Rz. 162
Die Rechtsprechung zur Abgrenzung eines echten Anwaltsvertrages mit Rechtsbeistandspflicht (§ 3 BRAO) von einem Vertrag, der nicht diese typische Aufgabe, sondern eine anwaltsfremde Leistung zum Gegenstand hat, ergibt kein einheitliches Bild. Früher wurde darauf abgestellt, ob die dem Rechtsanwalt eigene Aufgabe, rechtlichen Beistand zu leisten, im Vordergrund steht. In anderen Entscheidungen wird geprüft, ob die dem Rechtsanwalt übertragene Aufgabe in nicht unwesentlichem Umfang rechtsberatender Natur ist. Dann stelle sich der zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Auftraggeber geschlossene Vertrag – unabhängig von den Vorstellungen, die sich die Parteien über dessen Rechtsnatur machen – in seiner Gesamtheit als Anwaltsvertrag dar. Keine anwaltliche Berufstätigkeit liegt nach der insoweit einheitlichen älteren Rechtsprechung vor, wenn der rechtliche Beistand bei der Durchführung des erteilten Auftrags zurücktritt, als unwesentlich erscheint und im Ergebnis keine praktisch ins Gewicht fallende Rolle spielt. Gegen eine anwaltliche Tätigkeit spreche es auch, wenn die betreffende Aufgabe i.d.R. oder mindestens in erheblichem Umfang auch von Angehörigen anderer Berufe wahrgenommen werde.
Rz. 163
Von diesen Abgrenzungskriterien hat der BGH – ohne die frühere Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben zu haben – in neueren Entscheidungen Abstand genommen. Ein Anwaltsvertrag setzt danach nicht zwingend voraus, dass die Rechtsberatung den überwiegenden Umfang oder den Schwerpunkt der gesamten Anwaltstätigkeit ausmacht. Ein echter Anwaltsvertrag kann deshalb zugleich anwaltsuntypische Aufgaben umfassen, falls diese in einem engen Zusammenhang mit der rechtlichen Beistandspflicht stehen und auch Rechtsfragen aufwerfen können. Dabei sind die Gesamtumstände des Einzelfalls zu würdigen.
Nach einem Urteil des BGH verstößt ein Anwaltsvertrag, in dem sich die Anwaltsgesellschaft zur anwaltsuntypischen Erbringung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Rohstoffeinkauf von Hackschnitzeln und Landschaftspflegeholz verpflichtet hatte, nicht deshalb gegen das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten, weil der Anwalt im Gebühreninteresse für den Mandanten nachteilige Maßnahmen treffen könnte. Dies gilt auch unter dem Gesichtspunkt, dass Ziel der Vertragsbeziehung war, die Vermittlung unterschriftsreifer Verträge zur möglichst kostengünstigen Belieferung der Beklagten zu erreichen.
Rz. 164
Kann danach nicht festgestellt werden, ob ein Anwaltsvertrag vorliegt oder nicht, ist im Zweifel anzunehmen, dass derjenige, der die Dienste eines Rechtsanwalts in Anspruch nimmt, ihn auch in dieser Eigenschaft beauftragen will, weil er erwartet, dass der Rechtsanwalt bei seiner gesamten Tätigkeit auch die rechtlichen Interessen des Auftraggebers wahrnehmen werde. Diese Auslegungsregel greift allerdings nicht ein, wenn eindeutige und zwingende Gründe entgegenstehen, insb. wenn es dem Auftraggeber nicht um die Leistung rechtlichen Beistands geht bzw. wenn die Rechtsberatung und -vertretung völlig in den Hintergrund tritt und deswegen als unwesentlich erscheint.