Rz. 107
Eine Kündigung des Auftraggebers ist berechtigt, wenn der Rechtsanwalt durch vertragswidriges Verhalten das Vertrauensverhältnis ernstlich erschüttert oder zerstört hat und dem Auftraggeber ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zuzumuten ist, weil er befürchten muss, dass der Rechtsanwalt seine Interessen nicht mehr sachgerecht wahrnehmen werde. Diese Definition verdeutlicht, dass das Merkmal vertragswidrigen Verhaltens in starkem Umfang von einer Bewertung der Verhältnisse des Einzelfalls abhängt. Daher können die zu § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB ergangenen höchstrichterlichen und obergerichtlichen Entscheidungen allenfalls eine grobe Leitlinie für andere Fälle darstellen.
Rz. 108
Der Rechtsanwalt kann sich etwa vertragswidrig verhalten, wenn er den ihm erteilten Auftrag in erheblicher Weise unsachgemäß bearbeitet. Der BGH hat ein vertragswidriges Verhalten eines Rechtsanwalts angenommen, weil dieser in einem Rechtsstreit ohne sachlichen Grund und ohne Zustimmung des Auftraggebers zu dessen Nachteil eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtung abgegeben und einen Schriftsatz verfasst hatte, der mit dem bisherigen Vorbringen nicht abgestimmt war. Keine zur Kündigung berechtigende Vertragswidrigkeit liegt vor, wenn Vorarbeiten eines Anwalts noch nicht zu einem Arbeitsergebnis geführt haben, das an den Mandanten oder einen Dritten herausgegeben werden sollte; in diesem Fall ist eine Kündigung wegen Pflichtwidrigkeit nicht begründet, auch wenn die Vorarbeiten des Anwalts Fehler aufweisen. Hierauf kommt es nicht an, weil das Arbeitsergebnis des Anwalts noch nicht zur Herausgabe an den Mandanten bestimmt war.
Rz. 109
Auch eine Interessenkollision des beauftragten Rechtsanwalts oder andere Umstände, die Zweifel an dessen Zuverlässigkeit oder Unabhängigkeit begründen, können vertragswidriges Verhalten i.S.d. § 628 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BGB darstellen. So hat der BGH ausgeführt, dass der beauftragte Rechtsanwalt sich vertragswidrig verhält, wenn er in einer anderen Sache die berufliche Qualifikation seines Mandanten angreift, nachdem der Rechtsanwalt den Auftraggeber über die Tragweite eines Interessenkonflikts nicht ausreichend aufgeklärt hatte. Dies gilt auch, wenn der Auftraggeber zuvor darin eingewilligt hat, dass der Rechtsanwalt in einer anderen Sache gleichzeitig die Interessen eines Dritten gegen ihn wahrnimmt. Eine Einwilligung des Auftraggebers, dass sein Rechtsanwalt Interessen eines Dritten gegen ihn – den Mandanten – wahrnimmt, ist nur dann rechtlich beachtlich, wenn der Auftraggeber seine Zustimmung in voller Kenntnis der dafür maßgebenden Umstände erteilt hat. Der Rechtsanwalt muss den Mandanten dann u.a. auch darauf hinweisen, mit welchen Angriffen gegen seine berufliche Tätigkeit oder seine Person er rechnen muss. Wenn der Rechtsanwalt dieser Aufklärungspflicht nicht genügt, verstößt er gegen seine Pflicht, alles zu unterlassen, was das Vertrauensverhältnis zu seinem Mandanten beeinträchtigen kann. Hat der Rechtsanwalt es abgelehnt den Mandanten vor Gericht zu vertreten, weil eine andere Mandantin der Kanzlei dies von ihm verlangte und er um den Umsatz der Kanzlei fürchtete, hat er die aus dem Anwaltsvertrag folgende Verpflichtung verletzt, die Interessen des Mandanten ggü. dem Gegner nach allen Seiten hin, ggf. auch gerichtlich, wahrzunehmen.
Rz. 110
In einer anderen Sache hat der BGH entschieden, dass ein Rechtsanwalt sich in vorwerfbarer Weise vertragswidrig verhält, wenn er während des Vertrages den dringenden Verdacht strafbarer Handlungen zum Nachteil anderer Auftraggeber begründet und dadurch schwerwiegende Zweifel an seiner beruflichen Zuverlässigkeit und Redlichkeit auslöst. Dies sei etwa der Fall, wenn der Rechtsanwalt in Untersuchungshaft genommen worden ist, weil er verdächtigt wird, Gelder anderer Auftraggeber veruntreut zu haben.
Rz. 111
Die Kündigung des Anwaltsvertrages durch den Auftraggeber kann auch durch vertragswidriges Verhalten des Rechtsanwalts i.S.d. § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB veranlasst sein, wenn der Rechtsanwalt bei objektiver Betrachtung den Eindruck erweckt, er gebe die Sache seines Mandanten bereits verloren und habe deshalb die geschuldeten Bemühungen eingestellt.
Rz. 112
Nach Ansicht des OLG Koblenz handelt ein Rechtsanwalt demgegenüber nicht vertragswidrig, wenn er den Klageauftrag eines von einem Rechtskundigen vertretenen Mandanten nicht sofort ausführt, sondern in einem längeren Schriftwechsel Bedenken gegen die Schlüssigkeit und Vollständigkeit des Sachvortrags äußert und dadurch die Klageerhebung um einen Monat verzögert. Im entschiedenen Fall gab der vom Mandanten den beauftragten Rechtsanwälten unterbreitete Sachverhalt Anlass zu Bedenken. Das Gericht hat auch berücksichtigt, dass der Auftraggeber darauf bestanden hatte, dass die Rechtsanwälte das Mandat ohne eine Haftungsbeschränkung übernehmen. Daher hätten die Rechtsanwälte nicht vertragswidrig gehandelt, indem sie die Voraussetzungen für eine umfassende, möglichst abgesic...