Rz. 138

Praktisch besonders relevant ist die Frage der Vertretungsmacht, wenn sich gemeinsam sorgeberechtigte Eltern trennen und die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen des Kindes in Rede steht. In diesem Zusammenhang hat der Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind befindet, die Forderungsberechtigung.[506] Dies gilt auch im Verhältnis zwischen nicht miteinander verheirateten Eltern, die eine gemeinsame elterliche Sorge begründet haben. Die sich aus § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB ableitende Alleinvertretungsmacht des betreuenden Elternteils bildet eine Ausnahme von dem Grundsatz der Gesamtvertretung[507] im Sinn des § 1629 Abs. 1 BGB sowie dem in § 1629 Abs. 2 S. 1 BGB vorgesehenen Vertretungsverbot.[508] Diese Ausnahme rechtfertigt sich aus verfahrensökonomischen Erwägungen; denn so wird auch im Interesse des Kindes eine unkomplizierte Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gewährleistet.[509] Dies gilt unabhängig davon, um welches unterhaltsrechtliche Verfahren es sich handelt und in welcher Beteiligtenrolle das Kind oder der es vertretende Elternteil sich befindet.[510]

 

Rz. 139

Andere Rechtshandlungen werden von der Alleinvertretungsbefugnis nicht erfasst. Ein Elternteil ist daher bei Bestehen gemeinsamer Sorge nicht allein berechtigt, eine Abtretungsvereinbarung mit einem Sozialleistungsträger zu schließen.[511]

 

Rz. 140

Wurde einem Elternteil die Alleinentscheidungsbefugnis nach § 1628 Abs. 1 BGB übertragen (siehe dazu Rdn 116 ff.), so ist § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB nicht anwendbar. Gleiches gilt, wenn eine die Vertretungsmacht betreffende einstweilige Anordnung oder eine diesen Gegenstand betreffende Maßnahme nach § 1666 BGB getroffen wurde. § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB kommt daher lediglich Hilfsfunktion zu; anderweitig getroffene Vertretungsregelungen sollen dadurch nicht ersetzt werden.

[506] OLG Hamm FamRZ 1998, 313; Hochgräber, FamRZ 1996, 272.
[507] Hochgräber, FamRZ 1996, 272 f.
[510] OLG Naumburg FamRZ 2003, 1115; OLG Brandenburg FamRZ 2000, 1377.
[511] AG Lüdenscheid FamRZ 2002, 1207; Palandt/Götz, § 1629 Rn 31.

a) Obhut (§ 1629 BGB)

 

Rz. 141

Die Alleinvertretung nach § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB richtet sich danach, welcher Elternteil das Kind in seiner Obhut hat. Soweit sich beide Elternteile erst um diese Obhut bemühen, findet § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB keine Anwendung.[512] Befindet sich das Kind bei gemeinsamer elterlicher Sorge in der Obhut eines Dritten, so ist ein Ergänzungspfleger zu bestellen.[513]

 

Rz. 142

Der Begriff der Obhut entspricht dem der §§ 1684 Abs. 2 S. 2, 1748 Abs. 1 S. 2, 1751 Abs. 4 BGB. Er stellt auf die tatsächlichen Betreuungsverhältnisse ab. Ein Kind befindet sich in der Obhut desjenigen Elternteils, bei dem der Schwerpunkt der tatsächlichen Fürsorge und Betreuung liegt, der sich also vorrangig um die Befriedigung der elementaren Bedürfnisse des Kindes kümmert. Leben die Eltern in verschiedenen Wohnungen und regeln sie den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in der Weise, dass es vorwiegend in der Wohnung eines Elternteils – unterbrochen durch regelmäßige Besuche in der Wohnung des anderen Elternteils – lebt, so ist die Obhut deshalb dem erstgenannten Elternteil zuzuordnen.[514] Zu den elementaren kindlichen Bedürfnissen gehören neben Obdach, Nahrung und Kleidung auch die Gestaltung des Tagesablaufs und die Erreichbarkeit bei Problemen.[515] Von der Obhut eines Elternteils ist auch dann auszugehen, wenn das Kind zeitweise anderweitig betreut wird, etwa im Kindergarten oder durch eine Tagesmutter. Gleiches gilt, wenn etwaige Betreuungs- oder Versorgungslücken durch den anderen Elternteil geschlossen werden.[516]

 

Rz. 143

Abgrenzungsprobleme ergeben sich in den Fällen des strikten Wechselmodells ebenso wie bei einer innerhalb der ehelichen Wohnung vollzogenen Trennung der Eltern.[517] Besteht zwischen den Eltern ein Wechselmodell (siehe dazu auch Rdn 326),[518] so ist entscheidend, durch welchen Elternteil das Schwergewicht der tatsächlichen Fürsorge und Erziehung wahrgenommen wird. Bei einem Betreuungsvorsprung eines Elternteils von etwa ⅓ verbleibt es nach Auffassung des BGH bei der gesetzlichen Alleinvertretungsbefugnis.[519] Keine Anwendung findet § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB jedoch, wenn zwischen den Eltern tatsächlich ein paritätisches Wechselmodell praktiziert wird. In diesem Fall kann eine Lösung nur über die Bestellung eines Ergänzungspflegers nach § 1909 BGB, die Übertragung der Entscheidungskompetenz auf einen Elternteil nach § 1628 BGB (siehe dazu Rdn 116 ff.) oder die Beistandschaft des Jugendamts nach § 1712 Abs. 1 Nr. 2 BGB (siehe dazu § 12 Rdn 150 ff.) gefunden werden.[520] Die Beweislast für die eigene überwiegende Fürsorge trägt der Elternteil, der den Unterhalt für das Kind geltend macht.[521]

[514] BGH FamRZ 2006, 1015; OLG Düsseldorf FamRZ 1988, 1092.
[515] OLG Stuttgart NJW-RR 1996, 67; OLG Frankfurt FamRZ 1982, 528.
[516] OLG Frankfurt FamRZ 1992, 575; OLG Bamberg Fa...

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