Rz. 194
Nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 BRAO muss ein Rechtsanwalt im gerichtlichen Verfahren die Vertretung einer Partei übernehmen, wenn er der Partei im Wege der PKH nach § 121 ZPO, § 11a ArbGG oder aufgrund anderer gesetzlicher Vorschriften zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung ihrer Rechte beigeordnet ist. Ist beim PKH-Mandat die Beiordnung unbeschränkt beantragt und bewilligt worden, muss der Rechtsanwalt die Vertretung einschließlich des Nachprüfungsverfahrens anbieten; zu einer Beschränkung des Mandats auf das Hauptsacheverfahren ist der Rechtsanwalt in diesem Fall nicht berechtigt.
Rz. 195
Eine gerichtliche Beiordnung im Wege der PKH begründet als solche noch kein Vertragsverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Partei, sondern lediglich ein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis. Der Rechtsanwalt ist aber verpflichtet, ein Angebot auf Abschluss eines Anwaltsvertrages anzunehmen. Von einem vertraglichen Mandatsverhältnis ist auszugehen, wenn der beigeordnete Rechtsanwalt im Einverständnis mit der Partei tätig wird. Nach der Beauftragung des im Wege der PKH beigeordneten Rechtsanwalts gelten haftungsrechtlich keine Besonderheiten im Verhältnis zu einem "frei" beauftragten Rechtsanwalt. Wünsche des Mandanten entbinden auch den beigeordneten Prozessbevollmächtigten nicht von seiner Pflicht, im Interesse des Mandanten von weiterem Vortrag abzusehen, wenn er ihn nach eigenverantwortlicher Prüfung nicht für erheblich oder sogar für schädlich für das Prozessziel des Mandanten hält.
Die gesetzliche Regelung in § 121 Abs. 1 bis 3 ZPO geht grds. davon aus, dass der Rechtsanwalt, dessen Beiordnung beantragt wird, der Partei seine Übernahmebereitschaft bereits erklärt hat. Darin kann eine Annahmeerklärung des Rechtsanwalts gesehen werden, die zum Abschluss eines bedingten Anwaltsvertrages geführt hat. Dieser Vertrag kann unabhängig von einer zu gewährenden PKH geschlossen sein. Der Vertrag kann aber auch die Wahrnehmung der Interessen des Auftraggebers mit dem Ziel beinhalten, ihn zunächst nur in dem Verfahren auf Gewährung von PKH zu vertreten, und i.Ü. unter der aufschiebenden Bedingung stehen, dass das Gericht den Rechtsanwälten auch tatsächlich beiordnet. Der genaue Inhalt der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen muss im Einzelfall festgestellt werden.
Rz. 196
Wenn Partei und Rechtsanwalt noch keinen Anwaltsvertrag geschlossen haben, verhält sich der beigeordnete Rechtsanwalt grds. pflichtgemäß, wenn er sich bereithält, mit der Partei einen solchen Anwaltsvertrag zu schließen, um nach seinem Zustandekommen für sie tätig zu werden. Die für den Rechtsanwalt durch die Beiordnung begründete Rechtspflicht besteht dann darin, dass er den Antrag auf Abschluss eines Anwaltsvertrages nicht ablehnen darf, und den Auftrag, sie im Prozess zu vertreten, annehmen und ausführen muss.
Rz. 197
Ausnahmsweise begründet bereits die Beiordnung als solche vorvertragliche Fürsorge-, Belehrungs- und Betreuungspflichten. Der beigeordnete Rechtsanwalt ist u.a. verpflichtet, die Partei, der er im Wege der PKH gerichtlich beigeordnet worden ist, über die notwendigen Maßnahmen und v.a. über die zu wahrenden Fristen zu belehren und so nach Kräften zu verhindern, dass seine Partei aus Rechtsunkenntnis Schaden erleidet. Ggü. einer rechtsunkundigen Partei kann der beigeordnete Rechtsanwalt verpflichtet sein, darauf hinzuweisen, dass sein Tätigwerden noch eines gesonderten Auftrags bedarf. Eine solche Hinweispflicht kann insb. bestehen, wenn eine Frist abzulaufen droht, deren Einhaltung ein alsbaldiges Handeln des Rechtsanwalts ohne weiteres Abwarten eines Parteiauftrags erfordert.
Aufgrund des Zwecks der Beiordnung, die Rechte der Partei wahrzunehmen, kann der beigeordnete Rechtsanwalt in Ausnahmefällen sogar verpflichtet sein, von sich aus die Rechte der Partei wahrzunehmen und das zur Wahrung einer Frist Erforderliche zu veranlassen, bevor er in vertragliche Beziehungen zur Partei tritt. Eine solche Verpflichtung des Rechtsanwalts entfällt jedoch, wenn die gebotenen Handlungen nicht ohne eine Instruktion oder Mitwirkung der Partei vorgenommen werden können. Das kann der Fall sein, wenn der beigeordnete Rechtsanwalt den Gerichtsakten des Prozesskostenhilfeverfahrens nicht die erforderlichen Angaben entnehmen kann, um die objektiv gebotenen Maßnahmen ergreifen zu können. Dann ist es Sache der Partei, die in erster Linie selbst für die Wahrnehmung ihrer Interessen zu sorgen hat, mit dem beigeordneten Rechtsanwalt unverzüglich Kontakt aufzunehmen, diesen zu beauftragen und ihr Rechtsschutzbegehren zu erläutern.
Rz. 198
Solange Partei und beigeordneter Rechtsanwalt noch keinen umfassenden Anwaltsvertrag geschlossen haben, richtet sich das Handeln des Rechtsanwalts für die Partei nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag (vgl. Rdn 243 ff.), während er nach außen als Vertreter ohne Vertretungsmacht erscheint. Die Rechtslage weicht insoweit von derjenigen ab, wenn Parte...