A. Mandatsannahme
Rz. 1
Jeder Verkehrsunfall begründet grundsätzlich die Notwendigkeit, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Mit der Vielzahl der Probleme, die das unfallrechtliche Mandat mit sich bringt, ist der Laie in aller Regel überfordert. Er ist ihnen aber auch schutzlos ausgeliefert, was oft eine Rechtlosigkeit zur Folge hat. Allein der verkehrsrechtlich versierte Anwalt vermag einen solchen Fall – und sei er auf den ersten Blick auch noch so einfach gelagert – fachlich, juristisch richtig und vollständig zu lösen. Die "Fallstricke" und juristischen Tücken des stattgefundenen Unfallgeschehens einerseits, aber auch die Schwierigkeiten in der tatsächlichen Fallabwicklung andererseits werden oft viel zu spät erkannt.
I. Erste Schritte
Rz. 2
Das verkehrsrechtliche Mandat weist eine Vielzahl von Besonderheiten in der Abwicklung auf, die nachstehend im Einzelnen ausgearbeitet werden.
Rz. 3
Eine von Anfang an richtige Beratung ist oft entscheidend für das Ergebnis, und ein anfänglicher Fehler kann sich auf die Ersatzansprüche des Mandanten außerordentlich negativ auswirken. Vor allem ist es zu vermeiden, bei dem Mandanten unbegründete und unrealistische Erwartungen hinsichtlich des Ergebnisses der anwaltlichen Bemühungen zu wecken. Das gilt sowohl für die Haftungsquote wie auch für die Höhe der Ansprüche. In beiden Fällen ist anfängliche Zurückhaltung dringend angezeigt.
Rz. 4
Dabei ist psychologisches Einfühlungsvermögen gefragt: Werden die Aussichten zu Beginn des Mandates eher skeptisch prognostiziert, ergibt sich dann aber am Ende ein wesentlich besseres Ergebnis, bedeutet das aus dem Blickwinkel des Mandanten, dass der Anwalt erfolgreich, also "gut" war, es sich folglich gelohnt hat, seine Dienste in Anspruch zu nehmen und er weiterempfohlen werden kann. Umgekehrt wäre es eine Negativerfahrung!
Rz. 5
Folgender Fall soll das verdeutlichen
Der Mandant berichtet, seine Freundin sei mit seinem Fahrzeug auf einer Landstraße gefahren. Auf dem Beifahrersitz habe deren Arbeitskollegin gesessen. Sie habe einen vor ihr fahrenden langsameren Pkw überholen wollen. Die Fahrerin sei aber plötzlich, ohne zu blinken, in eine Seitenstraße abgebogen. Das geschah genau in dem Moment, als sich das Fahrzeug des Mandanten neben ihr befand. So sei es dann zum Unfall gekommen. Sein Pkw sei dann noch gegen einen Zaun geschleudert worden. Ein Radfahrer, der seiner Freundin entgegengekommen sei, habe das alles möglicherweise gesehen. Seine Freundin sei verletzt worden und liege mit Rippenserienbrüchen im Krankenhaus. Die Beifahrerin habe nur ein HWS-Trauma erlitten, habe den Unfallverlauf aber nicht beobachtet, weil sie während der Fahrt geschlafen habe. Der Pkw sei schwer beschädigt, habe möglicherweise sogar einen Totalschaden erlitten.
In dem zuvor geschilderten Fall wäre es also angezeigt, dem Mandanten lediglich die Durchsetzbarkeit einer Haftungsquote von ⅔ in Aussicht zu stellen, weil ihm der Unabwendbarkeitsnachweis nicht gelingen wird. Mit einem Abbiegemanöver muss nämlich ein besonders sorgfältiger Verkehrsteilnehmer während eines Überholvorganges stets rechnen.
Rz. 6
Nicht selten – und oft sehr schnell – sieht sich der Anwalt Vorwürfen seines Mandanten ausgesetzt, er habe ihn anfänglich falsch beraten. Retrospektiv betrachtet ist allein der Anwalt daran schuld, wenn der Schaden nicht vollständig reguliert wurde, nie der Mandant selbst oder der stattgefundene Sachverhalt. Allein der Anwalt hätte voraussehen müssen, dass in dem speziellen Fall kein voller Schadensersatz zu erwarten war. Von ihm werden hellseherische Fähigkeiten im Hinblick auf die Taktik und Strategie der Schadenregulierung verlangt. Außerdem wird von ihm erwartet, dass er selbst in aussichtslosen Fällen das Wunder vollständigen Schadensersatzes vollbringt.
1. Schadenssteuerung durch Versicherer
a) Gegenwärtige Situation
Rz. 7
Wer die Schadensregulierung in Deutschland betrachtet, erinnert sich gerne an die Zeit zurück, als es noch eine friedliche Koexistenz zwischen Geschädigten bzw. deren Anwälten und der Assekuranz gab. Beide Seiten waren seinerzeit darum bemüht, einen nun einmal entstandenen Schaden so sachgerecht wie möglich auszugleichen.
Rz. 8
Es galt, den Schaden schnell und unbürokratisch abzuwickeln. Vielfältige Regulierungsabkommen dienten dieser Aufgabe, und auch die Sachverständigen und Werkstätten waren frei von ressourcenraubendem Verwaltungsaufwand.
Kurz: Die Regulierung von Schäden war fair!
Rz. 9
Heute ist es jedoch nun dringender denn je erforderlich geworden, dass der Geschädigte möglichst früh anwaltlich beraten wird. Ein Rat kann aber nur dann erteilt werden, wenn der Mandant möglichst umgehend nach dem Unfall und zu allererst in die Kanzlei des Anwaltes gelangt und nicht schon vorher von interessierten Kreisen der Versicherungswirtschaft "abgefangen" wird.
Rz. 10
Seit geraumer Zeit beherrscht das so genannte Schadensmanagement der Versicherer massiv die Schadenregulierung. D.h. es ist das Bestreben der Versicherer, so schnell und so früh wie möglich Kontakt zu dem Geschädigten und ihn somit in ihre "Fänge" zu bekommen. Damit will die Asse...