Rz. 294
Wenn die Voraussetzungen einer Unterbevollmächtigung vorliegen, kommt auch ein Vertrag zwischen dem Mandanten und dem Rechtsanwalt (Unterbevollmächtigten), der von dem anwaltlichen Hauptbevollmächtigten im Namen des Mandanten eingeschaltet worden ist, zustande. Der Hauptbevollmächtigte und der Unterbevollmächtigte haben in diesem Fall miteinander keinen Vertrag geschlossen.
Rz. 295
Der Unterbevollmächtigte, der namens des Auftraggebers eingeschaltet ist, handelt dann nicht als Vertreter oder in Erfüllung einer Verbindlichkeit des Hauptbevollmächtigten. Eine Verschuldenszurechnung nach § 278 BGB scheidet deshalb aus. Erteilt ein nicht postulationsfähiger Rechtsanwalt einem postulationsfähigen Rechtsanwalt Untervollmacht zur mündlichen Verhandlung, so handelt der Unterbevollmächtigte als Vertreter der Partei und nicht des Hauptbevollmächtigten.
Rz. 296
Im Schrifttum werden die Rechtsfolgen einer wirksamen Unterbevollmächtigung vielfach als Problem der erlaubten Substitution gemäß oder analog § 664 Abs. 1 Satz 2 BGB behandelt. Diese Vorschrift findet wegen des eindeutigen Wortlauts des § 675 Abs. 1 BGB, der § 664 BGB von Geschäftsbesorgungsverträgen ausdrücklich ausnimmt, weder unmittelbare noch – mangels einer Regelungslücke – analoge Anwendung (vgl. Rdn 360 ff.). I.Ü. besteht kein Anlass, § 664 Abs. 1 Satz 2 BGB entsprechend anzuwenden. Zur Ermittlung der Sorgfaltspflichten des mit der Auswahl des Unterbevollmächtigten beauftragten Rechtsanwalts lassen sich durch Auslegung des Anwaltsvertrages mit dem Hauptbevollmächtigten sachgerechte Ergebnisse ohne dogmatische Systembrüche erzielen.
Rz. 297
Wie bei der Aufgabenteilung zwischen Verkehrs- und Prozessanwalt sind aufgrund der Verträge mit dem Auftraggeber die Sorgfaltspflichten der beteiligten Rechtsanwälte zu ermitteln. Die für Verkehrs- und Prozessanwalt aufgestellten Grundsätze (vgl. Rdn 252 ff.) gelten entsprechend.
Rz. 298
Zu den Sorgfaltspflichten des Hauptbevollmächtigten zählen in erster Linie die ordnungsgemäße Erstellung der Schriftsätze sowie die Fristenkontrolle. Der Hauptbevollmächtigte ist ggü. dem Auftraggeber auch verpflichtet, den Unterbevollmächtigten sorgfältig auszuwählen, zu unterrichten und zu überwachen. Der Hauptbevollmächtigte handelt pflichtwidrig, wenn er einen Unterbevollmächtigten trotz entgegenstehender Weisung des Auftraggebers einschaltet. Der Prozessbevollmächtigte ist aufgrund seiner Prozessvollmacht nicht befugt, seine Vollmacht an einen anderen so weiterzugeben, dass dieser neben ihm die Vertretung für den Prozess als Ganzes übernimmt.
Rz. 299
Der Unterbevollmächtigte hat nur einen eingeschränkten Pflichtenkreis. Dieser ist im konkreten Einzelfall anhand der durch den Hauptbevollmächtigten übermittelten Weisung des Auftraggebers und des dem Unterbevollmächtigten eingeräumten Spielraums zu ermitteln. In jedem Fall zählt dazu die ordnungs- und weisungsgemäße Wahrnehmung des Gerichtstermins, für den die Untervollmacht erteilt worden ist. Es ist nachlässig und mit den Pflichten eines Rechtsanwalts nicht zu vereinbaren, wenn dieser eine Rechtssache streitig verhandelt, ohne sie überhaupt zu kennen. Im Anschluss an den wahrgenommenen Termin hat der Unterbevollmächtigte unverzüglich den Hauptbevollmächtigten über den Verlauf vollständig zu informieren sowie überlassene Handakten zurückzureichen.
Rz. 300
Die zur Aufgabenteilung von Prozess- und Verkehrsanwalt entwickelten Grundsätze (vgl. Rdn 252 ff.) lassen sich auf eine mögliche gesamtschuldnerische Haftung von Haupt- und Unterbevollmächtigtem und einen etwaigen Ausgleich im Innenverhältnis übertragen. Haupt- und Unterbevollmächtigter haften z.B. dann als Gesamtschuldner, wenn der Hauptbevollmächtigte den Fall ohne die Handakten und/oder ohne ausreichende Weisung dem Unterbevollmächtigten gibt und dieser die Unterbevollmächtigung gleichwohl annimmt und in der Sache auftritt.