Rz. 25
Der Nachlassgläubiger muss die Bestellung des Nachlasspflegers zum Zwecke der gerichtlichen Geltendmachung eines Anspruchs, der sich gegen den Nachlass richtet, beantragen. Das in § 1960 BGB vorausgesetzte Sicherungsbedürfnis muss hier nicht vorliegen. An die Stelle des Sicherungsbedürfnisses tritt das Rechtsschutzinteresse des Nachlassgläubigers zur Anspruchsdurchsetzung.
Der Nachlassgläubiger muss den Anspruch nicht beweisen und auch nicht glaubhaft machen.
Eine Überprüfung der Forderung des Nachlassgläubigers durch das Nachlassgericht erfolgt nicht. Dies ist Aufgabe des Prozessgerichts.
Rz. 26
Der Nachlassgläubiger muss lediglich glaubhaft darlegen, dass er seinen Anspruch auf jeden Fall durchsetzen will. Die gerichtliche Geltendmachung darf insoweit nicht ausgeschlossen erscheinen. Es genügt jedoch, wenn der Nachlassgläubiger zuvor außergerichtliche Verhandlungen beabsichtigt und insoweit lediglich einen Ansprechpartner benötigt.
Rz. 27
Liegen die Voraussetzungen der §§ 1960, 1961 BGB vor, "hat" das Nachlassgericht einen Nachlasspfleger zu bestellen; ein Ermessen des Nachlassgerichts besteht dann nicht. Das Nachlassgericht kann die Anordnung der Nachlasspflegschaft nicht mit dem Argument ablehnen, dass kein Nachlassvermögen existiere oder der Nachlass aller Voraussicht nach dürftig sei, denn es muss kein Sicherungsbedürfnis am Nachlass bestehen.
Rz. 28
Ein wesentlicher Anwendungsfall des § 1961 BGB dürfte dann gegeben sein, wenn es um die Abwicklung eines Mietverhältnisses geht. In diesen Fällen ist der Erblasser als Mietvertragspartei einer Mietwohnung für den Vermieter nicht mehr greifbar. Erben sind oftmals nicht oder noch nicht bekannt. Das Interesse des Vermieters geht in erster Linie dahin, die Mietwohnung so schnell es geht geräumt zurückzuerhalten, um diese neu vermieten zu können. Darüber hinaus will der Vermieter selbstverständlich auch die geschuldete Miete einnehmen.
Rz. 29
In der Regel wird sich der Vermieter beim Nachlassgericht melden und nachfragen, wie er sich verhalten soll und ggf. bereits die Bestellung eines "Pflegers" anregen. In vielen Fällen wird der Vermieter die Antwort erhalten:
Zitat
"Ein Bedürfnis für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft (weder nach § 1960 BGB noch nach § 1961 BGB) wird nicht gesehen. Sie können ab sofort über die Wohnung des Verstorbenen im Rahmen des Vermieterpfandrechts (§ 562 BGB) verfügen, d.h. diese räumen. Sollten Wertgegenstände aufgefunden werden, ist das Nachlassgericht unverzüglich zu benachrichtigen. Sollten Sie ein Testament auffinden, ist dieses unverzüglich abzuliefern."
Rz. 30
Zur Begründung dieser Vorgehensweise wird § 1846 BGB herangezogen. Diese Vorschrift, die über § 1915 BGB auch für die Nachlasspflegschaft gilt, ist jedoch als eng auszulegende Ausnahmevorschrift für Eilfälle zur Anwendung zu bringen.
Nach hier vertretener Ansicht, ist die Heranziehung von § 1846 BGB nicht für die Abwicklung von Mietverhältnissen geeignet.
Die Folge der Mitteilung des Nachlassgerichts an den Vermieter ist nämlich, dass dieser aufgrund der "offiziellen Erlaubnis" die Wohnung (in verbotener Eigenmacht) öffnet, räumt und anschließend neu vermietet.
Rz. 31
Seit der Entscheidung des BGH in seinem Urt. v. 14.7.2010 sollte der Vermieter, der so vorgeht wie eben beschrieben, wissen, dass ihn diese Lösung teuer zu stehen kommen kann. Die Entscheidung des BGH betrifft zwar einen "abwesenden Mieter", ist jedoch sinngemäß auch auf Nachlassfälle anwendbar.
Nach Ansicht des BGH stellt
Zitat
"die nicht durch einen gerichtlichen Titel gedeckte eigenmächtige Inbesitznahme einer Wohnung und deren eigenmächtiges Ausräumen durch einen Vermieter (…) eine unerlaubte Selbsthilfe dar, für deren Folgen der Vermieter verschuldensunabhängig nach § 231 BGB haftet."
Weiter hat der BGH in seinem Urteil entschieden:
Zitat
"Hat der Vermieter in einem solchen Fall kein Verzeichnis der entfernten Gegenstände aufgestellt, sowie deren Wert schätzen lassen, muss er im Schadensersatzprozess wegen Vernichtung der Gegenstände beweisen, in welchem Umfang eine plausible Schadensberechnung des Mieters unzutreffend ist."
Der BGH dreht für den Schadensersatzanspruch des Mieters die Darlegungs- und Beweislast um. Verletzt der Vermieter seine Inventarisierungs- und Schätzungspflicht und räumt dennoch die Wohnung, gerät der Mieter in Beweisnot. Dieser hat nachfolgend lediglich eine plausible Schadensberechnung vorzulegen. Die Beweislast für die Behauptung, ein Schaden in dieser Höhe sei nicht entstanden, liegt dann beim Vermieter aufgrund der von ihm selbst veranlassten Beweisvereitelung.
Rz. 32
Die Erfahrung lehrt: Dazu kommt es selten. Das Nachlassgericht hat seine Akten längst geschlossen. Der Vermieter ist mit seinem neuen Mieter sehr zufrieden. Der Vorgang könnte in Vergessenheit geraten.
Dennoch kommt es immer mal wieder vor, dass dem Nachlassgericht von der Bank des Erblassers zugetragen wird, dass dort (oft erhebliche) Vermögenswerte verwahrt werden. Jetzt ordnet das Nachl...