Rz. 97
Eine Kündigung zur Unzeit liegt vor, wenn der Mandant sich notwendige Dienste eines anderen Rechtsanwalts nach Zugang der Kündigung nicht beschaffen kann. Dabei kommt es allerdings nicht darauf an, ob dem Mandanten dies in gleicher Güte und zu gleichen Bedingungen möglich ist. Maßgebend dafür, ob eine Kündigung zur Unzeit erfolgt, ist nicht der Zeitpunkt der Kündigungserklärung, sondern der der tatsächlichen Beendigung des Auftrags. Ob eine Kündigung zur Unzeit ausgesprochen worden ist, hängt von den Umständen des Falls ab. Um eine Kündigung zur Unzeit zu vermeiden, trifft den Rechtsanwalt bei einer Kündigung nach §§ 626, 627 BGB die Obliegenheit, alles zu unterlassen bzw. alles Gebotene zu unternehmen, um unabwendbare Nachteile für den Auftraggeber abzuwenden.
Rz. 98
Vor einer Mandatsniederlegung während eines anhängigen Verfahrens muss ein Rechtsanwalt den Verfahrensgegenstand anhand seiner Akte überprüfen und erforderliche fristwahrende Maßnahmen, etwa die Einlegung von Rechtsmitteln, noch veranlassen. Es kann auch eine Obliegenheit des Rechtsanwalts bestehen, eine gebotene Fristverlängerung zu beantragen und zu überwachen, ob diese auch gewährt worden ist, bevor er das Mandat kündigt. Der Rechtsanwalt kann ferner gehalten sein, einen Termin für den Mandanten wahrzunehmen, wenn er sich nicht dem Vorwurf ausgesetzt sehen will, das Mandat zur Unzeit niedergelegt zu haben. Notfalls muss der Rechtsanwalt nach einer Niederlegung des Mandats von den ihm nach § 87 Abs. 2 ZPO zustehenden Rechten Gebrauch machen.
Rz. 99
Der BGH hat einen Fall entschieden, in dem der Berufungsanwalt das Mandat niedergelegt hatte, weil der Mandant einer schriftlichen Aufforderung, bei ihm wegen der Berufungsbegründung vorzusprechen, keine Folge geleistet hatte. Der Rechtsanwalt hatte daraufhin keinen Antrag auf Fristverlängerung gestellt. Nach Ansicht des BGH war dem Auftraggeber eine Fristversäumung des Rechtsanwalts nach §§ 233, 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Für § 627 Abs. 2 BGB lässt sich daraus ableiten, dass in einem solchen Fall jedenfalls auch eine Kündigung zur Unzeit vorliegt.
Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass eine Niederlegung eines Mandats zur Unzeit vorliegen kann, wenn der Rechtsanwalt dem Mandanten nicht zugleich mitteilt, dass in Kürze der Ablauf der Berufungs- oder Berufungsbegründungsfrist droht. Beabsichtigt der Rechtsanwalt, das Mandat zum Ablauf einer gesetzlichen oder richterlichen Frist niederzulegen, muss er zunächst zugunsten des Mandanten eine Fristverlängerung beantragen, um diesem zu ermöglichen, noch einen anderen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen. Die Verpflichtung entfällt danach nur ausnahmsweise, wenn dem Mandanten ein schweres eigenes Fehlverhalten vorzuwerfen ist. Dies ist nach Ansicht des OLG Düsseldorf nicht bereits dann der Fall, wenn der Mandant einen Kostenvorschuss nicht rechtzeitig zahlt.
Rz. 100
Zu einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO hat der BGH ausgeführt, dass die Kündigung eines Anwaltsvertrages durch den Prozessbevollmächtigten während bereits angelaufener Frist zur Begründung eines Rechtsmittels nicht schuldhaft erfolgt, wenn der Rechtsanwalt damit rechnen konnte, dass der Mandant bis zum Ablauf der Frist genügend Zeit und Gelegenheit zur Beauftragung eines anderen Anwalts haben werde.
Rz. 101
Das OLG Karlsruhe hat ausgeführt, dass eine Kündigung zur Unzeit nicht vorliege, wenn der Prozessbevollmächtigte im Revisionsverfahren das Mandat zwar während des Laufs der Revisionsbegründungsfrist niederlege, durch die Beantragung einer (auch gewährten) Fristverlängerung aber gleichzeitig dafür Sorge getragen habe, dass sein Mandant noch rechtzeitig einen anderen Anwalt beauftragen und dieser die erforderlichen Maßnahmen fristgerecht einleiten könne. Dabei hat das Gericht offengelassen, ob eine Kündigung zur Unzeit vorliegt, wenn der Nachfolger des kündigenden Rechtsanwalts wegen einer kurzfristigen Beauftragung nicht vollständig und umfassend informiert werden kann oder wenn sich der Zeitdruck in anderer Weise auf die Qualität der Revisionsbegründung auswirkt. Dieser Gesichtspunkt wäre aber nicht tragfähig, weil die Verantwortung für die ordnungsgemäße Erledigung des Auftrags auf den nachfolgenden Rechtsanwalt übergegangen ist.
Rz. 102
Eine Niederlegung zur Unzeit wurde angenommen, bei einem Anwalt, der das Mandat nur unter der Voraussetzung übernehmen wollte, dass die Berufungsbegründungsfrist (mindestens) um einen weiteren Monat verlängert werde. Zum Zeitpunkt als ihm die Ablehnung der Fristverlängerung zugestellt wurde, wusste er damit, dass er das Mandat nicht werde zu Ende führen können, hätte also schon zu diesem Zeitpunkt die erforderlichen Konsequenzen ziehen und sogleich entscheiden müssen, ob er doch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Berufung begründet oder ob er das Mandat niederlegt. Dann hätte dem Antragsteller die volle Wiedereinsetzungsfrist zur Verfügu...