Rz. 232
So muss der Rechtsanwalt seinen früheren Auftraggeber u.U. weiterhin über laufende prozessuale Fristen belehren, deren Versäumung für diesen nachteilige Folgen haben kann. Der Rechtsanwalt muss den früheren Auftraggeber dann aufklären, welche notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und welche Umstände zu beachten sind. Der Rechtsanwalt kann auch zu einer Belehrung verpflichtet sein, dass nur ein anderer Rechtsanwalt eine nötige Prozesshandlung rechtswirksam vornehmen kann. Der Rechtsanwalt, der beabsichtigt, das ihm erteilte Mandat nach Einlegung der Berufung niederzulegen, muss seinem Mandanten mitteilen, dass in Kürze der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist droht. Beabsichtigt der Rechtsanwalt zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist das Mandat niederzulegen, so muss er zunächst zugunsten des Mandanten eine Fristverlängerung beantragen, um diesem zumindest zu ermöglichen, noch rechtzeitig einen anderen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen.
Rz. 233
Gleichermaßen besteht eine nachvertragliche Verpflichtung des Rechtsanwalts, der das Mandat nach Rechtsmitteleinlegung niedergelegt hatte, ggü. seiner Partei vor Ablauf der Begründungsfrist unzweifelhaft zum Ausdruck zu bringen, dass er mit der Einlegung des Rechtsmittels seine Tätigkeit als beendet ansehe und es ablehne, die Einhaltung der Frist zur Begründung des Rechtsmittels weiter zu überwachen. Er muss dann auch darüber belehren, dass mit der Einlegung des Rechtsmittels die Frist zur Begründung dieses Rechtsmittels zu laufen begonnen hat und der Fristlauf auch durch einen etwa noch nicht beschiedenen Antrag auf Gewährung von PKH nicht gehemmt werde. Der Rechtsanwalt hatte während eines schwebenden Verfahrens auf Gewährung von PKH im Auftrag seines Mandanten vorsorglich ein Rechtsmittel eingelegt, die Begründung des Rechtsmittels jedoch von einer Regelung der Honorarfrage, insb. von einer Gewährung von PKH abhängig gemacht. Deshalb war der Anwaltsvertrag auf die Einlegung des Rechtsmittels beschränkt.
Ohne allgemein festzulegen, in welchem Umfang ein Anwalt auch ohne Auftrag seinen Mandanten über die Aussichten eines Rechtsmittels aufklären muss, nimmt der BGH eine Belehrungspflicht hinsichtlich der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels jedenfalls bei einer ohne Weiteres erkennbaren Divergenz zur höchstrichterlichen Rechtsprechung an. Eine entsprechende Pflicht besteht in den Fällen, in denen der Fehler des Urteils darauf beruht, dass der Rechtsanwalt nicht sachgerecht gearbeitet, das unrichtige Urteil also mitverschuldet hat.
Rz. 234
Die nachvertragliche Verpflichtung eines Rechtsanwalts, seinen früheren Auftraggeber u.U. über laufende prozessuale Fristen zu belehren, deren Versäumung für diesen nachteilige Folgen haben kann, bezieht sich in gleicher Weise auf vorprozessuale Fristen in einem behördlichen Rechtsmittelverfahren. Hat ein Rechtsanwalt für einen Mandanten eine Steuererklärung abgegeben, ist er zwar nicht verpflichtet, ein sich anschließendes Einspruchs- oder Abänderungsverfahren ebenfalls zu betreiben. Wendet sich der (frühere) Mandant aber wegen eines solchen Nachfolgebescheids zur früheren Steuererklärung an diesen Rechtsanwalt, so ist dieser aufgrund des nachvertraglichen Sorgfaltsverhältnisses gem. § 242 BGB verpflichtet, dem – früheren – Mandanten die Ablehnung unverzüglich mitzuteilen. Ist die Angelegenheit, wie bei Einsprüchen gegen Steuerbescheide, offensichtlich fristgebunden, hat der Rechtsanwalt möglichst so beschleunigt zu antworten, dass die laufende Frist nicht in vermeidbarer Weise versäumt wird, und hierbei auf den drohenden Fristablauf hinzuweisen. Im Hinblick auf das frühere Vertragsverhältnis kommt es nicht auf die Voraussetzungen des § 44 Satz 2 BRAO an.
Der Rechtsanwalt muss jedenfalls auf eine ihm erkennbare Gefahr, die dem Auftraggeber bei Beendigung des Mandats insb. durch den Ablauf einer Frist droht, jedenfalls dann hinweisen, wenn der Rechtsanwalt die Gefahr selbst mit verursacht hat. Ergibt sich aus einem deutlichen Hinweis des gegnerischen Anwalts, dass die fristgebundene Klagebegründung nicht rechtzeitig eingereicht sei, kann dies Kenntnis von einer Fristversäumnis begründen, deren Versäumung der Anwalt zu vertreten hat, wenn er auf den Hinweis keine Nachforschungen und weiteren Maßnahmen einleitet. Dies entspricht dem Gebot des sichersten Weges. Der Anwalt darf bei einer offenen Rechtslage nicht darauf vertrauen, das Gericht werde die seinem Mandanten günstigste Rechtslage zugrunde legen. Vielmehr muss er damit rechnen, dass sich die erkennenden Gerichte der für seinen Mandanten ungünstigen Meinung anschließen könnten. Hat ein Rechtsanwalt eine zu einem bestimmten Zeitpunkt gebotene Maßnahme unterlassen, durch die dem Mandanten später ein Schaden entsteht, ist dieser Schaden dem Rechtsanwalt grds. selbst dann zuzurechnen, wenn der Mandant das Auftragsverhältnis zu einem Zeitpunkt gekündigt hat, als der Schaden noch vermieden werden konnte.