a) Alleinvertretung kraft Gesetzes

 

Rz. 113

Soweit die elterliche Sorge von einem Elternteil allein ausgeübt wird, ist dieser auch zur alleinigen Vertretung des Kindes berechtigt. Das gilt sowohl in den Fällen der Sorgerechtsübertragung nach § 1671 BGB als auch bei Entzug der elterlichen Sorge zu Lasten eines Elternteils nach den §§ 1666, 1666a BGB. Kann allerdings ein Widerstreit zwischen dem wohlverstandenen Interesse des Kindes und dem des Elternteils nicht ausgeschlossen werden, etwa in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren vor dem Hintergrund eines nach § 1666 BGB geführten Verfahrens, so ist der Elternteil nicht vertretungsbefugt.[417] Es muss dann beim Familiengericht die Bestellung eines Ergänzungspflegers für das Verfassungsbeschwerdeverfahren beantragt werden.[418]

Kraft Gesetzes besteht – trotz gemeinsamer Sorge im Übrigen – das Alleinentscheidungsrecht eines Elternteils

in den Angelegenheiten des täglichen Lebens (§ 1687 Abs. 1 S. 2 BGB)
bei Ruhen der elterlichen Sorge (§ 1675 BGB) oder
bei rechtlichem oder tatsächlichem Unvermögen (§§ 1673 ff. BGB)
[417] BVerfG FamRZ 2009, 944.
[418] Vgl. – grundlegend – BVerfGE 72, 122, 133 ff.

b) Passive Stellvertretung

 

Rz. 114

Steht nur die Entgegennahme von Willenserklärungen in Rede, genügt nach § 1629 Abs. 1 S. 2, 2. HS BGB die Vertretung allein durch einen vertretungsberechtigten Elternteil.

c) Notvertretungsrecht

 

Rz. 115

Bei Gefahr im Verzug sieht § 1629 Abs. 1 S. 4 BGB die Berechtigung jedes Elternteils vor, die zum Wohl des Kindes erforderlichen Rechtshandlungen vorzunehmen. Praktisch relevantester Anwendungsfall ist die Zustimmung zu einem medizinisch indizierten Eingriff, wenn der andere Elternteil trotz zumutbarer Bemühungen nicht erreichbar und eine weitere Verzögerung nicht vertretbar ist. Zwingend sieht das Gesetz in diesen Fällen allerdings eine unverzügliche nachträgliche Unterrichtung des anderen Elternteils vor. Inwieweit das Notvertretungsrecht voraussetzt, dass der handelnde Elternteil Mitinhaber der elterlichen Sorge sein muss, lässt sich dem Gesetzestext nicht eindeutig entnehmen. Die Wortwahl "jeder Elternteil" könnte zwar darauf schließen lassen, dass eine gemeinsame Sorge nicht bestehen muss. Aber aus § 1687 Abs. 1 S. 5 BGB ist zu folgern, dass das Notvertretungsrecht eine gemeinsame Sorge voraussetzt. Das Problem wird indessen in den praktisch häufigsten Konstellationen – der Nichterreichbarkeit des sorgeberechtigten Elternteils, während das Kind mit dem nichtsorgeberechtigten Elternteil Umgang pflegt – durch § 1687a BGB i.V.m. § 1687 Abs. 1 S. 4 und S. 5 BGB i.V.m. § 1629 Abs. 1 S. 4 BGB entschärft.[419]

d) Übertragung von Entscheidungsbefugnissen durch das Familiengericht

 

Rz. 116

Nach § 1628 BGB kann einem Elternteil zu einer einzelnen Angelegenheit das Alleinvertretungsrecht übertragen werden. Voraussetzung ist neben dem diesbezüglichen Antrag eines Elternteils, dass zwischen den Eltern über eine einzelne Angelegenheit kein Einvernehmen erreicht werden kann und es sich hierbei um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind handelt. Um zu ermitteln, ob eine solche vorliegt, hat man sich im Einzelfall die Frage vorzulegen, ob es mit dem – auch bei Einscheidungen nach § 1628 BGB stets im Zentrum stehenden[420] – Kindeswohl vereinbar wäre, wenn eine Entscheidung der Streitfrage unterbliebe (vgl. auch Rdn 67).

Denkbar sind etwa (zur Abgrenzung siehe auch Rdn 332 f.)[421]

das Recht zur Aufenthaltsbestimmung,[422]
Schul- und Berufsausbildung[423] des Kindes einschließlich der Wahl der Schulart,[424] der konkreten Schule,[425] Schulwechsel,[426] Zurückstellung um ein Schuljahr,[427] Wahl der Fächer und insbesondere Leistungskurse, Angelegenheiten der schulischen Mitbestimmung,[428] längerfristiger Schüleraustausch,
die Grundentscheidung für oder gegen den Kindergartenbesuch[429] bzw. den Besuch einer Kindertagesstätte,[430]
Wahl der Erziehungsgrundsätze,
Wechsel des Kindes in ein Heim/Internat,[431]
die Anmeldung des Kindes zum begleiteten Fahren ab 17 Jahren,[432]
medizinische Eingriffe,[433] sofern es sich nicht um einen Notfall handelt (dann: § 1687 Abs. 1 S. 5 BGB), und ggf. auch wichtige stationäre Untersuchungen.[434] Ebenso die Frage, ob kieferorthopädische Maßnahmen vorgenommen werden.[435] Bei Schutzimpfungen wird man differenzieren müssen: Will der Obhutselternteil schon seit längerer Zeit von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Impfungen beim Kind durchführen lassen, so handelt es sich hierbei um eine Alltagsentscheidung,[436] nicht aber die Impfung mit noch nicht mehrjährig in ihren (Neben-)Wirkungen erforschten Impfstoffen.[437] Angesichts der erheblichen Diskussionen auch unter Medizinern müssen die Eltern hier Einvernehmen herstellen oder nach § 1628 BGB verfahren. Lehnt der Obhutselternteil eine empfohlene Schutzimpfung ab, so verleiht dies der Angelegenheit erhebliche Bedeutung i.S.v. § 1628 BGB.[438]
die psychotherapeutische Behandlung des Kindes,[439]
Umgang mit Dritten (zum Umgangsbestimmungsrecht siehe § 4 Rdn 16 ff.; zur Umgangspflegschaft siehe § 2 Rdn 39),[440]
Fragen zum Unterhalt des Kindes,

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