn der Richter dies für ausreichend hält. Der Richter kann für die Zeugenvernehmung auch einen Termin bestimmen. |
3. |
Das Gericht setzt den Parteien oft eine Ausschlussfrist, bis zu deren Ablauf schriftlich Stellung genommen werden kann. Überwiegend entscheidet es anschließend nach Aktenlage. Daher ist es besonders wichtig, dass alle Tatsachen und Beweismittel rechtzeitig vorgebracht werden. |
4. |
Gegen das Urteil kann keine Berufung eingelegt werden. |
5. |
Die Gerichtskosten und die Gebühren der Anwälte sind identisch mit denen im normalen Zivilprozess. Die Terminsgebühr fällt selbst dann an, wenn kein Termin stattfindet. Allerdings beträgt der Streitwert maximal 600 EUR. Das Prozesskostenrisiko stellt sich bei dem genannten Streitwert wie folgt dar:
Gerichtskosten: |
174,00 EUR |
Anwaltskosten (eigene) |
285,60 EUR (inkl. USt) |
Anwaltskosten (Gegner) |
285,60 EUR (inkl. USt) |
Gesamtbetrag |
745,20 EUR |
Eine Einigung erst im gerichtlichen Verfahren erhöht die Kosten auf beiden Seiten um 104,72 EUR. Etwaige Auslagen (Reisekosten, Zeugenauslagen etc.) sind hierbei noch nicht berücksichtigt. Die Gesamtkosten, die vom Unterlegenen zu tragen sind, übersteigen also in jedem Fall den Streitwert. Bei teilweisem Obsiegen werden die Kosten nach Quoten verteilt. |
Mit freundlichen Grüßen
_________________________
(Rechtsanwalt)
II. Erläuterungen
Rz. 14
1.
Das vereinfachte Verfahren erweist sich für die Parteien, aber auch für die Anwälte, oft als sehr unbefriedigend. Der Anwalt erhält aufgrund des geringen Streitwerts oft keine attraktive Vergütung, muss aber wegen der Ausschlussfrist besonders sorgfältig arbeiten. Die Möglichkeit, ergänzend vorzutragen, wie nach einem frühen ersten Termin oft gehandhabt, entfällt. Vor diesem Hintergrund ist es hier besonders wichtig, die Rechtslage ausgiebig geprüft zu haben und sie ausführlich darzulegen, da die Entscheidung des Gerichts in der Regel ohne vorheriges Signal und damit ohne jede Chance, das Gericht durch Argumentation von einer falschen Rechtsaufassung abzubringen, ergeht.
Hinzu kommt, dass auch noch so falsche Urteile im Hinblick auf § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht im Berufungsrechtszug korrigiert werden können. Von der Möglichkeit, auch bei Streitwerten unter 600 EUR die Berufung zuzulassen (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) wird im vereinfachten Verfahren selten Gebrauch gemacht.
Rz. 15
2.
Die Vorschrift des § 495a ZPO verlangt nicht, dass das Gericht das vereinfachte Verfahren durch Beschluss anordnet. Häufig erteilt das Gericht allerdings einen entsprechenden Hinweis. Das BVerfG hat in diesem Zusammenhang entschieden, dass ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG vorliegt, wenn das Gericht nach § 495a ZPO vorgeht, d.h. ohne mündliche Entscheidung entscheidet, ohne die Parteien zuvor darauf aufmerksam gemacht zu haben. Hierdurch werde der Partei die Chance genommen, gem. § 495a S. 2 ZPO Antrag auf mündliche Verhandlung zu stellen. Als Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs hat es das BVerfG auch angesehen, wenn das Gericht einen Antrag auf mündliche Verhandlung ignoriert. Das BVerfG ist in diesem Verfahren also quasi die Zweite Instanz.
Rz. 16
3.
Seit dem 2. KostRMoG sind Verfahren mit geringen Streitwerten zwar für die Anwälte etwas weniger unrentabel geworden. Damit unmittelbar einher geht jedoch, dass die Gesamtkosten bei Streitwerten bis 600 EUR den Streitwert übersteigen. Das führt dazu, dass selbst eine Vergleichsquote von 50 % zu einem wirtschaftlichen Nachteil bei beiden Parteien führt, jedenfalls sofern sie nicht vorsteuerabzugsberechtigt sind. Um der absehbaren Unzufriedenheit des Mandanten mit dem wirtschaftlichen Ergebnis entgegenzutreten, empfiehlt es sich, in dieser Größenordnung nur Prozesse mit überdurchschnittlich guten Erfolgsaussichten zu führen und in jedem Fall deutlich auf das Kostenrisiko hinzuweisen. Eine außergerichtliche Einigung, selbst mit ungünstiger Quote, ist hier meistens die bessere Lösung.