Rz. 82
Aus Gründen der Kostenersparnis gab es früher Anweisungen einiger Automobilhersteller an ihre Werkstätten, den Geschädigten über die Möglichkeit einer Mietwageninanspruchnahme oder eines Nutzungsausfallanspruchs nicht zu belehren sowie die Möglichkeit einer Beauftragung eines freien Sachverständigen oder den Anspruch auf Wertminderung nach aller Möglichkeit nicht anzusprechen, es sei denn, der geschädigte Kunde kommt von selbst darauf.
Rz. 83
Vor allem aber wurden die Werkstätten von den Herstellern angewiesen, keinen Anwalt zu vermitteln oder dem Geschädigten auch nur zu raten, zum Anwalt zu gehen. Im Gegenteil wurde von den Werkstätten sogar meist aggressiv von der Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe abgeraten, ja sogar mit Konsequenzen gedroht, wenn sie sich nicht daran halten. Das machte die enge Verflechtung von Automobilwirtschaft und Versicherern deutlich!
Rz. 84
Ganz besonders schlimm war das Prämiensystem eines Versicherers, wonach derjenige, der es erfolgreich verhindert, dass der Geschädigte einen freien Sachverständigen, einen freien Mietwagenunternehmer oder einen Anwalt beauftragt, nach Bedeutung gestaffelte Geldbeträge erhielt.
Rz. 85
Wenn dann später, nachdem der große Posten "Reparaturkosten" bezahlt wurde, Streit mit dem Versicherer über die Haftungsquote, die Höhe des Nutzungsausfalls oder das Schmerzensgeld entsteht, zieht sich die Werkstatt sofort zurück. Dann allerdings verweist sie an den Anwalt, dem dann nur noch die bereits erwähnten "schadensrechtlichen Brosamen" zur Regulierung übrig bleiben.
Rz. 86
Die Anwaltschaft sollte derartige "anregulierte Fälle" – auch solche, die der Mandant selbst meinte regulieren zu können – nach Möglichkeit unter Darlegung der Gründe nicht mehr annehmen und den Mandanten für die Zukunft auf die sofortige Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe verweisen. In den meisten Fällen ist die Übernahme eines solchen Mandates nämlich wirtschaftlich unvertretbar und ein reines Zusatzgeschäft.
Rz. 87
Die Rolle der Werkstätten hat sich aber inzwischen geändert: Auch die Hersteller haben erkannt, dass der Absatz von Neuteilen massiv zurückgegangen ist, seitdem die Versicherer durch Billigwerkstätten und unter Verwendung von Gebrauchtteilen bzw. Plagiaten reparieren lassen. Bei den Marken-Vertragswerkstätten hat man gemerkt, dass die Reparaturaufträge in großem Stil ausbleiben und massive Umsatzrückgänge zu beklagen sind. Und die Werkstätten fühlen sich von ihren Herstellern im Stich gelassen. Sie fordern vielmehr jetzt Solidarität ein. Seitdem steht wieder der Anwalt als "Freund der Werkstätten" da und wird nicht mehr so bekämpft und umgangen, wie das früher der Fall war. Nun sind zunehmend Allianzen zwischen Werkstätten und Anwälten gegründet worden im Interesse des Kunden/Geschädigten und einer sachgerechten Schadenregulierung!
Rz. 88
Soweit es vor allen die Werkstätten waren, die ständig unerlaubte Rechtsberatung betrieben und gegen das Rechtsberatungsgesetz (inzwischen RDG) verstoßen haben (siehe dazu OLG Hamm DAR 1998, 192 = MittBl 1998, 20 ff. mit Anm. von Chemnitz; BGH DAR 2000, 354; vgl. auch Chemnitz, Außergerichtliche Unfallschadenregulierung und unerlaubte Rechtsberatung, zfs 1999, 412), hat sich auch das geändert. Wenn noch vor einigen Jahren der Mandant nach dem Unfall zunächst bei der Werkstatt und erst dann beim Anwalt einen Termin erhielt, war er meistens schon "abgeworben". Ihm wurde suggeriert, sie, die Werkstatt, werde die Schadensabwicklung schnell und in unmittelbarem Kontakt zum gegnerischen Versicherer vornehmen, er, der Geschädigte, brauche auch nichts zu bezahlen, er müsse lediglich eine Sicherungsabtretungserklärung unterzeichnen und den Rest werde die Werkstatt schon (unerlaubt) besorgen.
Rz. 89
Nun jedoch haben die Werkstätten begriffen, dass sie mit derartiger Rechtsberatung bzw. Dienstleistung eine Ressourcen raubende Leistung erbringen, die ihnen niemand bezahlt. Sie haben erkannt, dass sich die Versicherungen "ins Fäustchen lachen", wenn die Werkstätten so dumm sind, ihnen kostenlos die Schadenregulierung zu betreiben und dabei noch nicht einmal merken, wie sie wirtschaftlich nach den Vorgaben der Versicherung verfahren, sich also selbst schaden. Versicherungen haben ausschließlich ihren eigenen Vorteil im Auge! Die Belange sämtlicher anderer Beteiligter interessieren sie absolut nicht.
Rz. 90
Geblieben ist allerdings noch die Angst der Werkstatt vor dem vermeintlich versicherungsseitig ungenehmigten Reparaturbeginn. Werkstätten beginnen einfach nicht mit der Reparatur, solange die gegnerische Versicherung nicht die "Reparaturfreigabe" oder sogar, was vollkommen unverständlich ist, eine Reparaturkostenübernahmeerklärung abgegeben hat. Es ist ein erfolgloses Unterfangen, die Werkstätten davon überzeugen zu wollen, dass es allein das Recht – und unter Gesichtspunkten der Schadensminderungspflicht auch die Pflicht – des Geschädigten ist, die Reparatur frei zu geben und dass Erklärungen der gegnerischen Versicherung in diesem Zusammenhang vollkomm...