Rz. 323

Im Zusammenhang mit der Trennung der Eltern ist die Entscheidung zu treffen, bei welchem ­Elternteil das Kind künftig seinen Aufenthalt haben wird. Bis zur Grenze der Kindeswohlge­fährdung obliegt den Eltern die autonome Entscheidung darüber, wie sie die Aufgabenverteilung gestalten und wie im Einzelnen der Aufenthalt des Kindes geregelt sein soll. Bei der Kindesbetreuung im Rahmen bestehender gemeinsamer Sorge wird dabei unterschieden zwischen

dem Eingliederungsmodell,
dem Nestmodell,
dem Wechselmodell.

Haben die Eltern eine diesbezügliche Einigung erzielt, so kann diese nur gemeinsam oder aufgrund gerichtlicher Entscheidung über einen Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts geändert werden.[1198]

[1198] OLG Zweibrücken DAVorm 2000, 331; OLG Stuttgart FamRZ 1999, 39.

a) Eingliederungsmodell

 

Rz. 324

§ 1687 Abs. 1 S. 2 BGB beinhaltet das sog. Eingliederungsmodell, das auch als Residenz- oder Domizilmodell benannt wird. Es zeichnet sich dadurch aus, dass das Kind gewöhnlich mit einem Elternteil zusammenlebt und sich die Kontakte zum anderen Elternteil auf Besuche, gemeinsame Wochenenden sowie Ferien und Feiertage beschränken. Durch dieses Modell wird dem Kind ein fester Lebensmittelpunkt und ein gleichbleibender Bezug zu einem Elternteil und seinem sozialen Umfeld vorgegeben. Dieses Modell kommt weiterhin am häufigsten vor.

b) Nestmodell

 

Rz. 325

Diese Betreuungsvariante zeichnet sich dadurch aus, dass das Kind in derselben Wohnung abwechselnd von beiden Elterteilen betreut wird. Der Vorteil dieses Modells liegt darin, dass das Kind zu keinem Zeitpunkt sein gewohntes Umfeld verlassen muss. Der wesentliche Nachteil besteht allerdings darin, dass eine Umsetzung nur in Betracht kommt, wenn jeder Elternteil zusätzlich noch über einen eigenen Wohnsitz verfügt, so dass diesem Betreuungsmodell in der Regel bereits die finanziellen Möglichkeiten der Eltern entgegenstehen.[1199] Hinzu kommt, dass die Eltern es als belastend empfinden können, mit ihrem ehemaligen Partner weiterhin zumindest symbolisch einen Wohnort zu teilen. Dieses Modell kommt in der Praxis sehr selten vor und kann freilich vor dem Hintergrund von Art. 13 GG ohne Einvernehmen der Eltern auch nicht durch richterliche Entscheidung angeordnet werden.[1200]

[1199] Rakete-Dombek, FF 2002,16.
[1200] Siehe zu einer Sonderkonstellation – allerdings das Betreten der Wohnung zu Umgangszwecken anbetreffend – BVerfG FamRZ 2005, 429.

c) Wechselmodell

 

Rz. 326

Bei diesem Modell[1201] erfolgt die Betreuung des Kindes abwechselnd und für ungefähr gleich lange zeitliche Phasen[1202] im Haushalt jeweils eines Elternteils, der in dieser Zeit für die Betreuung haupt- und eigenverantwortlich ist. Das wesentliche Problem dieses Modells besteht darin, dem Kind ausreichende Zeiträume zu eröffnen, damit es zu jedem Elternteil eine feste Beziehung aufbauen bzw. beibehalten kann.[1203] Zudem darf nicht verkannt werden, dass ein ständiger räumlicher Wechsel und das Einstellen auf den anderen Elternteil – einschließlich des Wechselbades ggf. verschiedener Erziehungsstile[1204] – für das Kind mit erheblichen Belastungen verbunden ist.[1205] Viele Kinder bitten nach einiger Zeit darum, nicht mehr pendeln zu müssen, weil sie das Gefühl haben, ständig aus dem Koffer zu leben, ihnen sei davon ganz "schwindlig".[1206] Auch auf der Elternebene birgt dieses Betreuungsmodell im Zusammenhang mit der Unterhaltsregelung[1207] nicht unerhebliches Streitpotential (siehe auch zu den Umgangskosten§ 2 Rdn 147 ff.); auch im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe entsteht eine Sondersituation.[1208] Das Modell setzt ferner eine räumliche Nähe der Eltern und eine gute Kommunikation zwischen ihnen voraus. Insgesamt erfordert das Wechselmodell die an den Bedürfnissen des Kindes ausgerichtete hohe Motivation und Fähigkeit der Eltern, miteinander zu kooperieren und zu kommunizieren.[1209] Andernfalls wird der Loyalitätskonflikt des Kindes nicht ent-, sondern verschärft.[1210] Beide Eltern müssen zudem erziehungsfähig, die Bindungen des Kindes zu beiden Eltern nahezu gleichwertig und das Wechselmodell auch mit dem Kindeswillen in Einklang zu bringen sein.[1211] Dann kann in der Tat spannungsfrei eine enge Beziehung des Kindes zu beiden Eltern – jeweils unter Alltagsbedingungen – befördert werden und auch beide Eltern werden jeweils teilentlastet.[1212] Aus psychologischer Sicht wird allerdings von einem Wechselmodell auch bei Vorliegen dieser Voraussetzungen abgeraten, solange das Kind noch nicht drei Jahre alt ist, weil die Bindungsforschung zeigt, dass das Fehlen eines eindeutigen Lebensmittelpunkts für solche kleine Kinder ein Risikofaktor sein kann.[1213]

 

Rz. 327

Während ein einvernehmlich gelebtes Wechselmodell bei Vorliegen gemeinsamen Sorgerechts unproblematisch ist und diesseits der Grenze des § 1666 BGB keinen Anlass gibt, familiengerichtlich tätig zu werden,[1214] kann das Wechselmodell richterlich[1215] de lege lata im Streitfall weder angeordnet[1216] noch – wenn bislang praktiziert – durch Richterspruch beibehalten[1217] werden, w...

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