Mallory Völker, Monika Clausius
1. Überblick
Rz. 18
Durch die Trennung oder Ehescheidung der Eltern wird eine kraft Gesetzes, Sorgeerklärung oder gerichtlicher Entscheidung gemäß § 1626a Abs. 1 Nr. 3 BGB bestehende gemeinsame Sorge nicht aufgehoben. Für die Fortführung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist aber Grundvoraussetzung, dass mit Blick auf die Kindeswohlbelange eine objektive Kooperationsfähigkeit und subjektive Kooperationswilligkeit der Eltern besteht. Gerade in der hochemotionalen Phase nach der Trennung stoßen viele Elternteile hier an ihre Grenzen. Im Interesse des Kindes kann es dann durchaus angezeigt sein, die bisherige gemeinsame Sorge aufzuheben. Zielrichtung ist in jedem Fall, die von den Streitigkeiten der Eltern ausgehenden negativen Wirkungen von dem Kind fernzuhalten. Einer gerichtlichen Entscheidung zur elterlichen Sorge bedarf es allerdings auch dann, wenn im Rahmen einer beibehaltenen gemeinsamen elterlichen Sorge die Eltern zu einer für das Kind wesentlichen Entscheidung keinen Konsens erzielen können. Hier sieht § 1628 BGB vor, dass in diesem Fall die Entscheidungskompetenz einem Elternteil zu übertragen ist (siehe im Einzelnen Rdn 116 ff.).
Rz. 19
Durch diese gerichtliche Entscheidung wird lediglich klargestellt, welchem Elternteil zu einer bestimmten Angelegenheit oder bestimmten Art von Angelegenheiten die Entscheidungskompetenz zusteht. Diese wird ausdrücklich nicht vom Gericht getroffen; denn dies ist () nicht erforderlich, weil die Übertragung der Entscheidungsbefugnis ein im Vergleich zur gerichtlichen Entscheidung der Frage milderes und zugleich ebenso geeignetes Mittel ist (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit).
2. Sorgerechtsausübung durch Vollmacht; Ermächtigung
Rz. 20
Angesichts der Verrechtlichung aller Lebensbereiche besteht ein hohes praktisches Bedürfnis für die Rechtsinstitute der Vollmacht und der Ermächtigung als Mittel zur Ausübung sorgerechtlicher Befugnisse. Dabei wird eine Vollmacht von einem Sorgerechtsinhaber an eine Person erteilt, die nicht sorgeberechtigt ist, während die Ermächtigung von einem sorgeberechtigten Elternteil dem anderen, ebenfalls sorgeberechtigten Elternteil erteilt wird. In beiden Fällen führt dies zu der Befugnis des Vollmachtnehmers bzw. Ermächtigten, im Außenverhältnis zu Dritten rechtsgeschäftliche, geschäftsähnliche und tatsächliche Handlungen vorzunehmen, die dem Sorgerecht zuzurechnen sind. Das Innenverhältnis stellt sich bei einer Erteilung an den anderen Elternteil als Elternvereinbarung dar; bei Bevollmächtigung eines Dritten wird dem regelmäßig ein Auftrags- oder Geschäftsbesorgungsverhältnis zugrunde liegen.
Sind die Eltern gemeinsam sorgeberechtigt, so kommt die Erteilung einer Vollmacht durch einen Elternteil zugunsten eines Dritten ohne Zustimmung des anderen Elternteils in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung wegen §§ 1627, 1687 Abs. 1 S. 1 BGB nicht in Betracht. Nur in Angelegenheiten des täglichen Lebens kann ein mitsorgeberechtigter Elternteil die Vollmacht allein erteilen.
Rz. 21
Die Elternvereinbarung ermöglicht es vor allem, die Organisation des Familienalltags nach der Trennung oder Scheidung zu erleichtern. Sorgevollmacht und -ermächtigung sind bestmöglicher Ausdruck der in Art. 6 Abs. 2 GG grundrechtlich verbrieften Elternverantwortung, die den Eltern gewährleistet und sie zugleich dazu einlädt, eigenverantwortlich die sorgerechtliche "Innenwelt" der Familie auch nach dem Zerbrechen der Paarbeziehung der Eltern zu gestalten. Freilich müssen sowohl die Vollmacht als auch die Ermächtigung jederzeit – jedenfalls bei wesentlicher Änderung ihrer Geschäftsgrundlage (siehe auch Rdn 343 – widerruflich bleiben, weil sie sich sonst als "verdeckte" Sorgerechtsübertragungen darstellen, die das Recht – unter Ausnahme der Sorgeerklärungen – richterlichem Gestaltungsakt vorbehält.
Rz. 22
Die Vollmacht kann sich, wenn sie dem Jugendamt oder sozialen Eltern erteilt wird, als mildere Maßnahme darstellen, um einen teilweisen Sorgerechtsentzug nach den §§ 1666 ff. BGB, eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB oder die Anordnung des Ruhens der elterlichen Sorge nach § 1674 BGB (etwa bei langfristigem Auslandsaufenthalt eines dort kaum erreichbaren sorgeberechtigten Elternteils) zu verhindern. Deshalb wird sich im Rahmen eines Verfahrens nach §§ 1666 ff. BGB das Jugendamt im Einzelfall auf das Angebot der Erteilung einer vorbehaltlosen Sorgevollmacht durch den das Kind gefährdenden Elternteil in den Teilbereichen einlassen, deren Entziehung mit der Folge der Anordnung von Pflegschaft in Rede steht. Dies gilt, obwohl die Vollmacht widerruflich bleibt und auch die Vollmachterteilung nichts daran ändert, dass dieser Elternteil Sorgerechtsinhaber bleibt. Denn sollte er die Vollmacht widerrufen, stehen dem Jugendamt genügend Mittel – notfalls bis hin zur Inobhutnahme (siehe dazu § 12 Rdn 107 ff.) – zur Verfügung, die Kindeswohlg...