Rz. 253

Die gemeinsame elterliche Sorge kann im Verfahren nach § 1671 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB auch dann nicht aufrechterhalten bleiben, wenn sich ein Elternteil als zur Pflege und Erziehung des Kindes ungeeignet erwiesen hat. Hiervon erfasst werden:

Fälle schwerer Gewaltanwendung,[955]
Sexueller Missbrauch des Kindes,[956]
andere Misshandlungen des Kindes im Sinne des § 1631 Abs. 2 BGB (siehe dazu Rdn 85 ff.) oder gravierende Vernachlässigung des Kindes,[957]
allgemeines Erziehungsunvermögen oder
psychische Erkrankungen, die die Erziehungsfähigkeit ausschließen.[958]
 

Rz. 254

Übermäßiger Alkoholgenuss eines Elternteils[959] oder der gelegentliche Drogenkonsum[960] spricht nicht zwingend gegen die Fortführung der gemeinsamen elterlichen Sorge, doch wird es häufig angezeigt sein, zugunsten eines Elternteils zu entscheiden, der sich von einem alkohol- oder drogenabhängigen Partner getrennt hat und auch hinsichtlich der elterlichen Sorge klare Trennungslinien aufzeigen möchte.[961] Gleichzeitig sind hier möglicherweise Maßnahmen nach §§ 1666 ff. BGB angezeigt. Dann wird ohnedies – sofern nicht auch gegen den anderen Elternteil Sorgerechtseingriffe auf dieser Grundlage erforderlich sind – auf Antrag hin die Alleinsorge zu übertragen sein.[962]

 

Rz. 255

Grund zur Aufhebung der elterlichen Sorge kann auch die Gleichgültigkeit eines Elternteils bezüglich der Erziehung und des Wohls des Kindes sein.[963] Diese kann etwa durch ein Desinteresse an der Ausübung der Umgangskontakte, in mangelnder Mitwirkung in Erziehungsfragen – etwa, wenn der Obhutselternteil stets lange warten muss, bis der andere Elternteil notwendige Unterschriften leistet –, durch die Verletzung der Unterhaltspflicht,[964] unter Umständen auch in der Nichtwahrnehmung von Jugendamtsterminen zum Ausdruck kommen.[965] Nimmt aber ein – zumal weiter entfernt wohnender – Elternteil trotz eher ersichtlichen Desinteresses an der Sorgeausübung erforderliche Mitwirkungshandlungen vor, besteht zur Aufhebung der gemeinsamen Sorge kein Anlass.[966] Dies gilt umso mehr, wenn der nicht betreuende Elternteil dem betreuenden Elternteil außerdem schon vor Verfahrenseinleitung eine umfassende Sorgeermächtigung (siehe dazu Rdn 20) erteilt hatte.[967]

 

Rz. 256

Letztlich können auch die äußeren Lebensumstände der gemeinsamen Sorge entgegenstehen. Zu denken ist hier etwa an eine Übersiedlung ins Ausland (zur Auswanderung des betreuenden Elternteils siehe Rdn 279 f.). Soll diese allerdings nur dazu dienen, die Umgangskontakte zu vereiteln, so steht sie der Alleinsorge regelmäßig entgegen. Geht der nicht betreuende Elternteil längere Zeit ins Ausland, so ist die Möglichkeit in den Blick zu nehmen, dem betreuenden Elternteil eine Sorgeermächtigung zu erteilen.[968]

[955] OLG Karlsruhe FamRZ 2002, 1209; OLG Saarbrücken FamRZ 2010, 385; OLG Hamm, Beschl. v. 11.6.2012 – 8 UF 270/10, juris; Niepmann, MDR 1998, 565; beruht der Vorwurf der Kindesmisshandlung allerdings allein auf den Aussagen der beteiligten Kinder, so ist im Verfahren nach § 1666 BGB die Richtigkeit dieser Aussagen anhand objektiver Kriterien zu überprüfen, EuGHMR FamRZ 2013, 845; zur ärztlichen Schweigepflicht bei Verdacht auf Kindesmisshandlung siehe § 4 KKG und KG JAmt 2013, 653; Doukkani-Bördner, Kindesmisshandlungen im Haushalt der Eltern und elterliche Sorge, FamRZ 2016, 12; Behnisch/Dilthey, "Das Elend der Wiederholung" – Zur familiären Psychodynamik in Fällen von Kindesmisshandlung, ZKJ 2016, 4; zu den Auswirkungen auf Bindungs- und Beziehungsqualitäten bei Misshandlung, Vernachlässigung und sexuellem Missbrauch siehe Lengning/Lüpschen, FPR 2013, 213.
[956] Vgl. OLG Köln, Beschl. v. 29.12.2010 – 4 UFH 4/10, juris; zur familiengerichtlichen Kooperation in Fällen von Kindesmisshandlung und sexuellem Missbrauch siehe Schmid, FamRB 2014, 267; siehe auch das Fortbildungspapier des Runden Tisches "Sexueller Kindesmissbrauch" für Verfahren bei Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch im familienrechtlichen Dezernat; zu den Auswirkungen auf Bindungs- und Beziehungsqualitäten bei Misshandlung, Vernachlässigung und sexuellem Missbrauch siehe Lengning/Lüpschen, FPR 2013, 213; zum zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch bei sexuellem Missbrauch siehe Franke/Strnad, FamRZ 2012, 1535; im Einzelfall bei Jahre zurückliegendem, als Jugendlicher begangenem sexuellen Missbrauch an einem anderen Kind aber verneinend OLG Hamm FamRZ 2012, 235; ebenso bei einem Jahrzehnt zurückliegendem mehrmaligen Berühren der eigenen Tochter am Geschlechtsteil in sexueller Absicht und damals sofortigem Einräumen und Bereuen des Fehlverhaltens ohne bleibende Folgen für das Kind OLG Saarbrücken FamRZ 2011, 1740.
[957] Kindler, Kinderschutz im BGB, FPR 2012, 422; Doukkani-Bördner, Kindesmisshandlungen im Haushalt der Eltern und elterliche Sorge, FamRZ 2016, 12; Behnisch/Dilthey, "Das Elend der Wiederholung" – Zur familiären Psychodynamik in Fällen von Kindesmisshandlung, ZKJ 2016, 4; siehe zu den Auswirkungen auf Bindungs- und Beziehungsqualit...

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